Obermeyer hob die Schultern. „So wie sie aussieht, klingt das glaubwürdig. Jedenfalls was die Entführung und die Mißhandlung angeht. Und ihr Verdacht bezüglich des Täters, das wird sich überprüfen lassen.“
„Na, dann mal los.“
***
Noch am selben Tag suchten Beamte der Kieler Kriminalpolizei, die von ihren Münchener Kollegen um Hilfe gebeten worden waren, Martin Schöllers Eltern auf. Auf deren Aussage hin, daß sich ihr Sohn zur Zeit in der psychiatrischen Klink in Bremen aufhalte, da er zusammengebrochen war, nachdem man ihm die Nachricht von Franziskas Tod überbracht hatte, wandten sich die Beamten an die Kollegen aus Bremen, die die Aussage der Eltern bestätigten. Ja, Martin Schöller halte sich seit etwa einer Woche im Krankenhaus auf. Er stehe unter ständiger Beobachtung und habe die Klinik seit seiner Einlieferung nicht verlassen.
Von ihren Kollegen erfuhren die Kieler, daß es eine Untersuchung des Todes von Franziska von Weerendonk gegeben habe. Es sei eindeutig von einem Suizid des Mädchens auszugehen. Fremdeinwirkung könne mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Staatsanwaltschaft in Kiel habe die Ermittlungen aufgrund des Obduktionsberichtes eingestellt.
Unverzüglich informierten die Kieler Beamten ihre Kollegen in München vom Ergebnis ihrer Untersuchungen. Martin Schöller käme als Täter nicht in Frage.
Kriminalhauptkommissar Georg Huber klappte den Deckel der Ermittlungsakte zu und sah seinen Kollegen, Kommissar Markus Obermeyer, der am Schreibtisch gegenüber saß und das Telephongespräch aufmerksam verfolgt hatte, nachdenklich an.
„Warum erzählt die Frau uns so eine haarsträubende Geschichte?“
„Das kann ich Dir sagen“, antwortete Obermeyer. „Während die Kollegen in Kiel und Bremen aktiv waren, habe ich mich mal ein bißchen umgehört. Unsere Schauspielerin scheint ein ziemliches Früchtchen zu sein. Sie hat schon einmal versucht, den Jungen ins Gefängnis zu bringen. Fast wäre es ihr auch gelungen. Sie hat ihn angezeigt, weil er angeblich ihre Tochter vergewaltigt hätte. Aber der Junge hat Glück gehabt. Er hatte einen guten Anwalt, der nachweisen konnte, daß an diesen Anschuldigungen nichts dran war. Die Beiden hatten zwar Sex miteinander, aber das Mädchen hat vor Gericht klipp und klar erklärt, zu jeder Zeit damit einverstanden gewesen zu sein. Von Vergewaltigung könne überhaupt keine Rede sein, hat sie ausgesagt. Das Gegenteil sei der Fall. Der Richter hat Schöller daraufhin freigesprochen.
Die Mutter des Mädchens muß nach der Urteilsverkündung getobt haben wie eine Wilde. Sie war damals ein echter Star. Es gab einen riesigen Aufstand in der Presse, der sich für sie zu einem Skandal ausweitete. Daraufhin war’s mit dem großen Star erstmal vorbei. Ein ganzes Jahr lang hat man von ihr nichts mehr gehört und gesehen. Dann bekam sie wieder erste, kleine Rollen. Im “Tatort“ oder so. Wo ich sie auch mal gesehen habe. Aber so hoch oben wie früher ist sie längst nicht mehr. Und so wie’s aussieht, wird sie da auch nicht wieder hinkommen.“ Er kicherte leise. „Es sei denn, man sucht für einen Film die Zwillingsschwester des Glöckners von Notre Dame, oder sowas?“
Huber zog die Stirn in Falten. „Jetzt werd mal nicht geschmacklos.“
Obermeyer hob entschuldigend die Hände. „Ich sag nur, was ich sehe.“
Huber winkte ab. „Ja, ja, ist ja schon gut. Jedenfalls, das wünscht man keinem. Nicht was sie durchgemacht haben muß, und das Ergebnis schon gar nicht. Die ist ruiniert für ihr ganzes Leben.“
„Zumal sie ja auch noch den Mord an ihrem Liebhaber verkraften muß“, ergänzte Obermeyer und tippte auf eine Akte, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
Huber sah ihn fragend an.
