Peter Platsch
Casa Pipistrelli
Das Haus der vergessenen
Dinge
Du bekommst jeden Tag irgendetwas
versprochen.
Von Deinen Eltern, von Deinen Freunden
in der Schule, im Verein
auf Plakaten , auf Deinem Bildschirm
Doch die meisten Versprechen werden nicht gehalten
oder einfach vergessen.
Für alle, die lesen können
aber auch für
Frösche, Wölfe und Schmetterlinge
zum Träumen
zum Gruseln
zum Erinnern
aber nicht
zum Vergessen
Eins
Sie wispern, tuscheln, flattern aufgeregt, dann hängen sie wieder ruhig im düsteren Gebälk von Casa Pipistrelli.
„Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen“, flüstert die eine nachdenklich.
„Er wird sie wohl suchen“, raunt die andere und hängt sich etwas bequemer.
Eigentlich mögen sie die Menschen nicht besonders. Sie sind ihnen viel zu laut, sie bringen alles durcheinander und sie sind schwer zu unterscheiden – wer ist gut, wer ist böse. Aber seitdem der Fluch der Krähe die alte Villa wie ein klebriges Spinnennetz überzogen hat, ist es zu still geworden, sogar die Uhren ticken nicht mehr, als wäre die Zeit stehen geblieben.
„Er muss sie finden, bevor sich diese Gauner alles unter den Nagel reißen.“ murmelt die mit dem grauen Fell und zeigt angriffslustig ihre spitzen Zähne.
„Wenn der Verrückte wüsste, was die so alles treiben in seinem Tal.“ Beifälliges Gemurmel.
„Hätte er sein Versprechen gehalten, wäre alles anders gekommen.“
„Die Bäume würden wieder blühen und wir hätten genug Beute zum Jagen.“ seufzt verdrossen die Junge, die nahe beim Dachfenster hängt.
„Alle haben sie etwas versprochen“, schwirrt es aus der düsteren Tiefe des Gebälks ...….und?
„Menschen , große Menschen! Sie sind so leichtsinnig mit ihren Versprechen“ zischen die anderen verächtlich.
„Ein vergessenes Versprechen ist wie eine Lüge!“ Keiner wusste genau woher die Stimme kam. Sie war selten zu hören.
Nachdenkliche Stille durchdringt den einzigen bewohnten Raum von Casa Pipistrelli.
„Ich glaube er hat sie gefunden. Ich habe sie gesehen, unten am Fluss, es sind drei.“
„ Drei, was? „ knurrt die Graue wieder.
„Ein Mädchen und zwei Jungen.“
„ Alt ? “
„Es sind Kinder, gerade noch Kinder! „
„Na endlich!“ murmelt die Graue. Ein Hoffnungsschimmer schwebt wie ein warmer Lufthauch durchs Gebälk.
„Wir müssen auf sie aufpassen!“
Wieder flüstern und flattern sie aufgeregt sodass der feine Staub im trüben Licht silbrig zwischen den Balken wirbelt. Zu lange haben sie schon auf die unschuldigen Seelen gewartet, die endlich die Geschichte zu Ende bringen.
Das Wasser schimmert blau, es sieht so sauber aus und man könnte es trinken, wenn es nicht so bitter nach Chlor schmecken würde. Zwei Blätter schaukeln auf den Wellen, obwohl Windstille herrscht.
Peter liegt faul auf seiner Luftmatratze am Rande des Swimmingpools und schaut gelangweilt der kleinen Katze zu, die im Wasser rudert, nein, sie zappelt und versucht in seine helfende Nähe zu gelangen.
Ihre Augen sind weit geöffnet, und obwohl das blaue Wasser sich darin spiegelt sind sie gelb vor Angst.
„Schafft sie es, oder wird sie ertrinken?“
Der Gedanke, sie könne untergehen, beunruhigt Peter kaum, aber die Langeweile weicht einer kribbeligen Anspannung.
„Vielleicht hätte ich sie doch nicht hineinschubsen sollen.“
„Was soll denn dieser Blödsinn, hol sofort das Kätzchen heraus!“ ruft Selma, die Haushälterin der Familie und kommt schnaufend durch die weit offene Terrassentür auf Peter zugelaufen. Peter dreht sich aufreizend langsam auf den Rücken, blinzelt in die Sonne.
„Was kann ich dafür, wenn die blöde Katze nicht schwimmen kann.“
„Na warte“, zischt Selma, legt sich mit einem Seufzer auf den Bauch und erreicht mit ausgestrecktem Arm gerade noch das Kätzchen, packt es am Nacken und zieht es heraus auf die sicheren Fliesen am Pool.
