Peter schaut triumphierend von Niko zu Julia. Diese kann sich einen bewundernden Blick auf Peter nicht verkneifen. Niko wendet sich heftiger als er es wollte an seinen Opa. „Okay, wenn dich das beruhigt, kannst du jetzt losdüsen.“
Nikos Opa spürt die Spannung zwischen den dreien, aber das findet er ganz normal. Das Wetter und die Unzuverlässigkeit der Camp-Verwaltung macht ihm die Entscheidung schwer, die Kinder alleine zu lassen. Doch ein Blick in ihre entschlossenen Gesichter bringt ihn letztendlich doch zu dem Entschluss jetzt loszufahren. So gerne er Niko umarmen würde, weiß er doch, dass dies heute nicht passt. So wendet er sich forsch an die drei.
„Give five“, klatscht die cool entgegengestreckten Kinderhände ab und geht rückwärts zu seinem Auto.
Niko begleitet ihn, er weiß, dass er vorhin zu barsch war. „Fahr` vorsichtig Opa“, flüstert er vertraut.
„Pass auf dich auf, Großer“, schaut ihm sein Opa lächelnd in die Augen.
„Ach ja, hat einer von euch sein Handy dabei?“, ruft er hoffnungsvoll beim Einsteigen.
„Handys sind im Camp nicht erlaubt“, kommt es verärgert wie aus einem Munde zurück.
„Das macht die Sache nicht leichter“, murmelt Nikos Opa und lässt die Seitenscheibe herunter.
Er blickt in das Tal hinein. Der Fluss, der sandige Weg am Fluss entlang, der lichte Lärchenwald auf beiden Seiten, die dunklen Wolken, die zwischen den Bergen eingeklemmt scheinen, wie damals. Ein ungutes Gefühl beschleicht ihn. Irgendwo war doch hier dieses sonderbare Haus gewesen.
Neun
Der Blitz und der darauffolgende Donnerschlag lässt die drei zusammenfahren. Mit weit aufgerissenen Augen blicken sie in das immer düsterer werdende Tal hinein.
Seit fast einer Stunde warten sie nun auf den Bus. Peter hatte sich etwas abseits wieder auf seinem Trolley unter der dicken Eiche niedergelassen und sich seine Kopfhörer in die Ohren gesteckt. Ein klares Zeichen, in Ruhe gelassen zu werden. Julia und Niko unternehmen gar nicht erst den Versuch, mit ihm zu reden. Julia hat Niko von ihrem Bauernhof, von Babu, Elsa und Gertrud erzählt. So war die Zeit schnell vergangen, dass sie gar nicht bemerkten, wie die schweren, dunkelgrauen Wolken immer tiefer von den Bergen herab in das Tal gekrochen sind. Alles um sie herum hat seine Farben verloren, die Konturen verschwimmen in dem bedrohlichen Grau des Himmels.
Peter kommt schneller als er eigentlich will auf Julia und Niko zugelaufen.
„Das war aber nahe “, versucht er cool zu bleiben.
„Bin ich erschrocken“, haucht Julia mit ängstlicher Stimme.
„Im Gebirge können Gewitter ganz schön gefährlich werden.“Nikos Stimme zittert leicht.
Sie schauen sich an und unwillkürlich rücken sie näher zusammen.
„Die haben uns vergessen“, rufen sie fast gleichzeitig und müssen lachen, auch wenn es sehr unsicher klingt.
Niko blickt zu den tief hängenden Wolken hinauf. „Wenn es jetzt zu regnen beginnt, dann wird´s richtig bescheuert.“ Noch bevor er zu Ende gesprochen hat, klatscht ein dicker Regentropfen auf seine Stirn.
„Scheisseeeeee !“ Sie packen ihre Rucksäcke und rennen gemeinsam zur Eiche, wo Peter bereits seinen Anorak aus dem Trolley zieht.
Ein heftiger Windstoß erfasst den mächtigen Baum, die kräftigen Äste ächzen qualvoll wie unter Schmerzen. Aus dem Rauschen der Blätter klingen klagende Stimmen, als wollten sie die Kinder warnen.
Die Regentropfen formen kleine Krater im sandigen Staub der Straße. Noch dringt kein Regen durch die dichte Krone der Eiche.
Auch Julia und Niko haben ihre Windjacken aus ihren Rucksäcken gewühlt und sich die Kapuzen übergestülpt. Mit Julia in der Mitte kauern sie am runzeligen Stamm der uralten Eiche.
Vom Ende des Tales hören sie das Gewitter grummeln, der Donner rollt durch das Tal und wird lauter und lauter. Mit einem peitschenden Knall entlädt sich der Blitz über ihnen.
