»Aua!« Sie warf dem Mann einen bösen Blick über die Schulter zu und wollte weiter hasten.
»He!« Der Mann stoppte sie, indem er nach ihrem Arm griff.
Was fiel dem Kerl ein? Wollte er jetzt etwa mit ihr darüber diskutieren, wer hier wen angerempelt hatte?
Kampflustig drehte sie sich um: »Ja?«
Zu ihrer Überraschung lachte der Mann freundlich.
»Hallo Mia!«
Das Gesicht kam ihr bekannt vor, aber sie konnte es nicht gleich einordnen.
»Frank«, half ihr der Mann auf die Sprünge. »Wir sind uns bei Andreas Party begegnet.«
»Ach, richtig.« Natürlich, Frank, der Nachbar von Andrea. Den hatte sie mittlerweile längst vergessen. Während sie sich anklagend den Bauch hielt, sagte sie: »Das ist ja eine Überraschung. Was treibst du so, wenn du nicht gerade unschuldige Frauen über den Haufen rennst?«
»Tut mir echt leid. Aber du kamst angefegt wie ein Tornado, da hatte ich keine Chance mehr, auszuweichen.«
Sie musterte Frank. Er sah anders aus als beim letzten Mal, aber sie wusste nicht genau, woran das lag. War er schlanker? Trug er eine andere Frisur? Andere Brille? Was auch immer es war, es stand ihm gut und ließ ihn interessanter als bei ihrer ersten Begegnung erscheinen.
Versöhnlich sagte Mia: »Das mit dem Tornado war aber auch nicht gerade ein Kompliment.«
»Ähm … nee, nicht so richtig. Aber ich könnte dir ein echtes Kompliment machen.«
»Dann mal los!« Mia grinste erwartungsvoll.
Er holte tief Luft, machte eine theatralische Geste und sagte dann: »Gnädigste, Sie sehen heute einfach umwerfend aus!«
Sie lachten gemeinsam, als sei dieser alberne Witz der brillanteste Gag aller Zeiten.
»Du, ich habs wahnsinnig eilig«, sagte Mia schließlich.
»Ich auch. Hast du meine Telefonnummer noch?«
»Ich weiß nicht. Glaube schon, ja.«
»Dann ruf doch mal an.«
Er drehte sich um und verschwand in der Menge.
Ruf doch mal an. Warum wollte er nicht anrufen? Seit wann telefonierten Frauen den Männern hinterher?
Sie rief ihn trotzdem zwei Tage später an. Er freute sich.
»Wollen wir mal zusammen essen gehen?«, fragte er.
»Das hast du mich schon mal gefragt.«
»Stimmt. Diesmal machen wir es aber, ja?«
»Ja.«
Sie trafen sich bei einem Italiener auf St. Pauli. Frank trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Wer zuletzt lacht, hat es einfach nicht früher begriffen.«
»Du trägst gerne Shirts mit solchen Sprüchen, oder?«, stellte Mia fest. Sie fand das ziemlich kindisch. Frank hatte sich überhaupt keine Mühe bei der Wahl seiner Kleidung gemacht. Er trug dieses alberne Shirt und dazu eine alte, abgewetzte Jeans. Mia hingegen hatte sich dreimal umgezogen, bevor sie sich für eine schwarze Bluse mit bunter Stickerei auf der Brust und einen sehr kurzen, roten Stretchrock entschieden hatte.
Obwohl sie einen neckenden Tonfall angeschlagen hatte, sah Frank bestürzt aus. »Ist das schlimm? Blamiere ich mich grade total?«
»Ein bisschen, ja.«
Er wurde tatsächlich rot. »Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass ich eine Frau finde«, murmelte er und stocherte mit gesenktem Kopf in seiner Pizza herum. Verlegen schielte er zu Mia hinüber. Sie fing seinen Blick auf und plötzlich machte ihr Herz einen Hüpfer und die Welt drehte sich nur noch für sie.
Nach dem Essen gingen sie in eine Bar um die Ecke. Sie saßen dicht nebeneinander auf Barhockern am Tresen und ihre Knie berührten sich. Es war zu laut, um sich richtig zu unterhalten, also tranken sie schweigend ihre Cocktails und beobachteten das Treiben um sich herum. Als Frank sich vorbeugte, um sie etwas zu fragen, kam Mia ihm so weit entgegen, dass sich ihre Wangen berührten.
»Willst du noch was trinken oder lieber gehen?« Franks Lippen waren dicht an ihrem Ohr.
»Gehen«, sagte Mia, rührte sich aber nicht vom Fleck. Frank roch gut und er fühlte sich gut an. Er fuhr ihr leicht mit der Hand über die Wange und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. In seinen Augen lag eine unbeschreibliche Zärtlichkeit.