Das Kätzchen sieht mit dem nassen Fell noch kleiner und sehr dünn aus. Es liegt eine Zeitlang bewegungslos in der Pfütze
am Boden, nur sein magerer Bauch zuckt so schnell wie das kleine, immer noch angstvolle Herz schlägt. Dann springt es plötzlich auf, läuft eilig vom Swimmingpool und Peter weg und verkriecht sich unter einer der schicken Sonnenliegen im Garten.
„Du bist ein hartherziger Weichling!“, faucht Selma und gibt Peter eine schallende Ohrfeige. Ihre Bluse und Schürze sind vorn pitschenass, aber das ärgert sie nicht so sehr wie Peters bösartiges Verhalten.
„Du hast mich geschlagen, du hast mich geschlagen“, jammert Peter, „das werde ich meinen Eltern erzählen.“ Keine Träne füllt seine Augen, nur Trotz.
„Erzähle es nur, ich werde deinen Eltern berichten, was du gerade hier angestellt hast. Du wolltest doch das Kätzchen ertrinken sehen, oder?“
Peter bleibt still, seine Wange brennt und ohne Selma anzuschauen rennt er in das Haus hinauf in sein Zimmer.
Die Lüftung seines Computers summt aber er dreht erst einmal seine Stereoanlage auf und dumpfes Techno-Wumm-Wumm dröhnt durch das Haus.
Seine Jeans, T-Shirts, Strümpfe liegen auf dem Boden verstreut. Er schubst sie mit dem Fuß in eine Ecke neben seinem Bett.
„Selma hat heute noch nicht aufgeräumt, das werde ich Mama sagen“, zischt er durch die zusammengebissenen Zähne und wirft sich auf das kleine rote Sofa neben der Stereoanlage. Er dreht sie noch ein bisschen lauter auf. Der Bass wummert durch seine Gedanken.
„In zwei Wochen beginnen die Sommerferien und Mama und Papa haben noch nicht gesagt, wohin wir dieses Jahr verreisen werden. Am liebsten würde ich ja wieder nach Spanien in diesen Club fliegen, da war immer etwas los. Ich weiß gar nicht mehr wo meine Eltern die ganze Zeit über waren. Sogar zur Siegerehrung, als ich den Pokal der Minichampions gewonnen hatte, kamen sie zu spät. Aber die Tennislehrerin war sehr lieb.“
Peter betrachtet den Pokal im Regal gegenüber, das Bild dahinter an der Wand zeigt ihn mit der braungebrannten Tennislehrerin. Er hat sich an ihre Hüfte gelehnt, sie hat ihren Arm um seine Schulter gelegt und der Pokal in seinen Händen erschien ihm auf einmal viel zu groß.
„Wir sollten im Sommer vielleicht doch anderswo hinfahren, Papa hat dieses Mal bestimmt mehr Zeit, um mit mir am Strand ein riesiges Sandkrokodil zu bauen.“
„Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?“, ruft Selma aus der Küche, „und stell diesen Lärm bitte leiser!“
Peter spürt immer noch die Ohrfeige, er hat Selma noch nie so wütend erlebt.
„Das mit dem Kätzchen hätte ich doch nicht tun sollen.“ Widerwillig drückt er mit der großen Fußzehe auf die Off-Taste seiner Stereoanlage.
In die plötzliche Stille fragt Selma: „Soll ich dich Vokabeln abhören?“
„Nein, wir haben nur Mathe und Deutsch auf.“ Er will jetzt nicht Selma unter die Augen treten. Schlecht gelaunt setzt Peter sich an seinen Schreibtisch und holt seine Hefte aus dem Schulrucksack. „Verdammt ist der schwer.“
Er schlägt sein Hausaufgabenheft auf und schaut dabei aus dem Fenster. Das Kätzchen ist verschwunden aber sein schlechtes Gewissen bleibt.
Peter braucht sehr lange für seine Hausaufgaben, denn er schaut immer wieder aus dem Fenster in den Garten. Das Wasser im Pool glitzert golden in der untergehenden Sonne, er achtet nicht darauf, schon als Baby hat er darin geplanscht, das Kätzchen bleibt verschwunden.
Normalerweise war das Abendessen stets der Teil des Tages, an dem die ganze Familie beisammen saß, seine Eltern wissen wollten, was er tagsüber so gemacht hat, wie es in der Schule gelaufen ist, ob es Probleme gab und manchmal fragten sie auch, ob er glücklich sei. Es gab auch Schelte, wenn er seine klebrigen Finger gedankenlos über das T-Shirt strich anstatt die Servierte zu nehmen. Aber es waren doch die Stunden, an denen er seine Eltern fast für sich hatte.
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