»Gut kombiniert Frau Kollegin. Das ist mir auch schon aufgefallen. Warten wir mal auf die Ergebnisse unser beiden Freaks.«
Kreithmeier blickte durch die Eisenstäbe des Tores hindurch auf einige hell erleuchtete Gebäude am Horizont.
»Was ist da hinten?«, fragte er Huber.
»Einige Gewerbegebiete und die kleine Ortschaft Schwaig.«
»Schwaig? Klingelt es nicht da bei Ihnen Frau Kollegin?«
»Schwaig! Klar doch. Das ist der Sitz der Firma des Herrn Löbinger, die Löbinger Bau.«
»Die Löbinger Bau, die kenne ich, die sind gleich hier vorn im Industriegebiet Schwaig Nord. Die haben am Flughafen mitgebaut und bekommen immer wieder kleinere Aufträge. Ist der Tote der Herr Löbinger? Sagen Sie, ist er das?«
»Wahrscheinlich, aber behalten Sie das erst einmal für sich. Wir warten noch auf das Ergebnis der Spurensicherung. Aber wenn es stimmen sollte, sollte es seine Frau durch uns erfahren und nicht durch die Presse oder einen windigen Sensationsreporter. Verstanden?«
»Jawohl, natürlich. Ich behalte alles für mich.«
»Das ist auch das Beste, für Sie und für Ihren Flughafen. Wir wollen keine Gerüchte in die Welt setzen.«
Melanie war schon ein Stück zurückgelaufen und stand jetzt am Ufer des Löschteichs.
»Es sieht fast so aus, als ob ein Wagen hier direkt hinein gefahren ist«, sagte sie, als die beiden Männer sie eingeholt hatten.
Kreithmeier blickte auf die Spur am Ufer und dann auf das schwarze Wasser des Sees.
»Einen Wagen hier entsorgt? Ungewöhnlich? Und warum? Lassen Sie uns das Morgen untersuchen. Dazu bräuchte ich Taucher, und das hieße Formulare ausfüllen. Gehen wir erst einmal zurück zur Fundstelle und schauen wir mal, was Zeidler und Schurig uns bis jetzt erzählen können. Kommen Sie Frau Schütz, gehen wir. Es ist spät und ich werde langsam müde.«
Er bot ihr den Arm an, an den sie sich gern einhängte.
»Gute Idee, denn ich friere, und mir tun die Füße weh.«
Rainer Zeidler und Josef Schurig sahen aus wie zwei Figuren aus einer anderen Welt. Sie hatten beide weiße Overalls aus Fallschirmseide an, trugen weiße Kapuzen und an den Händen weiße Aids-Handschuhe. Nur ihr Gesicht war unverhüllt. Selbst über ihre Schuhe hatten sie Plastiküberzieher gestülpt.
Alois Kreithmeier musste schmunzeln, als er sie unter dem Strahlerlicht werkeln sah. Es war für ihn kein neuer Anblick, doch unter dem Licht und dem dampfenden Beton – die Feuchtigkeit verdampfte unter der Hitze der Strahler – sah der Arbeitsplatz, der Fundort der Leiche, aus wie aus einem Science Fiction Film. Zeidler und Schurig verstanden ihr Handwerk. Obwohl keiner von Ihnen eine gerichtsmedizinische Ausbildung hatte, waren sie beide zusammen ein unschlagbares Team.
Es lag nur daran, dass sie beide in Freising wohnten, dass sie mit ihm zusammen arbeiten konnten, denn sonst hätte sie schon längst die Mordkommission München in Beschlag genommen. Bei Mordfällen im Landkreis Freising wurde immer gerne auf ihr Fachwissen Rücksicht genommen. Mordfälle waren eher selten in Freising und Umgebung. Die Kriminalitätsrate ging von Jahr zu Jahr zurück. Die letzten belegten Verbrechen waren ein Familiendrama im Lerchenfeld und der Mord an einer Kassiererin in einem Supermarkt. Ein Ladendieb hatte die Frau nieder gestochen, nachdem sie ihn nach bestem Wissen und Gewissen stoppen und zur Rede stellen wollte. Dafür hatte sie mit dem Leben bezahlt. Der 24 jährige Ladendieb hatte sie mit einer Klinge direkt ins Herz gestochen. Und vor zehn Jahren war ein junger Mann wegen seiner Kündigung Amok gelaufen, hatte zwei ehemalige Kollegen in Eching erschossen, dann in der Wirtschaftsschule in Freising den Direktor getötet, einem Lehrer ins Gesicht geschossen und sich anschließend selbst gerichtet. Doch das war zu einer Zeit, als Kreithmeier noch in Regensburg Dienst hatte. Er war erst 2003 nach Freising gezogen. Und das wegen seiner Frau.
