»Das heißt also, dass der Mörder in genau dieser Reihenfolge auf den Löbinger geschossen hat? Ja?«
»Ja! In etwa. Zuerst Bauch, dann Lunge, dann Herz.«
»Und er konnte nicht die Schüsse in schneller Folge so abgefeuert haben?«
»Nein. Erstens ist es fast unmöglich auf ein lebendiges Ziel so genau zu treffen. Und die Schüsse bilden zusammen ein gleichseitiges Dreieck. Ich habe es abgemessen. Nur ein paar Millimeter Differenz. Und zweitens hat der Schütze mit der Reihenfolge etwas bezweckt. Er hat das Opfer spüren lassen, wie es langsam aber sicher stirbt. Der Herzschuss war sozusagen die Erlösung. An den beiden anderen Wunden wäre es ohne ärztliche Hilfe ein paar Minuten später gestorben. Ich habe gelesen, dass man mit einem Bauchschuss sogar bis zu zwei Stunden überleben kann.«
»Wer plant und macht so was?«
»Sicher nicht im Affekt. Das sieht nach Berechnung, nach Rache aus. Jemand wollte sich am Löbinger rächen. Aber das ist eure Aufgabe das herauszufinden.«
»Wenn ihr hier fertig seid, denkt daran, wir müssen die Landebahn bis Fünf Uhr geräumt haben, schaut’s mal bei der Enteisungsanlage herum und an dem Löschteich dahinter. Und macht ein paar Abdrücke der Reifenspuren. Die Sohlenabdrücke stammen von unserem lieben Herrn Huber. Sagt er wenigstens. Trotzdem, macht auch hier ein paar Gipsabdrücke. Wir sehen uns dann morgen. Wo lasst ihr die Leiche hinbringen?«
»In die Pathologie nach Freising.«
»Gut dann beeilt euch, bevor die Kasper aus München hier auftauchen.«
»Mögen Sie die nicht so?«
»Nein, die haben’s immer so wichtig, die Herren der Mordkommission. Für die sind wir nur Landeier. Bei uns passiert zu wenig. Doch den Fall lasse ich mir nicht wegschnappen. Und noch mal Danke für die Arbeit in Tuching. Die Arbeit an dem toten Zamperl war doch nicht ganz umsonst. Zuerst der Hund, jetzt sein Herrchen. Also bis morgen, Schaurig.«
»Schurig!«
»Ja, ja. Ich weiß schon, Sorry, bis morgen Schurig. Servus Zeidler. Kommen Sie Frau Schütz. Im Moment gibt es hier für uns nichts mehr zu tun. Gehen wir ein wenig schlafen. Es wird Zeit und morgen ist auch noch ein Tag.«
Es hatte immer noch nicht geschneit. Es war wieder wärmer geworden und die Blätter hatten sich durch die Feuchtigkeit in eine dunkelbraune glitschige Masse verwandelt. Der morgendliche Spaziergang mit Gizmo war nicht so wie sonst. Obwohl Gizmo sich freute, nach einer recht kurzen Nacht draußen auf dem Damm in den Isarauen herumzuspringen und seine Morgenzeitung zu lesen, in dem er an allem herumschnupperte, spürte er, dass sein Herrchen nicht bei der Sache war. Keine aufmunternden Worte, kein Stöckchen werfen, keine Leckerli mal zwischen durch und keine Streicheleinheiten.
Alois Kreithmeier steckte sich eine Zigarette an und lief wie in Trance auf dem erhöhten Weg, blickte auf seine Schuhe, die wie bei einem Roboter automatisch einen Schritt vor den anderen setzten. Sein Körper bewegte sich, seine Gedanken waren ganz woanders. Er ging die letzten 24 Stunden geistig noch einmal durch. Gestern um die Zeit klingelte sein Telefon, der Anruf der Feuerwehr, und ab da, war alles anders: ein toter Hund, eine Leiche und das alles an einem Tag in der Domstadt Freising. Dass die beiden Ereignisse zusammenhängen mussten, war jetzt auch den Chaoten der Spusi klar geworden. Die Witze und die blöden Anspielungen der Kollegen über den toten Dackel waren verstummt.
Eine Leiche an einer so exponierten Stelle wie auf der Landebahn des zweitgrößten Flughafens von Deutschland und immerhin des achtgrößten Europas war auch für die Freisinger Kollegen keine Alltäglichkeit. Kreithmeier wusste, dass die gestrige Nacht nur der Anfang war. Auf der Dienststelle würden sich jetzt sicher die Journalisten und Fotografen die Hand geben. Staatsanwältin Claudia Lehner wartete mit Sicherheit schon auf seinen Bericht. Und die Herren aus München, sei es von der Mordkommission oder vom Landeskriminalamt, saßen wahrscheinlich schon an seinem Schreibtisch, tranken seinen Kaffee und stöberten in seinen Akten.
