»Sie lassen mich ja gar nicht zu Wort kommen. Schnappen Sie mal nach Luft. Also dann halt Guten Morgen. Was gibt es denn?«
»Wir haben etwas gefunden, das solltest du dir mal anschauen.«
»Was denn?«
»Einen Zettel in der Hosentasche des Toten.«
»Und was ist das, eine alte Tankrechnung, oder ein Bewirtungsbeleg für einen Swingerclub?«
»Aha, Chefchen, das ist wohl dein Morgenhumor. Na dann pass nur auf, dass es nicht bald schon dein Galgenhumor ist.«
»Haha. Also was haben wir denn gefunden?«
»Das zeige ich dir, wenn du im Büro bist. Machen wir es ein bisschen spannend.«
»Und wegen diesem Schmarren rufen Sie mich jetzt an.«
»Ich wusste ja, dass ich dich irgendwo mit Gizmo erwische. Also, soll ich schon mal den Kaffee aufsetzen?«
»Das ist ja das Mindeste. Komm Gizmo. Herrchen wird im Büro verlangt.« Kreithmeier legte auf.
Auf dem Weg ins Büro hielt er noch kurz an einer Apotheke, um für seine Kollegin ein paar Lutschpastillen gegen Husten mitzunehmen. Das war er ihr schuldig. War sie doch fast die ganze Nacht im Rock und hochhackigen Schuhen übers Rollfeld gestochert. Sie durfte jetzt nicht schlapp machen, er brauchte sie. Der Fall war nicht einfach. Und da wollte er nicht allein auf weiter Flur stehen.
Mit einer wilden Begrüßung stützte sich Gizmo auf Melanie, bis er von ihr hinter den Ohren gekrault wurde und einen Hundekuchen als Beute in seinem Maul davon trug. Kreithmeier bekam sofort einen Kaffee mit einem Schuss Milch serviert und dann stand Melanie herausfordernd vor ihrem Kollegen und wartete bis er den ersten Schluck getrunken hatte. Sie sah wieder unheimlich gut aus. Trotz der nahenden Erkältung und des Hustens. Sie trug diesmal einen eng anliegenden hellblauen Rollkragenpulli, Jeans und Turnschuhe. Alois blickte auf ihre Beine und schmunzelte: »Aha. Schnelle Schuhe. Wollen wir heute noch den Tätern hinterher hetzen?«
»Ich gönne meinen süßen kleinen Zehen eine Auszeit«, hüstelte sie, »Und die nächsten Tage werde ich mir keine Internet Dates gönnen können. Höchstens mal ein Erkältungsbad. Ich denke, wir werden viel zu tun bekommen.«
»Ich habe da was für Sie.« Kreithmeier reichte ihr die Plastiktüte mit den Pastillen.
»Der Hustinettenbär, ach wie süß, dass du an mich gedacht hast.«
Sprach es und ein leichter Hustenanfall folgte.
»Was ist denn das hier?«
»Wahrscheinlich die Apothekenrundschau. Hat die Dame in der Apotheke in die Tüte gepackt.«
Melanie Schütz zog eine Zeitschrift und ein Päckchen Papiertaschentücher heraus.
»Die Taschentücher kann ich gebrauchen, aber die Rentnerbravo, das ist noch zu früh für mich.« Sie warf die Zeitung in den Papierkorb.
»Apropos zu tun bekommen, was liegt denn an?«
»Einiges. Heute stehen folgende Termine an. Frau Löbinger, die Ehefrau über den Tod ihres Gatten benachrichtigen. Wir sollten eine Psychologin oder einen Arzt mitnehmen. Dr. Weinmeister hätte Zeit. Dann unsere liebe Staatsanwältin Claudia Lehner, sie erwartet dich schon sehnsüchtig. Sitzt oben in ihrer Kammer. Ist gar nicht erst nach Landshut gefahren. Dann Rainer und Joseph von der Spusi wollen uns heute nach dem Mittagessen sehen. Und einige Zeitungen und freie Reporter lassen seit heute früh das Telefon pausenlos klingeln. Es hat sich leider herumgesprochen, dass es einen Toten auf dem FMG Gelände gegeben hat. Und dieser Jürgen Tischler, derjenige der den Toten gefunden hat, kommt heute Nachmittag. Du wolltest ihn noch zu Ende vernehmen, was du gestern Nacht vergessen hast.«
»Ach du Scheiße! Machen Sie mal eine Pause, mir dröhnt schon jetzt der Kopf.«
»Och, das ist noch gar nichts. Zusätzlich haben sich zwei Herren vom LKA für heute Nachmittag angekündigt. Ob sie den Fall übernehmen wollen oder uns nur zur Seite stehen sollen, das weiß ich noch nicht. Ich denke, dass da unsere Staatsanwältin noch ein Wort mitreden wird. Und dann der Zettel, den wir bei dem Opfer in der Gesäßtasche gefunden haben.«
»Also, was ist das für ein Zettel?«
Melanie hatte den besagten Zettel die ganze Zeit in einer Plastikfolie hinter ihrem Rücken versteckt gehalten. Jetzt legte sie ihn mit einem triumphierenden Blick vor Kreithmeier auf den Schreibtisch.