Auf der Straße fasste er ihre Hand und ließ sie nicht mehr los, bis sie in seiner Wohnung im Schanzenviertel ankamen. Im Treppenhaus kicherten sie ausgelassen bei der Vorstellung, Andrea könne aus ihrer Wohnung kommen und wie eine Concierge kontrollieren, wen Frank zu so später Stunde mit nach Hause brachte. Arm in Arm taumelten sie in Franks Wohnung hinein.
»Was möchtest du trinken?«, fragte Frank. Er kramte in einer kleinen Abstellkammer hinter der Küche. »Wie wäre es mit einem Bier?« Dann ging er zum Kühlschrank hinüber und schaute hinein. »Du könntest natürlich auch ein Bier kriegen.«
Mia lachte. »Hm, mal sehen … ich glaube, ich nehme das Bier.«
»Das ist eine sehr gute Wahl.«
Frank öffnete zwei Flaschen und reichte ihr die eine. Sie gingen ins Wohnzimmer und ließen sich auf einem kleinen Sofa nieder. Franks Wohnung war typisch männlich eingerichtet – mit einem wilden Sammelsurium aus praktischen, aber stillosen Möbeln und wahren Geschmacklosigkeiten wie einem aufblasbaren Sitzkissen, das aussah wie ein riesiger Fußball. Der Aschenbecher auf dem Couchtisch quoll über und in einer Ecke standen einige leere Bier- und Weinflaschen. Ordnung schien auch nicht unbedingt Franks Sache zu sein.
Besorgt folgte er Mias Blicken. »Hier ist es ziemlich unordentlich, tut mir leid.«
Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie den Abend bei ihm beenden würden. Das überraschte Mia. Aber es sprach auch für Frank. Er hatte nicht geplant, sie abzuschleppen, es war einfach passiert.
»Kein Problem«, sagte sie leichthin und prostete Frank mit ihrer Flasche zu. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, die Konturen wurden markanter, der niedliche Junge verwandelte sich in einen begehrenswerten Mann. Er legte Mia seine große Hand an die Wange, und sie schmiegte sich hinein. Diese kleine, intime Geste barg alles in sich – ihr Vertrauen in Frank, ihr Begehren und, ja, ihre Liebe. Sie stellte keine Fragen, sie war nicht unsicher oder ängstlich, sie wusste in dieser Sekunde mit geradezu überwältigender Klarheit, dass sie Frank wollte, jetzt und für immer.
»Darf ich dich küssen?«, fragte Frank, und als sie »Ja!« sagte und die Wärme seiner Lippen spürte, war das für sie wie ein Versprechen.
Frank ließ sich viel Zeit, sie auszuziehen und ging dabei sehr behutsam und zart vor. Geradezu ehrfürchtig öffnete er ihren Büstenhalter und nahm ihn in die Hand.
»Wow!«, rief er begeistert.
Mia rekelte sich auf dem Sofa und hob ihm erwartungsvoll ihre Brüste entgegen. Zu ihrer Verwunderung galt Franks Kompliment jedoch ihrer bordeauxroten Unterwäsche, die mit schwarzer Spitze besetzt war, und nicht ihrem nackten Körper mit der makellosen Haut und der sanften Wölbung unter dem flachen Bauch.
Frank hielt mit seligem Gesichtsausdruck eins der BH-Körbchen an seine Nase und schien Mias Irritation gar nicht zu bemerken.
»Was für wundervolle Wäsche«, murmelte er hingerissen und nun erst besann er sich auf das Wesentliche.
Als er sich auf Mia rollte, ging er dabei sehr vorsichtig vor, fast ängstlich. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er. Es schien ihn nicht zu beruhigen, dass Mia vor Glück strahlte. Nur zögernd drang er in sie ein und vergewisserte sich dabei immer wieder, dass es ihr gut ging. Er war der zärtlichste, rücksichtsvollste Liebhaber, den Mia je gehabt hatte. Alles an ihm fühlte sich warm, weich und sehr vertraut an.
In einer einzigen Nacht vervollständigte Frank alles, was Mia je gefehlt hatte. Sie war die glücklichste Frau auf der Welt.
Als Mia das nächste Mal zu Arthur kam, nahm er nicht auf dem Sofa, sondern auf einem weißen Sessel am Fenster Platz. Er hatte ein Kissen für sie bereitgelegt, geschmacksneutrale Kondome besorgt und zusätzlich zum Champagner standen Wasser und Scotch zur Auswahl. Mia blieb beim Champagner, Arthur schenkte sich Whisky ein. Sie wechselten noch weniger Worte als beim ersten Mal. Mia erledigte ihren Job, trank Champagner, schaute dabei ein paar Minuten aus dem Fenster auf die Elbe und die Baukräne auf den zahlreichen Baustellen ringsum, dann verabschiedete sie sich und ging heim.
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