Eigentlich könnte ihm das ja Recht sein, sollten sich die Großkopferten um den Fall kümmern, dann hätte er seine Ruhe. Also warum die ganze Aufregung? Aber er könnte natürlich auch versuchen den Fall zu lösen? Warum also klein beigeben und das Revier abgeben? Es war sein Fall. Und wenn er die letzten Jahre im Zeitraffer vor seinem geistigen Auge abspulte, wahrscheinlich auch sein größter Fall. Kein durchgeknallter Ladendieb oder depressiver Familienvater. Hier steckte mehr dahinter. Etwas Unheimliches, etwas Böses. Wer machte sich die Mühe einen Geschäftsmann so zu töten und dann den ganzen Aufwand, die Leiche auf die Startbahn zu legen? Könnte es sein, dass er mit diesem Fall überfordert würde? Auch dass mit dem Hund hatte etwas zu bedeuten. Ein Zeichen? Eine Warnung? Nein, eigentlich nicht. Der Löbinger wurde nicht gewarnt, sondern fast zeitgleich erschossen. Und es war nicht nur ein Täter, es mussten mehrere sein. Echte Profis. Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, nur die Reifenspuren. Gut, resümierte Kreithmeier, ein paar Schuhe kann ich mit Plastiktüten abdecken, so dass ich keine Profilabdrücke im weichen Boden hinterlasse, einen Autoreifen wohl eher schwer. Vielleicht hatten die Täter den Wagen in den Löschsee entsorgt. Da mussten dann Taucher her.
Sollte Melanie Schütz sich darum kümmern, sagte er leise vor sich hin, sie hatte ja auch die Reifenspur entdeckt. Mit ihrem Charme würde sie dem THW oder der Feuerwehr sicherlich leicht ein, zwei Taucher abwimmeln, die in diese kalte Drecksbrühe abtauchten und nach einem vermeintlichen Wagen suchten.
Ganz in Gedanken hob er einen Stock auf und warf ihn nach vorne. Gizmo hüpfte hoch und rannte hechelnd dem Holzstück hinterher. Mit einem Sprung schnappte er es in der Luft bevor es auf den Boden fiel. Jetzt brachte er es in den Zähnen seinem Herrchen, um das Spiel zu wiederholen, doch das reagierte nicht. Kreithmeier zog an seiner Zigarette und blies den Rauch kräftig aus der Lunge. Gizmo legte das Stöckchen vor seine Füße. Doch Alois kickte es nur seitlich weg. Gizmo brachte es erneut, doch leider die gleiche Reaktion. Gizmo hatte schließlich verstanden, dass sein Herrchen nicht zum Spielen aufgelegt war. Er könnte ja mal weit weg rennen. Würde das sein Herrchen überhaupt merken? Wohl eher nicht. Kreithmeier schnippte die Zigarette ins feuchte Gras.
Und dann diese gezielten Schüsse, wahrscheinlich aus nächster Nähe, dachte Kreithmeier in sich versunken weiter. Das Opfer muss sie mitbekommen haben. Ein gleichseitiges Dreieck. Ein V. Nicht mal er hätte so etwas zusammen gebracht, obwohl seine Schußergebnisse auf dem Schießstand sich sehen lassen konnten. Woanders hatte er seine Waffe bisher nicht einsetzen müssen. Er hatte sie auch nicht immer dabei. Nach über zwanzig Jahren bei der Polizei, musste er die Waffe nicht ein einziges Mal während des Dienstes benutzen, geschweige denn überhaupt ziehen. Gott sei Dank. Aber ein V schießen, das war schwer. Was wollte der Täter mit dem V ausdrücken, überlegte er. V wie Vendetta, Rache, V wie Vergeltung? Oder V wie Verräter? V wie Victory, Sieg. Sieg über wen? Oder war die Anordnung der Schusswunden reiner Zufall?
Seine Überlegungen wurden gestört, als sein Telefon klingelte. Er zog es aus der Tasche und blickte aufs Display. Er kannte die Nummer, es war Melanie Schütz.
»Guten Morgen junge Frau, können Sie es nicht erwarten, bis ich im Büro bin. Sie haben doch selbst gesagt, ich muss was für meine Figur tun.«
»Das habe ich gesagt. Ich meinte aber nicht gemütliches Spazierengehen mit deinem Hund, sondern eine etwas schnellere Bewegung, Joggen oder Nordic Walking. Das einzige was deinen Kreislauf nach oben treibt ist dein Kaffee am Morgen. Das Hundegassigehen ist was für Rentner. Und soweit bist du ja noch nicht. Übrigens, guten Morgen. Ja, danke ich habe gut geschlafen. Ja danke, mir geht es gut. Ja, danke, meine Füße tun nicht mehr weh. Ja, danke, ich bin schon fleißig und im Büro. Und danke, ich habe mir nur einen kleinen Husten geholt. In der Kälte. Ja danke, ich war noch nicht beim Arzt. Ja, danke, ich fiere nicht mehr.«
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