In der letzten Zeit saßen sie kaum noch zum Essen beisammen. Meistens aß er mit Selma zu Abend.
Seine Mutter wirbelt ins Haus, als sie gerade ihre Teller in die Küche tragen. Ein flüchtiger Begrüßungskuss. „Hallo, mein Schatz, ihr habt ja schon gegessen?“
„Selma, für mich bitte nur etwas Salat, ich muss noch telefonieren.“
Dann verschwindet sie, mit dem Handy am Ohr, in ihrem Arbeitszimmer und er hört nur noch: ....ja, ja wenn Sie meinen, dann schau ich mir das gleich noch einmal an.“
Mama ist Rechtsanwältin und arbeitet für einen großen Konzern, dessen einzelne Firmen über die ganze Welt verstreut sind. So passiert es oft, dass das Telefon läutet, wenn alle noch oder schon schlafen.
„Mama, kuscheln wir noch auf der Couch und schauen uns die Simpsons an?“
„Ich muss nur schnell etwas durchlesen, dann komme ich zu dir, schalte doch schon mal an.“
Selma kommt aus der Küche und trocknet ihre nassen Hände an der Schürze.
„Du könntest schon deinen Schlafanzug anziehen und die Zähne putzen, bis deine Mama kommt.“
Peter hat schon eine patzige Antwort auf den Lippen aber er will Selma nicht noch weiter verärgern. Vielleicht hat sie das Kätzchen schon vergessen und wird Mama nichts erzählen.
Widerwillig, langsam steigt er die Treppe hinauf in sein Zimmer und setzt sich vor seine Playstation. Von unten hört er seine Mama immer noch telefonieren.
„Hallo, ist noch jemand auf?“
Peter springt barfuß die Treppe hinunter und wagt einen Hechtsprung in die ausgebreiteten Armen seines Vaters.
„Hi mein Großer, alles klar?“
„Na jaa“, nuschelt Peter und schlingt seine Arme um den Hals seines Vaters.
„Na, gab es Probleme?“
„Ja, heute am Pool, als ........“, beginnt Selma mit fester Stimme und legt am Esstisch zwei Gedecke für die Eltern auf.
Peter blickt mit zornig zusammengekniffenen Augen zu Selma, aber die schaut ihn ruhig an.
„Wissen Sie, unser Peter hat ...“, in diesem Augenblick kommt Peters Mama in das Esszimmer zurück. Sie hält noch das Handy in der Hand, geht auf ihren Mann zu, der Peter immer noch festhält und gibt beiden einen herzhaften Kuss.
Selma denkt, das habe auch noch bis morgen Zeit und fragt, ob Peters Eltern gemeinsam essen wollen und verschwindet wieder in die Küche.
`Uff, das war knapp´, denkt Peter und versucht, seine Eltern von Selams Ankündigung abzulenken.
„In zwei Wochen beginnen die großen Ferien, wo fahren wir denn dieses Jahr hin?“
Peters Eltern schauen sich unsicher an.
„Wir haben darüber noch gar nicht nachgedacht“, antwortet sein Vater zögernd und blickt hilfesuchend zu seiner Frau. Sie blickt auf ihr Handy.
„Das wird dieses Jahr problematisch. Ich muss unbedingt bis September den Vertrag mit der amerikanischen Firma noch hinkriegen. Ich habe Dir doch von San Antonio erzählt “.
„Ja, und ich muss die Produktionsverlagerung nach China noch dieses Jahr über die Bühne bringen.“
Beide blicken erst auf ihre Hände, dann entschuldigend zu Peter.
„Das fällt euch ja verdammt früh ein“. Peter kann seine Enttäuschung und seine Tränen nicht unterdrücken. Beleidigt rennt er die Treppe hinauf und schlägt laut seine Zimmertür hinter sich zu.
„Oh je, jetzt ist aber einer sauer, ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass schon bald Schulferien sind, was machen wir jetzt?“
„Ich muss unbedingt nach China und das für mindestens zwei Monate. Am besten ist, du fährst mit Peter zwei Wochen ans Meer.“
„Das geht nicht“, braust Peters Mutter auf. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Vertrag mit den Amerikanern verhandle und deshalb die nächste Zeit verfügbar sein muss, das ist genauso wichtig wie deine Chinesen.“
Peter steckt sich seine Kopfhörer in die Ohren. „Jetzt streiten sie wieder, wer den wichtigsten Job hat und vergessen dabei, dass ich auch noch da bin.“
„Alles soweit in Ordnung mein Großer? “ Peters Vater hat die Tür einen Spalt geöffnet und streckt den Kopf in das Zimmer.
