Wenn man sie fragte, warum sie unbedingt heiraten und brüten wollte, brach sie zu Anfang einfach in Tränen aus – und wer hätte da schon weiter bohren wollen? Und später hieß es Das versteht ihr nicht und noch später Ich brauche jemanden, für den ich sorgen kann . Das war ja nachzuvollziehen, aber musste es denn so dringend sein? So verbissen? Konnte sie ihren Helferdrang nicht erst einmal im Tierheim abreagieren und dann in Ruhe gucken, ob sie einen geeigneten Mann finden konnte? Und konnte sie allmählich nicht etwas weniger auf dieses Thema fixiert sein? Sie hatte außer der Frage, wo es Männer gab, wie man Männer kennen lernen konnte, worauf bei Männern zu achten war, keinerlei Gesprächsstoff mehr. Und wenn sich dann mal einer für sie interessierte – hübsch war sie schließlich – dann kniff sie. Hinterher hieß es immer Ach… der war nichts .
Warum nicht, war dann wieder nicht rauszukriegen. Sehr seltsam – und allmählich fühlte sich Luise davon auch ein bisschen angeödet, denn Lisa wollte offenbar gar keine Hilfe, nur immerzu verständnisvolle Zuhörer. Ratschläge nahm sie übel auf.
Frisch eingecremt, schlüpfte sie in einen Pyjama – heute ging sie bestimmt nicht mehr aus. Und in Schlafanzug und Morgenmantel zu Hause herumzupusseln, hatte es etwas ungemein Gemütliches, vor allem, wenn draußen so perfekt trübes Novemberwetter herrschte.
Sie setzte sich an ihre Klausur und schaffte in einer Stunde tatsächlich die ganze dritte (und letzte!) Frage. Durchschnitt nach dem ersten Durchgang… dreineunundachtzig. Nein, so schlecht waren die Leutchen eigentlich nicht. Vielleicht war sie bei den ersten beiden Aufgaben doch zu geizig mit den Punkten gewesen?
Aber zuvor sollte sie mal schnell das Band abhören.
Sie haben vier neue Nachrichten . Ächz.
Nummer eins: Ob sie schon von der Klassenlotterie gehört habe? Und von diesen phantastischen Gewinnchancen? Sie löschte den Anruf. Bis zu drei Gewinnen garantiert – das benutzte sie immer als Beispiel in Stochastik, um zu demonstrieren, dass das eben gar nichts garantierte. Höchstens, dass man garantiert nicht viermal gewinnen konnte.
Nummer zwei: Irene – ob sie morgen mal mit dem Chef sprechen konnte, immer mehr Kollegen machten sich in ihrem Psychologiesprechzimmer breit und wollten auch nicht rausgehen, wenn Irene eine Besprechung hatte? Luise notierte sich, dass man das Schloss austauschen musste.
Nummer drei: Philipp Hölzl – ob sie morgen mit ihm essen gehen wollte? Das konnte man ignorieren.
Nummer vier: Sebastian Brandstetter – ob sie noch einmal über den Pflichtteil nachgedacht hatte? Nicht nötig, sie wusste, was sie wollte.
Sie löschte das ganze Band und schaltete den AB wieder ein.
Dann lieber die ersten paar Klausuren im zweiten Durchgang!
Immer, wenn sie die Lust verlieren wollte, dachte sie an die fürchterlichen Gestalten heute Nachmittag beim Notar – nur nicht so werden! So etwas hatte sie nicht nötig, sie war nämlich gut in ihrem Beruf.
So schaffte sie bis zehn immerhin den ganzen zweiten Durchgang und kam auf einen Durchschnitt von dreivierunddreißig. Das war akzeptabel. Sie musste nur noch die Bleistiftnotizen wegradieren und die Punktezahlen an den Rand schreiben, dann konnte sie das Machwerk herausgeben. Sehr passend, morgen hatte sie den Kurs in der zweiten Stunde. Das Radieren würde sie morgen früh noch machen, für heute reichte es wirklich.
Sie hatte etwa zwei Stunden geschlafen, als das Telefon wieder läutete. Entnervt blinzelte sie auf ihren Radiowecker. Viertel vor eins? Unverschämtheit! Das war bestimmt nur wieder ein Besoffener, der ihre Nummer mit der irgendeiner Kneipe verwechselte. Oder mit der seiner Freundin – Schatzi, sei nicht sauer, ich bin gar nicht so blau wie es klingt … Einfach läuten lassen.
Sie vergrub den Kopf wieder zwischen den Kissen und versuchte, den schönen Traum wieder zu finden, konnte aber nicht umhin, das Läuten mitzuzählen. Dreißig Mal!