„Ja“, erklärte Obermeyer. „Ich weiß nicht, ob Du das mitgekriegt hat. Der Tote, den man im Hafen von Hongkong gefunden hat, ein Doktor Kern, ziemlich zwielichtige Gestalt, übrigens, das war ihr Kerl.“
„Nee, weiß ich nix von. Ob da irgendein Zusammenhang besteht?“
„Keine Ahnung, glaub ich aber kaum. Den hat irgendjemand bestialisch abgeschlachtet. Das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Gliedmaßen abgeschnitten, Augen ausgestochen, Ohren abgesäbelt. Und alles, als er noch gelebt hat. Zum Schluß haben sie ihn dann der Länge nach aufgeschlitzt. Unglaublich sowas. Aber ich glaube kaum, daß irgendjemand von hier was damit zu tun hat. Wahrscheinlich ist er irgendeinem Chinesen mal auf die Füße getreten. Die vom Morddezernat meinen das auch. Hat ja auch reichlich im Trüben gefischt, der Guteste. Auf jeden Fall war die von Weerendonk mit ihm liiert. Hat sich aber gelohnt für die Dame. Der Typ war steinreich, und sie hatte die Verfügungsgewalt über seine Konten. Also hat sie mal eiskalt alles abgeräumt, nachdem ihr Geliebter verblichen war. Ist jetzt schwerreich, die Dame.“
„Hat sie vielleicht dran gedreht?“
Obermeyer wiegte den Kopf hin und her. „Glaub ich nicht. Wieso hätte sie sollen. Soweit die Kollegen rausgekriegt haben, hat er sie auf Händen getragen.“
Huber schlug mit beiden Händen auf den Tisch und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Wie auch immer, ich glaub, das bringt uns nicht weiter. Ich denke eher, irgendjemand hier hatte ein Hühnchen mit ihr zu rupfen.“
„Fragt sich nur, wer“, gab Obermeyer zurück.
„Das ist die große Frage“, meinte Huber nachdenklich.
Aber soviel sie auch nachdachten, nachforschten und ermittelten, es ließ sich nicht feststellen, wer der Schauspielerin so übel mitgespielt hatte. Es gab keinen Hinweis, so sehr sie auch Angelika von Weerendonks Lebensgeschichte ausleuchteten.
***
Die Schauspielerin, Mädchenname Angelika Härtel, stammte aus kleinen Verhältnissen. Die Familie war im Münsterland zu Hause, der Vater arbeitete in einem Malerbetrieb, die Mutter war Hausfrau. Mit Mühe schafften es die Eltern, ihr einziges Kind zum Gymnasium zu schicken, das sie allerdings nicht bis zum Abitur besuchte. Sie ging vorher ab und bewarb sich an einer Schauspielschule, wo man ihr Talent entdeckte. Sie wurde gefördert, nicht zuletzt deshalb, weil sie es skrupellos und ohne Rücksicht auf irgendwen oder irgendetwas verstand, sich ins rechte Licht zu rücken. Was bei ihren körperlichen Vorzügen, die sie bei jeder Gelegenheit einsetzte, schließlich auch zum Erfolg führte. Sie bekam kleinere, dann größere Rollen beim Film, wurde bekannt, machte sich einen Namen.
Sie lernte den Geschäftsmann Albrecht von Weerendonk kennen, heiratete ihn, kaum dem Teenageralter entwachsen und nahm seinen Namen an. Der Mann war ein gutes Stück älter als sie, doch er vergötterte die junge Frau. Entscheidend für sie war, daß er steinreich war und sie mit seinem Geld verwöhnte. Für sie hatte die ganze Affäre mit Liebe nichts zu tun. Sie wurde schließlich berühmt als Angelika von Weerendonk, entwickelte sich zu einer wahren Diva mit allen Eigenschaften, die mit diesem Ruf einhergehen. Inwieweit das Geld und der Einfluß ihres Ehemannes auf ihrem Weg an die Spitze eine Rolle spielten, läßt sich nur vermuten. Wahrscheinlich war es eine entscheidende, aber es ist durchaus möglich, daß ihr Ruhm sich tatsächlich nur auf ihr Talent gründete. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht.
Bald nach der Hochzeit gebar sie eine Tochter. Franziska. Besonders glücklich war sie nicht darüber. Ein Kind, was sollte sie mit einem Kind? Für Albrecht von Weerendonk hingegen war es die Erfüllung eines langgehegten Traums. Er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit dieser, in seinen Augen anbetungswürdigen Frau ein Kind zu haben. Die sorgte allerdings dafür, daß dieses Kind, das sie nie im Leben haben wollte und das sie nur wie einen Klotz am Bein empfand, sie in ihrem von Luxus und Glamour geprägten Leben so wenig wie möglich behinderte. Schon bald nach der Geburt überließ sie es der Obhut einer Kinderfrau. Wechselnder Kinderfrauen, genauer gesagt, denn die Betreuerinnen des Kindes kamen und gingen.
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