„Den haben wir natürlich mitgenommen, der war ja voll von Erinnerungen“, schmunzelte sein Opa.
„Wir sind dann über Milano gemütlich Richtung Heimat gefahren und haben von unserem restlichen Geld endlich wieder italienisches Essen genossen.
Deiner Omi ging es plötzlich gar nicht gut. Wir dachten, anscheinend hatte sie den Fisch oder die Muscheln nicht vertragen, vielleicht war es die Mayonnaise im Krabbensalat am letzten Abend. Jedenfalls musste sie sich während der ganzen Fahrt oft übergeben. Ich wollte eigentlich durchfahren bis München, aber dann hat deine Omi wegen des hohen Flüssigkeitsverlustes auch noch Fieber bekommen. Da bin ich einfach von der Hauptstraße abgebogen, um ein Dorf, ein Hotel oder einen Campingplatz zu finden. Es dämmerte bereits und es fing auch noch an zu regnen. Irgendwann wusste ich nicht mehr, wo wir uns befanden. Kein Licht aus einem Fenster, kein Kirchturm, damals wurden sie noch nicht beleuchtet. Deine Omi neben mir stöhnte im Fieber, nuschelte etwas von Händen, die nach ihr greifen, ich verstand es nicht, bekam aber immer mehr Angst. Ich stoppte an einer Abzweigung, ich dachte ich hätte ein Licht gesehen. Als ich ausstieg, um nach einen Wegweiser zu suchen, stand sie plötzlich vor mir.
Ich war so erschrocken, dass ich kein Wort herausbrachte. Sie war klein, zierlich in ihrem langen, dunklen Umhang, aber ihre Augen funkelten unter ihrer Kapuze, dass ich einen Schritt zurück von ihr wegstolperte. Sie fragte mich mit einer so sanften Stimme ob ich mich verirrt hätte, dass ich ihr, trotz dieser dunklen, allwissenden Augen, unsere ganze Geschichte erzählte.
„Da hast du Glück gehabt“, sagte sie und holte aus den vielen Falten ihres Umhanges eben diesen Stein hervor. Ich sollte ihn meiner Liebsten auf die Stirn legen und wieder zurück zur Hauptstraße fahren. Es gäbe nur ein unbewohntes Haus hier in der Gegend.
Ich habe anscheinend so verdattert geguckt, dass sie mich mit blitzenden Augen anfuhr: „Tu was ich dir sage, fahr nach Hause, deiner Frau wird es besser gehen, sie wird etwas Wunderschönes träumen.“
Als ich mich stotternd bedanken wollte, nahm sie meine Hand, in der der Stein immer heißer wurde, fest in ihre kleinen aber kräftigen Hände und knurrte mit ihrer heiseren eindringlichen Stimme:
„Du brauchst dich nicht zu bedanken, aber vergiss nicht, etwas Gutes dafür zu tun, dann kommt er irgendwann wieder zu mir zurück und der Kreis wird sich schließen.“
„Ich habe es ihr versprochen bei allem was mir lieb und heilig war.“
„Und..was habt ihr getan?“, hatte Peter neugierig gefragt.
„Eigentlich nichts.“ Verlegen blickte er auf den Stein und schnaufte tief durch.
„Ach, die Geschichte hatten wir schnell vergessen. Obwohl, deiner Omi ging es auf der Weiterfahrt besser und sie hat bis nach Hause mit dem Stein auf ihrer Stirn geschlafen und geträumt.
Wie sich später herausstellte hatte deine Omi einen Malariaanfall. Sie hatte sich in Indien, trotzt der Tabletten, die wir regelmäßig jeden Tag einnahmen, die Malaria eingefangen. Sie hätte in dieser Nacht sterben können.
Den Stein hat sie dann, wie eine Arznei, oder wie ein Wundermittel immer bei sich getragen. Sie hatte ihn zwei Mal verloren und schon aufgegeben, aber er ist immer wieder an den unmöglichsten Orten aufgetaucht. Später hat sie dann ein Loch durch den Stein bohren lassen und ihn an dem Lederband um den Hals getragen, bis ich ihr irgendwann eine schicke Goldkette geschenkt habe.“
Als Peters Mama nach zehn Uhr mit ihrem Sportwagen viel zu schnell, mit quietschenden Reifen, in die Einfahrt einbiegt, sitzt Peter mit saurem Gesicht auf seinem knallroten Trolley vor der Garage.
„Jetzt ist es viel zu spät, wir können zu Hause bleiben, ich will sowieso nicht in das blöde Camp.“
„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht früher weil......ach was soll´s, komm steig ein, wir schaffen das schon.“
Während Peter seinen Trolley auf den Rücksitz wuchtet, kommt Selma aus dem Haus gelaufen. „Hier sind für jeden zwei Sandwiches und zwei Flaschen Mineralwasser, da braucht ihr unterwegs nicht anzuhalten.“
Sie drückt Peter an sich, der seine Arme um ihre runde Taille schlingt und gibt ihm einen Kuss auf sein Haar.
