Und er hatte weiter auf sie eingeredet, bis sie schließlich überzeugt waren, ihm das Kommando zu geben. Das Kommando auf einem ihrer besten Kreuzfahrtschiffe: Kapitän auf “MS Hanseatic“.
3 Angelika von Weerendonk
Das fahle Licht eines weiteren, trüben Tages fiel durch das Fenster des Krankenzimmers herein, in dem Angelika von Weerendonk langsam aus der Bewußtlosigkeit erwachte. Sie brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, wo sie war und vor allem, warum sie an diesem Ort war. Zuerst glaubte sie, aus einem schrecklichen Albtraum erwacht zu sein, aber als sie die Verbände an ihrem Körper spürte und das geschiente Bein, wußte sie, daß es kein Traum gewesen war.
Die Schmerzen kamen zurück, gedämpft zwar, durch die Schmerzmittel, die man ihr gegeben hatte aber doch immer noch recht heftig. Sie erinnerte sich an die Schläge, zuerst ins Gesicht, dann auf dem ganzen Körper und auch an den Satz, den der Arzt in der Notaufnahme gesagt hatte: „Mag sein, daß die mal eine sehr schöne Frau war, aber so wie die jetzt zugerichtet ist, kriegt die kein Schönheitschirurg der Welt mehr hin.“
Sie mußte das sehen. Sie mußte sich sehen, wie sie aussah, ob der Mann recht haben könnte oder ob er doch nur übertrieben hatte. Sie versuchte aufzustehen, aber das gelang nicht wegen ihres eingegipsten Beins. Also klingelte sie nach der Schwester.
„Helfen Sie mir auf und bringen Sie mich zu einem Spiegel“, verlangte sie harsch.
Die Krankenschwester blieb höflich aber bestimmt. „Nein, das geht nicht. Die Ärzte haben Ihnen strikte Bettruhe verordnet, und ich werde mich an diese Anweisung halten. Brauchen Sie sonst noch etwas?“
Verärgert schüttelte die Schauspielerin den Kopf. „Nein. Nicht im Moment“, war die knappe Antwort.
„Fühlen Sie sich in der Lage, einige Fragen zu beantworten?“ wollte die Schwester weiter wissen.
„Wenn’s sein muß.“
„Gut, dann werde ich das ausrichten.“ Sie drehte sich um und ging hinaus.
Einige Zeit später betraten zwei Männer das Krankenzimmer. Sie waren nicht wie Ärzte gekleidet, sondern trugen normale Straßenanzüge, die ziemlich schlecht saßen, wie Angelika von Weerendonk sofort feststellte. Billige Stoffe, von der Stange und schon etwas abgetragen.
„Mein Name ist Georg Huber“, stellte der eine, ältere von beiden sich vor, „das hier ist mein Kollege Markus Obermeyer, wir kommen von der Kriminalpolizei in München.“ Er hielt ihr einen Ausweis vor die Nase, den sie allerdings kaum eines Blickes würdigte.
„So? Und was wollen Sie von mir? Ich kann mich nicht erinnern, in der letzten Zeit falsch geparkt oder die Geschwindigkeitsbegrenzung mißachtet zu haben.“
„Das mag sein, aber das interessiert uns auch nicht. Man hat uns vom Krankenhaus aus benachrichtigt, daß in der vergangenen Nacht eine Frau eingeliefert wurde, die aufgrund fehlender Papiere nicht zu identifizieren war. Außerdem war sie aufgrund schwerwiegender, entstellender Gesichtsverletzungen nicht zu erkennen. Offensichtlich war sie Opfer eines Verbrechens geworden. Als man uns heute Vormittag erneut anrief, die Frau sei jetzt bei Bewußtsein und ansprechbar, sind wir sofort gekommen, und man hat uns zu Ihnen geführt. Ich bitte Sie daher, uns Ihre Personalien anzugeben und die Umstände zu schildern, wie Ihnen diese Verletzungen zugefügt wurden, damit wir unsere Ermittlungen aufnehmen können.“
Übellaunig nannte die Schauspielerin ihren Namen und ihre Adresse. Der Name schien den beiden Beamten nichts zu sagen. Huber machte sich lediglich eine Notiz.
„Wo sind Sie beschäftigt?“
„Ich bin Schauspielerin“, antwortete sie gereizt. „ Angelika von Weerendonk “, setzte sie pointiert hinzu.
Hubers einzige Reaktion bestand in einem Nicken. „Wo?“ fragte er weiter.
„Ich habe kein festes Engagement. Wenn Sie öfter ins Kino gehen oder fernsehen, sollte Ihnen mein Name etwas sagen.“ Sie war jetzt richtig wütend.