Und er hatte es nicht bereut. Es war eine relativ kriminalistisch ruhige Stadt, und die sollte es auch bleiben, dafür wollte er schon sorgen. Und jetzt diese Geschichte. Ein toter Dackel in einer Dachrinne in einer herrschaftlichen Villa in Tuching. Das war an sich schon ein recht ungewöhnlicher Fall. Und vor allem kein Fall für die Mordkommission. Und jetzt dieser spektakuläre Leichenfund auf dem Flughafengelände. Er konnte sich schon vorstellen, wie die morgigen Schlagzeilen lauten würden, denn zu verheimlichen war die Geschichte nicht. Heute früh hatte sicher jemand aus der Nachbarschaft Bilder oder ein Video von ihm aufgenommen, als er über die Feuerwehrleiter auf das Dach hinauf geturnt war. Und Bilder von dem Toten auf dem Rollfeld konnte jeder der hier Anwesenden gemacht haben, um sie anschließend teuer an die Presse zu verkaufen. Dem Huber war nicht zu trauen und der Einwinker, dieser Jürgen Tischler, machte auch nicht gerade den intelligentesten Eindruck auf ihn.
»Mensch!», sagte Kreithmeier leise, »den Tischler habe ich ganz vergessen, der sitzt ja immer noch in dem Bus. Der muss warten. Zuerst mal zu den Jungs der Spusi.«
»Und was habt ihr für uns?«, fragte er die beiden dann.
Schurig blickte auf, kam auf ihn zu und stellte sich vor ihm auf: »Eine männliche Leiche, Anfang 40 bis maximal 45 Jahre alt.«
»43 Jahre alt. Um es genau zu sagen«, unterbrach ihn der Kommissar.
»Ääh! Woher???«
»Steht in seinem Ausweis. In der Brieftasche.«
»Wenn wir davon ausgehen, dass der Tote mit den Personalien in der Brieftasche identisch ist.«
»Wieso gehen wir denn nicht davon aus, Schaurig, äh entschuldige Schurig?«
»Solange wir keinen Abschlussbericht erstellt und abgegeben haben.....«
»Jetzt hör auf mit deinem Gequassel. Das ist der Löbinger. Hundertprozent. Aber mach weiter.«
»Also noch mal von vorne: eine männliche Leiche, 43 Jahre alt. Erschossen. Mit drei Schüssen. Wahrscheinlich Kaliber 7,65. Keine Hülsen, keine Kugeln. Also nur eine Schätzung.«
»Ja, ja. Weiter.«
»Der Tod trat etwa vor fünf Stunden ein, plus minus eine Stunde.«
»Es ist jetzt 23 Uhr. Also gegen 18 Uhr.«
»Plusminus eine Stunde. Genaueres nach der Obduktion.«
»Weiter!«
»Der Fundort ist nicht der Tatort. Keine Blutlache. Überhaupt kein Blut. Wenn dann nur sehr wenig. Der Leichnam ist hier abgelegt worden. Das ist jetzt schon sicher.«
»Irgendetwas Besonderes. Von einem Raubmord kann ja nicht ausgegangen werden?«
»Nein. In der Brieftasche befinden sich neben einem Personalausweis, Kreditkarten und auch 500 Euro in bar.«
Kreithmeier pfiff leise durch die Zähne. Viel Geld für einen Unternehmer, dessen Geschäfte nicht mehr so gut laufen.
»Und sonst? Habt ihr sein Handy gefunden?«
»Nein, nur die Brieftasche. Aber etwas ist mir aufgefallen. Das muss aber nichts bedeuten.«
»Und was?«
»Die Einschüsse in der Brust.«
»Was ist mit denen?«
»Sie sind eigenartig angeordnet.«
»Bitte was?«
»Alle drei Schüsse bilden zusammen den Buchstaben V. Und das kommt mir spanisch vor. Wenn ich auf jemanden schieße, und bin ich noch so ein guter Schütze, kann ich solch eine Anordnung fast niemals hinbekommen, denn nach dem ersten Schuss bewegt sich das Opfer, der Einschlag der Kugel in den Körper wirft das Opfer zurück. Das heißt ich müsste theoretisch das Opfer zwingen, sich wieder gerade hinzustellen, damit ich den zweiten Schuss platzieren kann. Das geht nicht. Denn der Erste könnte ja auch schon tödlich sein. Es waren insgesamt drei Schüsse, einer direkt unter dem Bachnabel, ein Bauchschuss, von dem stirbt das Opfer nicht sofort, aber die Wunde tut höllisch weh und das Opfer würde sich unter den Schmerzen krümmen und zusammen sacken. Der zweite Schuss ging vom Schützen aus gesehen links durch den linken Lungenflügel. Auch keine sofort tödliche Wunde, würde aber das Opfer umwerfen, und zwar nach hinten. Und der dritte Schuss war tödlich. Er ging direkt durchs Herz.«
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