„Tschüss mein Liebling, pass gut auf dich auf“!
Peter rutscht auf den Beifahrersitz und schnallt sich an. Er fummelt an dem Schloss zwischen den Sitzen herum, damit keiner seine Träne sieht, die ihm über die blasse Wange kullert.
“Ciao Selma“. Er weiß, dass er sie am meisten vermissen wird.
Sieben
„Du kannst ruhig schneller fahren, auf den Autobahnen in Italien ist hundertdreißig erlaubt. Übrigens hat dein Auto einen Tempomat, wir können locker mit hundertvierzig cruisen.
„Du hast es aber eilig, in dein geheimnisvolles Tal zu kommen.“ grinst Nikos Opa ohne zu ahnen, was ihn dort alles erwartet.
Die beiden haben ein inniges Verhältnis zueinander. Sein Opa ist der Ruhepunkt in seinem bisweilen turbulenten jungen Leben, auf seinen Opa kann er sich verlassen.
Niko hat viel Zeit bei seinen Großeltern verbracht. Schon als Baby, noch mehr, als seine Mama ihren Traumjob in Indien annahm. Erst vor kurzem hatten sie, als sie auf dem Dachboden nach Papas alter Dampfmaschine suchten, aus einem Umzugskarton, auf dem mit Filzstift groß “NIKO“ geschrieben stand, einen Stapel loser Zeichenpapiere gefunden.
„Diese Aquarelle waren deine Erstlingswerke. Mit meinem alten Farbkasten habe ich dir die Farben beigebracht. Mein Gott, war das immer eine Panscherei. Du hast immer viel zu viel Wasser mit dem Pinsel in die Farben gerührt. Du kanntest schon lange, bevor du in den Kindergarten gingst, alle Farben.“
Stolz und ein bisschen Traurigkeit klingt aus Opas Stimme. Niko hatte viel von seinem Opa gelernt. In den ersten zwei Jahren in der Grundschule erzählten die Lehrer während eines Elternabends, das Niko schwer zu überzeugen sei , da er oft eine Diskussion mit dem Argument beendet – das hat mein Opa gesagt.
„Weißt du, wie der Ort heißt, wo der Treffpunkt sein soll? Das Tal kenne ich, glaube ich, aber den Namen des Ortes hat mir dein Papa in der ganzen Hektik nicht genannt, oder ich habe ihn einfach überhört.“
Es war schon, wie des Öfteren, wieder alles unklar gewesen. Erst hieß es, Nikos Mama käme für zwei Monate aus Indien zurück, da dieses Jahr der Monsun in der Region um Kanpur, wo sie arbeitet, besonders heftig sei. Deswegen wäre Niko auch nicht ins Feriencamp gefahren, um bei seiner Mutter zu sein. Dann rief sie über ein Satellitentelefon an - das indische Festnetz funktioniert in der Monsunperiode in den entlegeneren Regionen nicht mehr - dass sie doch nicht käme. Ihr Team ist in den Süden nach Bangalore umgezogen. Dort sei das Klima erträglicher, nicht so feucht und heiß, und weil sie sich gerade in der wichtigsten Phase des Projektes befinden.
So kam es, dass ihn heute Morgen Niko ganz aufgeregt anrief: „Opa, Opa kannst du mir helfen, ich fahre jetzt doch in das Feriencamp, Papa kann mich nicht hinbringen, weil er ausgerechnet heute nach Berlin muss, aber i..i..i..ich muss heute Nachmittag um drei Uhr am Treffpunkt sein!“
Niko redet immer sehr schnell, aber wenn er aufgeregt ist, Angst hat, fängt er an zu stottern. Sein Opa weiß das. „Wann soll ich kommen“?
„Gleich......bitte“!
„Soviel ich weiß, liegt das Camp am Ende des Tales. An der Straße dorthin gibt es keine Ortschaft, also muss der Meeting- Place am Taleingang liegen.“
„Okay, ich war zwar schon lange Zeit nicht mehr in diesem Tal, aber wir beide schaffen das doch, wie immer.“
Sie grinsen sich beide an.
„So, und jetzt suchst du `mal eine fetzige CD im Handschuhfach.“
„Und du gibst jetzt endlich Gas, Opa!“
Nachdem sie eine Zeit lang schweigend den Rhythmus, Opa am Lenkrad, Niko auf seinen Oberschenkeln, von „Highway to Hell“ mitgetrommelt haben, ruft Nikos Opa durch das Dröhnen des Basses: „Ich erinnere mich jetzt an das Tal, dreh` doch bitte mal` etwas leiser.“
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