„Dazu hat man in meinem Beruf kaum Gelegenheit.“ Huber schien sie wirklich nicht zu kennen. Obermeyer hingegen schien etwas zu dämmern.
„Ich glaube, ich habe Sie kürzlich mal in einem Tatort gesehen“, warf er ein.
„Sowas siehst Du Dir an?“ fragte sein Kollege verwundert.
Obermeyer zuckte die Achseln. „Gelegentlich. Es entspannt.“
„Wenn Du meinst.“ Huber wandte sich wieder an die Schauspielerin. „Also, dann schildern Sie mal, was vorgefallen ist. Wann fand der Überfall statt?“
„Gestern, am frühen Abend. Vor dem Haus, in dem ich wohne. Man hat mich niedergeschlagen und verschleppt.“
„Haben Sie die Täter erkannt? Waren es mehrere oder nur ein Einzelner?“
„Das weiß ich nicht. Ich wurde von hinten angegriffen und sofort betäubt.“
„Was geschah dann?“
„Als ich wieder zu mir kam, war ich an einen Stuhl gefesselt. Man hatte mir sämtliche Kleider ausgezogen, aber meine Augen verbunden, so daß ich nichts sehen konnte. Dann wurde ich ins Gesicht geschlagen. Womit, kann ich nicht sagen, jedenfalls derart, daß die Haut aufriß. Es war ungeheuer schmerzhaft und zerstörte offenbar mein ganzes Gesicht.“
Ihre Stimme versagte. Trotz ihrer Wut brach sie in Tränen aus.
Die beiden Kriminalbeamten sahen sich an. Wie schwer die Verletzungen waren und wie sehr das Gesicht der Frau entstellt war, konnte man wegen der Verbände nicht feststellen. Es war jedoch davon auszugehen, daß sie nicht übertrieb.
Huber wartete, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, bevor er seine nächste Frage stellte: „Was geschah dann?“
„Man löste die Fesseln und zerrte mich zu einer Wand, wo man mich aufrecht stehend mit nach oben ausgestreckten Armen an etwas festband. Dann wurde ich wieder geschlagen, diesmal aber am ganzen Körper. So wie zuvor , so daß die Haut überall aufplatzte. Es war entsetzlich. Ich wurde vor Schmerzen fast ohnmächtig.“
Wieder brach sie in Tränen aus. Trotzdem berichtete sie weiter.
„Schließlich band man mich los. Aber ich war vor lauter Schmerzen nicht in der Lage, mich zu wehren oder irgendetwas zu tun. Man zerrte mich weg und stieß mich in ein Auto. Einen Lieferwagen oder sowas. Jedenfalls kam ich auf einer harten, metallenen Fläche zu liegen. Als ich in das Auto hineingestoßen wurde, wurde ich endgültig ohnmächtig. Was dann geschah, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einer Trage und befand mich im Krankenhaus.“
Obermeyer machte sich eifrig Notizen. Huber nickte.
„Sie haben also den oder die Täter nicht erkannt?“
Die Schauspielerin schüttelte den Kopf.
„Auch nicht an der Stimme?“
Erneutes Kopfschütteln. „Es wurde die ganze Zeit hindurch kein Wort gesprochen.“
„Haben Sie einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“
Angelika von Weerendonks Gesicht wurde hart. „Oh ja, den habe ich. Es kann nur dieser widerliche Kerl gewesen sein, der meine Tochter verführt hat und der letztendlich Schuld daran ist, daß sie nicht mehr lebt.“
Obermeyer fuhr von seinen Notizen hoch. „Er hat sie ermordet?“
„Sozusagen. Er hat sie soweit getrieben, daß sie sich das Leben genommen hat.“
„Wann war das?“
„In der vergangenen Woche. Sie sollte zu ihrem Vater nach Hongkong übersiedeln, weil ich mit ihr hier nicht mehr fertig wurde. Am Tag ihrer Abreise ist sie ihren Begleitern entwischt und hat sich umgebracht.“
„Mein aufrichtiges Beileid“, murmelte Huber und machte die Andeutung einer Verbeugung. Dann sah er seinen Kollegen an. Obermeyer nickte.
„Ich glaub, das wär’s für’s erste. Wir werden Ihrem Hinweis nachgehen. Vielen Dank, daß Sie uns zur Verfügung gestanden haben. Wir werden uns sicher noch einmal melden, sobald es Ihnen etwas besser geht.“
Sobald die beiden Beamten auf dem Gang standen und die Tür zu Angelika von Weerendonks Krankenzimmer hinter sich geschlossen hatten, fragte Huber: „Was hältst Du von der Geschichte?“
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