Das aber war, wie sich gleich herausstellen sollte, ein unbedachtes Manöver, denn Körner stieß nicht das Glas seines Retters an, sondern gleich den ganzen Mann. Der Graf stürzte ob des heftigen Anstoßes rücklings über die Reling seiner stolzen Samantha , schrie und ruderte noch eine Weile mit den Armen im Wasser und befand sich aber bald außer Reichweite des Bootes.
Körner konnte nicht erkennen, ob der ertrinkende Graf dabei noch immer sein Glas, wie es seinem Stande entsprochen hätte, in Händen hielt. Das wäre sicher eine schöne Geste gewesen, die einem Adeligen weiß Gott zur Ehre gereicht hätte, dachte Körner, als er den Mann versinken sah. Doch auf solche Äußerlichkeiten der Etikette wollte Körner jetzt keine weiteren Gedanken verschwenden. Er musste sich nun umgehend um das Schiff kümmern.
Wir hatten zwar erwähnt, dass es sich bei Körner um einen „kundigen Segler“ handelte, dabei aber geflissentlich vergessen, dass Körner in seiner Jugend lediglich eine Jolle zu segeln gelernt hatte. Es war auf dem Müggelsee bei Berlin, wo er sein kleines Patent erworben hatte. Er verfügte über das notwendige Wissen, um unter einfachen Wetterbedingungen mit einer Jolle segeln zu können. Jedem Laien dürfte jedoch klar sein, dass zum Segeln einer Hochseeyacht mehr gehörte, als unser „Held“ hier an Kenntnissen und Erfahrung vorzuweisen hatte.
Wir kennen aus der Literatur etliche Beispiele, wie beherzte Mitreisende dem eingeschlafenen Busfahrer in letzter Sekunde das Steuer aus der Hand nahmen bevor dieser den Bus samt Ladung in den nächsten Graben setzte. Wie oft haben wir in Filmen gesehen, wie Passagiere den Steuerknüppel eines Flugzeuges an sich reißen mussten, weil der Pilot eine Unpässlichkeit zeigte. Uns stockte der Atem, als wir mitansahen, wie das Flugzeug ins Trudeln geriet und der Absturz in abgeschiedener Bergwelt unvermeidlich schien. Aber, auch das konnten wir immer wieder an diesen Beispielen erkennen, es gibt selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen immer wieder Menschen, die eine Katastrophe auch verhindern können. Warum sollte nicht auch Herr Körner, der in seinem Leben schon so manche heikle Angelegenheit zu seinen Gunsten entschieden hatte, nicht auch dieses Mal das Rad des Schicksals zu seinem Vorteil wenden können?
Zugegeben, und jeder Fachmann würde bei diesem Vergleich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, eine Jolle auf dem Müggelsee ist nicht mit einer 14-Meter-Yacht in der Agäis zu vergleichen. Aber die Beherrschung der Winde folgt doch den gleichen Regeln und so war denn unser selbsternannter Schiffsführer guten Mutes, die Yacht in die gewünschte Richtung steuern zu können.
Im Logbuch war als nächstes Ziel Potamos , ein kleiner Hafen auf der Nordseite der Insel Antikythira eingetragen. Der Graf hatte für die Strecke von Falarsarna nach Antikythira zehn Stunden Fahrzeit berechnet und wollte, wie Körner der Karte entnehmen konnte, in der Hafenbucht von Potamos seinen Anker setzen.
Folgende Koordinaten hatte der Graf als letzte eingetragen: 35,8901 N – 23,3072 E, der Steuerkurs war mit 337 Grad angegeben. Auf der Karte hatte Graf Egling noch nach alter Seefahrerart mit Zirkel und Lineal den Schnittpunkt von Breiten- und Längengrad ermittelt. Das Boot musste sich demnach jetzt etwa drei bis vier Seemeilen vor dem Südkap der Insel Antikythira befinden.
Körner ließ sich die Position des Schiffes auf dem Plotter ausdrucken und trug den neuen Standort auf der Karte ein, die der Graf über den großen Tisch in der Kombüse ausgebreitet hatte. Das moderne Schiff war mit einer Selbststeueranlage ausgerüstet, so dass er sich etwas Zeit nehmen konnte, erst einmal die vorhandenen Geräte in Augenschein zu nehmen. Er hatte den Wind im Rücken und musste zu seiner großen Erleichterung vorerst kein aufwändiges Segelmanöver durchführen.
