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An einem regnerischen Tag Anfang Mai stand Mia bei Arthur vor verschlossener Tür. Sie klingelte mehrmals, ohne dass Arthur reagierte. Sie starrte in die Überwachungskamera über der Tür, als könne sie dort des Rätsels Lösung finden. Hatte sie sich im Termin geirrt? War Arthur krank geworden? Hatte er das Interesse verloren?
Feiner Nieselregen durchnässte ihre Jacke. Sie wollte sich schon zum Gehen wenden, als ihr einfiel, dass sie sich nun nicht erneut mit Arthur verabreden konnte. Jeder ihrer Termine lag an einem anderen Wochentag, zu einer anderen Uhrzeit, es gab keinerlei Regelmäßigkeiten. Telefonnummern oder Mailadressen hatten sie nie getauscht. Die Mails vor ihrer ersten Begegnung hatten sie anonymisiert über eine Mailbox vom Szene-Magazin verschickt, die ihnen nicht mehr zur Verfügung stand. Das hatte Arthur nun also von seiner ewigen Geheimniskrämerei. Unschlüssig stand Mia vor dem Haus. Wenn sie jetzt ging und sich nie mehr rührte, war es vorbei. Vermutlich war das gut so. Hatte sie sich nicht schon viel zu lange verkauft? Höchste Zeit, zur Normalität zurückzukehren.
Der Regen wurde stärker und die Kälte kroch Mias Beine hinauf. Ein schwarzer Porsche brauste mit dröhnendem Motor die Straße herunter. Auf Mias Höhe stoppte er nur unwesentlich ab und sauste mit beängstigender Geschwindigkeit in die Tiefgarage des Nachbarhauses. Genervt zog Mia ihre Kapuze dichter ins Gesicht und wandte sich zum Gehen. Sie gehörte nicht hierher, das hier war nicht ihre Welt.
Da öffnete sich die Haustür und eine Frau kam heraus. Mia reagierte blitzschnell. Die Frau, eine Asiatin, hatte ein müdes Gesicht und war einfach gekleidet, vermutlich machte sie in einer der schicken Wohnungen sauber. Mia schlüpfte an ihr vorbei durch den offenen Türspalt. Die Frau schaute ihr nicht mal hinterher. Mia ging die Reihen der Briefkästen durch. Sie war unsicher, welcher zu Arthur gehörte. Die Initialen A. K. passten genauso gut zu ihm wie der Kasten mit dem leeren Namensschildchen. Also fuhr sie mit dem Fahrstuhl hinauf in den vierten Stock. Sie riss ein leeres Blatt aus ihrem Kalender und kritzelte wenige Worte darauf:
»War heute vergeblich hier. Melde Dich, wenn Du mich wiedersehen möchtest. Mia.« Darunter schrieb sie ihre Handynummer. Den Zettel klemmte sie gut sichtbar unter die Fußmatte vor der Tür.
Entgegen ihrer üblichen Gewohnheit, den Heimweg immer zu Fuß zu machen, fuhr sie an diesem ungemütlichen Tag mit dem Bus nach Hause. Sie fühlte sich seltsam verloren und wusste nichts mit dem restlichen Tag anzufangen. Ruhelos wanderte sie durch ihre Wohnung, bis ihr Handy klingelte und eine SMS ankündigte. Atemlos öffnete sie die Nachricht. Sie war tatsächlich von Arthur.
»1000 mal sorry, dass ich dich versetzt habe! Freitag 19 Uhr? Ich werde garantiert da sein. Arthur.«
»In Ordnung. Ich komme am Freitag«, schrieb Mia zurück.
Sie ließ sich auf ihr Sofa sinken. Endlich konnte sie entspannen.
Am Freitag entschuldigte Arthur sich, kaum dass Mia zur Tür hereingekommen war. »Es tut mir sehr leid, dass du neulich vergeblich warten musstest. Du weißt, das ist gar nicht meine Art.«
»Was weiß ich schon, was deine Art ist?«, entgegnete Mia spitz. Sie wollte es ihm nicht zu leicht machen. »So gut kennen wir uns ja nun wahrhaftig nicht. Was war denn los?«
»Ich hatte einen beruflichen Termin, der sich unerwartet in die Länge zog.«
Arthur nahm ihr den Mantel ab und hängte ihn in den Garderobenschrank.
Mia sagte verwundert: »Du arbeitest? Ich hatte bisher den Eindruck, dass du ständig zuhause bist.«
»Das eine schließt das andere ja nicht aus. Aber zugegeben, mein Arbeitseifer war schon mal bedeutend größer.«
»Was arbeitest du denn?