„Nein, ich möchte, dass wir alle zusammen in den Urlaub fahren“, quengelt Peter und zieht sich die Bettdecke über den Kopf.
„Ok, ok ich lasse mir etwas einfallen. Gute Nacht, Mama kommt auch gleich.“
Peter verkriecht sich immer noch unter seiner Bettdecke, als sich seine Mama auf das Bett setzt und versucht, ihn unter der Decke zu kitzeln. Aber ihm ist es gar nicht nach einer zärtlichen Rauferei oder Kissenschlacht zumute.
„Ich will, dass wir alle in Urlaub fahren“, klingt es dumpf aus der Zudecke.
„Für einen Gutenachtkuss lasse ich mir etwas einfallen.“
Peter schlägt die Zudecke zurück, schlingt die Arme um seine Mama und beide fallen lachend ins Bett.
„Versprochen?“
„Versprochen!“
„Lass die Tür auf“, ruft ihr Peter nach, als sie sein Zimmer verlässt.
Bevor er einschläft, hört er seine Eltern wieder streiten:
„......ich rede mit meinem Chef ...keine Chance ....vielleicht Ende der Ferien ....die paar Tage ....alle oder keiner...., das ist eine gute Idee....“
Als Selma ihn weckt, ist Peter noch richtig müde. Er hat die ganze Nacht nur vom Meer, hohen Wellen, Sandkrokodilen, die nach ihm schnappten und von einem großen düsteren Haus geträumt.
„Beeile dich“, ruft seine Mutter, die in der Küche auf und ab läuft, in der einen Hand das Handy und in der anderen eine Tasse Kaffee. Sein Vater hat schon gefrühstückt und das Haus verlassen.
Selma schenkt ihm, wie immer eine Tasse Kakao ein und legt ihm zwei Marmeladentoasts auf den Frühstücksteller. Sie gibt ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und er weiß, dass sie noch nichts über den gestrigen Vorfall den Eltern erzählt hat.
Trotzdem isst er stumm und missmutig seine Toaste, murmelt ein “Tschüss“ zu Selma und folgt seiner Mutter zum Auto.
Kurz bevor sie die Schule erreicht haben, stupst ihn seine Mama an.
„Dein Vater hatte gestern Abend noch eine tolle Idee, was du in deinen Ferien machen könntest. Da wird von einem Club ein Sommercamp für Schüler angeboten, mit Sport, Abenteuerausflügen, ach und einem Haufen anderer toller Sachen.“
Sie merkt nicht, dass Peters Augen sich mit Tränen füllen.
„Und du lernst jede Menge Jungen und Mädchen kennen. Vielleicht findest du auch einen Freund, du bist sowieso viel zu viel alleine.
So, wir sind schon da. Ich verspreche dir, nächstes Jahr fahren wir gemeinsam in Urlaub, wohin du willst.
Tschüss, mein Schatz, lerne etwas und sei brav.“
Peter steigt aus dem Auto, der Rucksack ist viel schwerer als sonst. Er will nicht winken, vergräbt beide Hände tief in den Hosentaschen, blickt auf den bunt gepflasterten Weg, der quer über den Schulhof führt. Immer diese tollen Sprüche. Er spürt, wie ihn die Augen vor Wut und Enttäuschung brennen.
Hoffentlich spricht mich keiner von diesen “Knallköpfen“ an denkt er, läuft in Richtung Toilette, dort ist um diese Zeit niemand und schließt sich ein.
Er wischt sich die Tränen aus den Augen und überlegt, ob er ins Sekretariat gehen soll, um zu melden, dass er wegen Bauchschmerzen nicht am Unterricht teilnehmen kann.
Selma kann nicht Autofahren und seine Eltern haben ja keine Zeit um ihn abzuholen. So entscheidet sich Peter, doch in das Klassenzimmer zu gehen.
Die erste Stunde Französisch. Die Lehrerin wartet schon und teilt Blätter für eine Ex aus. Bis auf die zwei Einser-Mädchen protestiert der Rest der Klasse.
Sie hatte versprochen, so kurz vor den Ferien gibt es keine Ex mehr.
„So sind die Erwachsenen“, denkt Peter zornig, „sie versprechen etwas und halten es nicht.“
Als sie Elsa schlachten rennt Julia in die Scheune, steigt die Leiter hinauf zum Heuboden und wirft sich in das getrocknete Gras. Hier oben im Heu eingegraben kann sie weinen, ihren Schmerz, die ihr zugefügten Ungerechtigkeiten, hilflose Wut, mit Tränen aufweichen.
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