Es war ein Zehn mal Zehn Zentimeter großes Stück Papier. In der Mitte war ein runder Kreis mit Bleistift aufgezeichnet, der mit einem Kreuz symmetrisch in vier gleich große Kuchenstücke zerteilt wurde.
»Was ist denn das?«
»Das wüsste ich auch gerne. Ein Kreis mit einem Kreuz. Etwas Religiöses? Eine germanische Rune? Man liest doch im Moment so viel über diese Neonazis, rechtsradikale Terroristen, Dönermorde. Und Löbinger war Jude. Könnte es damit zu tun sein?«
Kreithmeier nahm die Plastiktüte mit dem Zettel in die Hand und drehte sie. Außer diesem Kreis und dem Kreuz war nichts zu entdecken.
»Fingerabdrücke?«
»Rein und sauber wie die Unschuld vom Lande.«
»Was wissen Sie denn von der Unschuld?«
Melanie lachte. »Da hast du auch wieder Recht. Keine Abdrücke, nichts.«
»Und schon mal nach diesem Zeichen im Internet gesucht.«
»Kreiti, was denkst du denn. Das war doch das erste. Aber! Nichts! Nothing!«
»Komisch. Mir kommt dieses Zeichen bekannt vor. Ich habe es schon mal gesehen. Eine germanische Rune ist das nicht. Da bin ich mir sicher. Und wir müssen vorsichtig sein, was wir reden. Eine dumme Bemerkung und schon schießen sich die Pressefutzis auf ein Thema fest. Und wir müssen die Familie Löbinger schützen. Ein Beziehungsdrama scheidet für mich vorerst aus.«
»Das denke ich auch. Eher ein Racheakt. V wie Vergeltung oder Vendetta, Blutrache. Baumafia? Schutzgelderpressung?«
»Ich glaube nur das, was ich sehe, und ich meine, Sie haben zu viel Fantasie. Und Sie schauen zu viel diese CSI Sendungen.«
»Blödsinn. Das V ist mit Absicht gemacht worden. Das war kein Versehen eines schlechten Schützen. Aber vielleicht gehst du erst mal zur Lehner. Sie wartet schon brennend auf deinen knackigen Hintern.«
»Damit sie hineintreten kann.«
»So schlimm ist sie doch auch nicht.«
»Doch, vor allem seit sie mit Ihrem Tennislehrer ein Verhältnis hat. Zieht sich an wie eine 18jährige und meint alle Männer müssen sie anhimmeln und ihr zu Füßen liegen.«
»Ach, hat sie dich schon mal angebaggert?«
»Ja, oder so ähnlich.«
»Kreiti, Kreiti, du wirst doch nicht zu einem Womanizer aufsteigen.«
»Knalltüte!« er trank seinen Kaffee leer, winkte Gizmo kurz zu und trat dann seinen Gang nach Canossa an, seinen Gang zur einzigen Staatsanwältin der Stadt Freising: Claudia Lehner. Ihr Dienstsitz war normalerweise in Landshut, in der Maximilianstrasse, dem Gebäude der Staatsanwaltschaft, die unter anderem auch für die Landkreise Freising und Erding mitverantwortlich ist. Insgesamt sind dort über 35 Staatsanwälte beschäftigt, die in Vier Abteilungen aufgeteilt sind. Frau Lehner gehörte zu Abteilung I, Kapitalverbrechen, darunter fiel auch der Tatbestand eines kaltblütigen Mordes. Staatsanwältin Lehner hatte quasi die Patenschaft über den Landkreis Freising. Ihr kam zu Gute, dass sie in Marzling wohnte, kannte sich also mit den Gegebenheiten recht gut aus. Immer wenn ein Kapitalverbrechen in der Domstadt begannen wurde, verbrachte sie einen Teil ihrer Tätigkeit vor Ort. Hierfür hatte man ihr ein kleines Büro im Polizeirevier in der Haydstrasse eingerichtet. Spitzname: die Kammer des Schreckens. Doch das kam selten vor, da Kapitalverbrechen in Freising eben selten vorkamen.
Ausgerechnet heute saß sie in ihrer Kammer im obersten Stock, hatte von dem Leichenfund auf dem Flughafengelände mitbekommen, und wollte aus erster Hand erfahren, wie weit die Ermittlungen waren. Langsam kämpfte sich Kreithmeier die ausgetretenen Stufen hoch. Er hatte eigentlich selten mit ihr zu tun, und wenn, dann reichte es ihm wieder für ein paar Monate. Frau Lehner war Mitte 40, selbstverliebt und karrieregeil. Und das mit der Karriere war so eine Sache. Es passierte zu wenig in ihrem Bezirk. Und um leitender Oberstaatsanwalt zu werden, müsste sie dem amtierenden zunächst die Bremsleitungen durchschneiden oder mit dem bayerischen Justizminister ins Bett gehen. Und das war nicht so einfach, denn der Minister war eine Frau. Und sogar ein hübsche.
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