Wieder ein dreistimmiges “Scheisseeee !“
„Wir müssen hier weg“, schreit Julia durch den Donner.
„Natürlich, Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen, oder so ähnlich.“ Peter ist schon aufgesprungen und hat seinen Trolley gepackt.
„Quatsch, alle Erhebungen sind bei Gewitter gefährlich. Im Freien ist es am sichersten sich flach hinzulegen. Aber hier ist es noch trocken. Also was machen wir jetzt“? Niko schaut die beiden fragend an.
„Am besten, wir suchen das verflixte Camp, es muss doch hier im Tal sein und da führt nur dieser eine Weg hin, oder“?
„Peter hat recht, wir sollten zum Camp gehen, bevor es ganz dunkel wird, ich möchte nicht im Freien übernachten“, bestimmt Julia und huckt sich ihren Rucksack auf.
Wie ein grauer Schleier umgibt der Regen die schützende Baumkrone. Mit hochgezogenen Schultern und eingezogenen Köpfen marschieren sie in die Regenwand. Inzwischen haben sich schon große Pfützen in den Schlaglöchern der Sandstraße gebildet. Niko stupst Julia an und deutet mit seinem Blick auf Peter, der immer noch seine Flip-Flops an hat und seinen Trolley durch die Wasserlachen hinter sich her zieht.
„Typisch verwöhnter Stadtjunge, der war noch nie Bergwandern.“, spöttelt Julia. Als ob Peter es gehört hätte, dreht er sich um: „Ihr könnt barfuß, laufen das Wasser ist ganz warm.“
Sie lachen. „Er hat eigentlich recht, meine Turnschuhe lassen eh schon das Wasser durch.“
„Gute Idee“, ruft ihm Julia entschuldigend zu, “meine Bergstiefel sind auch schon bis zum Rand voll.“
Jauchzend und johlend patschen sie durch die braunen Pfützen, sie fühlen sich verbunden und marschieren gut- gelaunt drauf los.
Der Regen hat nachgelassen, die drei stolpern still, verdrossen vor sich hin. Über ihnen ein Himmel ohne Mond und Sterne, die Dunkelheit senkt sich in das Tal.
Es wird ihnen allen ganz mulmig, aber keiner will als erster seine Angst zugeben, dass sie das Camp nicht finden werden.
„Irgendetwas stimmt da nicht“, unterbricht Niko dann doch das beklemmende Schweigen. Erlöst beginnen Julia und Peter gleichzeitig loszuplappern.
„Hier gibt es kein Camp, oder wir haben uns verlaufen. Normalerweise müssten sie nach uns suchen.“
„Vielleicht sind wir im verkehrten Tal, hätten wir nur ein Handy dabei, so ein Blödsinn, Handys im Camp zu verbieten.“
„Das Camp ist am Ende des Tales und das Tal ist lang, sonst würden sie uns ja nicht mit dem Bus abholen. Die haben uns einfach vergessen, weil wir zu spät am Treffpunkt waren. Wir laufen jetzt weiter, wir müssen eng beieinander bleiben damit wir uns nicht verlieren, oder gar in den Fluss fallen.“
Keiner kann darüber lachen, aber Niko findet, einer muss cool bleiben und das Kommando übernehmen.
„Mir tun die Füße weh, barfuß laufen war doch keine gute Idee“, stöhnt Julia.
„Hast du nicht gesagt du würdest dein Leben lang“….
„Hört auf mit der Streiterei“, fährt Niko dazwischen, “ich glaube, ich habe ein Licht gesehen.“
„Das Camp, das Camp“, jubeln Julia und Peter.
„Bestimmt schlafen schon alle, in solchen Camps muss man ja immer so früh aufstehen“, lästert Peter, schon wieder oben auf. Die Angst ist verflogen, sogar die kalten, müden Füße sind vergessen.
„Jetzt ist es wieder verschwunden“, ruft Niko enttäuscht.
„Ich kann es sehen, ich kann es sehen, dort drüben, wir müssen hier abbiegen.“ Julia ist ganz aufgeregt.
Der schmale Weg ist gerade noch zu erkennen, doch sie können das Licht zwischen den Baumstämmen tanzen sehen.
Aufgeregt, bemüht, das Licht nicht aus den Augen zu verlieren, laufen sie den holprigen Weg entlang, der durch einen lichten Wald führt, bis sie plötzlich vor einem großen schmiedeeisernen Tor stehen.
„Das ist nicht das Camp.“ Enttäuscht umfasst Peter die geschwungenen Eisenstäbe des einen Torflügels, der mit einem hässlichen Quietschen einen Spaltbreit nachgibt.
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