Endlich Ruhe… nein, es läutete schon wieder. Wutentbrannt sprang sie aus dem Bett und lief ins Arbeitszimmer. „Himmel noch mal, was soll denn das um diese Zeit?“, plärrte sie in den Hörer.
Heftiges Schluchzen antwortete ihr. Sie lauschte konsterniert. „Wer ist denn da? Brauchen Sie Hilfe? Soll ich die Polizei rufen? Hallo?“
Weiteres Schluchzen. Luise verlor die Geduld: „Also, wer immer Sie sind, so kann ich auch nichts für Sie tun. Was ist denn nun los?“
Ein gurgelnder Schluchzer, dann: „Hier ist Valli…“
„Valli? Was ist denn los? Ist was passiert?“
„Johannes…“
„Ist ihm was passiert? Valli, sag schon!“ Wieder nur Schluchzen und unverständliche Worte. Luise verdrehte die Augen. Das war doch wieder typisch! Hoffentlich war Johannes nichts Ernsthaftes passiert!
„Valli, spuck´s aus, was ist mit Johannes?“
„Ich weiß es doch nicht!“, heulte Valli auf. „Er ist immer noch nicht da!“
„Ist das alles?“, fragte Luise ungläubig. „Johannes ist noch nicht zu Hause und du machst einen solchen Aufstand?“
„Aber wenn ihm was passiert ist?“
„Hast du das Krankenhaus angerufen?“
„Nein, ich weiß doch gar nicht, ob er da ist!“
„Deshalb sollst du ja auch da anrufen, damit die nachgucken! Was sagt die Polizei?“
„Die Polizei?? Ich kann doch nicht die Polizei rufen!“
Luise seufzte. „Valerie, bitte! Was befürchtest du eigentlich? Dass ihm was passiert ist oder dass er sich bloß rumtreibt?“
„Er treibt sich nicht rum! Nicht mein Johannes! Da muss was passiert sein!“
„Dann kannst du doch auch die Polizei rufen“, schlug Luise vor.
„Nein. Das bringt ja sowieso nichts.“
„Wieso nicht? Wenn er einen Unfall oder so was hatte, wissen die das doch als erstes.“
„Ich will nicht die Polizei rufen“, jaulte Valerie.
„Was willst du denn dann? Bessere Vorschläge habe ich leider auch nicht.“
„Ich will ihn suchen gehen. Komm mit, alleine traue ich mich nicht.“
„Ach, du weißt, wo er ist? Das ist natürlich was anderes. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wo müsste er denn sein?“
„Das weiß ich doch nicht!“ Der Stimme nach stand sie kurz vor einem hysterischen Anfall.
„Ja, wo willst du ihn denn dann suchen? Soo klein ist Leisenberg auch wieder nicht.“
„Ich weiß nicht. Was meinst du, wo könnte er sein?“
„Noch in der Arbeit? Wenn die was Dringendes fertig zu stellen haben? Irgendeinen Quartalsbericht?“
„Ende November?“ Soo hysterisch war Valli also auch wieder nicht.
„Okay. Aber könnte er noch im Bauamt sein?“
„Glaub ich nicht.“
„Hast du da mal angerufen? Haben die nicht wenigstens so was wie einen Nachtpförtner?“
„Keine Ahnung. Meinst du, ich soll das mal probieren?“
„Aber unbedingt! Moment, wo könnte er noch sein – bei einem Kollegen?“
„Glaub ich nicht. Und da kann ich jetzt auch wirklich nicht mehr anrufen. Weißt du nicht, wie spät es ist?“
Langsam kam die Situation Luise etwas surreal vor.
„Hat er irgendwelche Lieblingskneipen? Wo er nach der Arbeit vielleicht mal ein Bierchen zwitschern geht? Vielleicht ist er bloß versackt, Geburtstagsfete eines Kollegen oder so?“
„Keine Ahnung. Und Johannes geht nach der Arbeit nichts trinken. Du weißt doch, wie wenig Geld wir haben!“
Der vorwurfsvolle Ton ärgerte Luise. Konnte sie etwas dafür, dass sich die beiden ein so großes Haus hingestellt hatten? Auch mit drei Kindern hätten sie locker in ein gebrauchtes Reihenhaus gepasst. Aber nein, Johannes musste seinen Traum vom Bauen verwirklichen, und jetzt hatten sie die Schulden am Bein und lebten praktisch nur von Vallis kläglichem Einkommen.
„Also pass auf, ruf mal im Bauamt an und im Städtischen Krankenhaus. Und dann ruf mich wieder an, dann überlegen wir weiter.“
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