»Ich bin Unternehmensberater.«
Fast war Mia ein wenig enttäuscht. Irgendwie hatte sie erwartet, Arthur würde sagen, er sei der wichtigste Berater des amerikanischen Präsidenten. Oder des UNO-Generalsekretärs. Er sei der Mann, an dem auf dieser Welt niemand vorbei kam. Unternehmensberater klang so banal. Allerdings sagte es natürlich nichts über die Kunden aus, die Arthur hatte. Und es war auch keine Überraschung. Mia hatte Arthur von Anfang an keinen sonderlich originellen Beruf zugetraut. Er war ein langweiliger Anzugträger, der nur Geld und Macht im Sinn hatte, das stand für sie fest.
Arthur ging hinter ihr her ins Wohnzimmer und schien genau darauf zu achten, kein Wort zu viel zu sagen. Mia ließ trotzdem nicht locker. Wenn sie schon mal dabei waren, dann durfte er jetzt auch ein bisschen mehr preisgeben – als Ausgleich dafür, dass er sie versetzt hatte.
»Unternehmensberater mit geringem Arbeitseifer – und da kann man sich das alles hier leisten?« Mit einer Handbewegung umfasste Mia die Wohnung mit allem Inventar einschließlich Elbblick. Herausfordernd sah sie Arthur an. Der Unternehmensberater passte zu ihm. Allerdings passte diese ständige Tagesfreizeit überhaupt nicht zu all dem Geld, das Arthur offensichtlich besaß. Als erfolgreichem Unternehmensberater war es ihm doch wohl kaum möglich, nur im Homeoffice zu hocken und nebenbei ständig Frauen zu empfangen.
Arthur zögerte. Er setzte den verschlossenen, abwehrenden Blick auf, der Mia mittlerweile bestens vertraut war, und mit dem er in der Regel jedes Gespräch, das ihm lästig wurde, abrupt beendete. Ruhig füllte er zwei Gläser mit Rotwein – Champagner und Whisky waren offenbar aus – und antwortete erst, nachdem er einen Schluck genommen hatte.
Er wählte jedes Wort mit Bedacht. »Ich war früher mal ein recht erfolgreicher Investmentbanker. Damals war ich von Ehrgeiz zerfressen und habe mich fast zu Tode gearbeitet. Aber die Zeiten sind vorbei. Heute nehme ich nur noch ausgewählte Projekte an und den Rest der Zeit …«, es folgte ein überraschend anzüglicher Blick in Mias Richtung, »verbringe ich schweigend und genießend. Und ja, ich kann mir das alles leisten, weil ich mich als Banker dumm und dämlich verdient habe. Ganz einfach.« Mit einem abschließenden Lächeln wandte er sich seinem Sessel zu. »Dann können wir wohl zur Tagesordnung übergehen.«
Als es vorbei war und sie wie üblich gemeinsam ans Fenster traten, sahen sie, dass das bisher recht freundliche Wetter umschlug. Riesige schwarze Wolken ballten sich über der Elbe zusammen und vor allem die kleineren Boote schaukelten bedenklich im unruhigen Flusswasser hin und her. Von einer Minute auf die andere wurde aus einem kräftigen Wind ein handfester Sturm. Müll wirbelte durch die Luft, auf einer Baustelle fielen Absperrgitter um, ein kleines Segelboot kenterte ein Stück elbabwärts. Wie Käfer stoben die Menschen auseinander und suchten Schutz vor dem urplötzlich einsetzenden heftigen Regen. Mehrere Männer kämpften mit einer Zeltplane, die sich vor einem Restaurant losgerissen hatte. Doch der Sturm, der nun zum Orkan anschwoll, ergriff die Plane und wehte sie aufs Wasser hinaus, wo sie eine Barkasse unter sich begrub. Fasziniert und beklommen zugleich starrte Mia hinaus.
»Da kannst du jetzt unmöglich rausgehen«, sagte Arthur, und obwohl Mia sich über seinen bestimmenden Tonfall ärgerte, musste sie zugeben, dass er recht hatte.
Schweigend standen sie nebeneinander und beobachteten das Chaos, das dieses plötzliche Unwetter ausgelöst hatte.
»Ja, also, was machen wir dann jetzt?«, fragte Mia ratlos.
Arthur war genauso unschlüssig und hilflos wie sie.
Endlich fragte er: »Wie wär’s mit Essen? Hast du Hunger?«
Essen war eine großartige Idee! Da waren sie beide beschäftigt und nicht gezwungen, miteinander zu reden. Denn wer weiß, wie lange dieses Unwetter anhalten würde.
»Essen ist gut«, sagte Mia. »Was gibt deine Küche denn so her? Hummer? Kaviar?«
Arthur war irritiert. » Darauf hast du Appetit?«
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