Körner konnte seine Wiederauferstehung also in relativer Gelassenheit angehen. Trotzdem durfte er sich jetzt nicht zu lange dem Studium der Seefahrt widmen, denn wie der Wetterbericht meldete, würde ihm an der Ostseite der Insel Antikythira ein leichter Nordwind mit 2-3 Beaufort entgegenblasen
Körner ließ sich die Seewettervorhersagen des Deutschen Wetterdienstes für das östliche Mittelmeer ausdrucken. Gegen das Höhentief, das noch am Mittwoch über Italien stand hatte sich ein Keil des Azorenhochs durchgesetzt. Für die Ägäis hatte sich der Wind auf NW-N gedreht, wobei die Windstärke mit schwachen 3-4 Beaufort angegeben wurde und eine Wellenhöhe von mehr als 0,6m noch recht moderat war.
Man musste also ein wenig gegen den Wind aufkreuzen, was die Ankunftszeit im Hafen von Potamos ordentlich nach hinten schieben konnte.
Die Segel hatte Prager zu einem Drittel gerefft. Er wusste wohl, dass ein Segler bei diesem lauen Wind mit vollen Segeln fuhr, aber die fehlende Erfahrung ließ Vorsicht walten. Sollte der Wind stärker aufbrisen, würde sich Körner nicht scheuen, den Motor anzuschalten.
Etwas flau im Magen wurde ihm, als er an das bevorstehende Anlegemanöver dachte.
Das Segeln selbst ist ja nicht das Problem, wenn man alleine unterwegs ist; das Hauptproblem ist das Anlegen. Das wusste er noch aus seinen Jugendtagen: Wenn die Windverhältnisse ungünstig sind und keine Hilfe an Land vorhanden ist, kann das Anlegen schnell in die Hose gehen. Und dieses Schiff war keine Jolle, die bei einem zu forschen Aufschießen noch mit den Beinen zu korrigieren war, sondern eine 14 Meter lange Yacht!
Graf Egling hatte es so einrichten lassen, dass alle Fallen, Strecker, Reffleinen und Schoten aus der Pflicht bedient werden konnten. Sowohl Vorsegel als auch das Großsegel konnten gerefft werden, ohne dass man das Cockpit verlassen musste, das machten allein die elektrischen und hydraulischen Hilfen. Der Graf musste ein Vermögen in sein Boot gesteckt haben. Und auch das hatte Körner schon gesehen: Autopilot und elektrische Ankerwinsch gehörten im Boot des Grafen zur Standardausrüstung.
Gegen 16.00 Uhr hatte Körner die Südspitze von Antikythira vor sich liegen. Deutlich konnte er mit dem Fernglas den Leuchtturm von Apolytares erkennen, ein architektonisch außergewöhnliches Bauwerk aus dem Jahr 1926. Außergewöhnlich war auch sein Standort: er fand sich nicht wie sonst üblich in erhöhter Lage, sondern vor einer Felswand. Interessant, murmelte Körner nur, als er das Fernglas absetzte. Er musste jetzt eine Wende einleiten, wenn er vom Land wegkommen und nicht in einen Legerwall geraten wollte.
Er steuerte zunächst einen Amwindkurs bis der Bug durch den Wind drehte und auf die andere Seite der Segel schlug.
Der Abstand zwischen Süd- und Nordspitze der Insel betrug fast 8 Kilometer, das waren zu Wasser etwas mehr als vier Seemeilen. Körner überschlug im Kopf, wie lange er dazu brauchen würde. Mit vier Stunden sollte er mit seinem eingeschlagenen Zickzackkurs gen Norden auskommen.
In Höhe des Nordkaps wechselte Körner noch einmal die Richtung und zog einen großen Bogen nach links, um von Norden her in die Bucht einlaufen zu können. Bevor er jedoch in die Hafenbucht einfahren konnte, mussten die Segel geborgen werden. Er drehte bei, ließ die Maschine laufen und ließ elektrisch die Segel einholen. Er rief sich in Erinnerung, was er beim letzten Segeltörn auf der Yacht seines Immobilienhändlers auf Kreta gesehen hatte: Zuerst den Baum andirken, die Fallklemme öffnen und dann das Segel mit Knopfdruck elektrisch einholen lassen. Es klappte alles wie am Schnürchen und Körner klopfte sich auf die Schultern und lachte: Das haben der Herr Graf sehr gut gemacht!
Auf der Karte hatte Körner gesehen, dass in der Bucht ein Ankerplatz für Yachten vorgesehen war. Sollte die Hafenbucht jedoch auch Platz zum Anlegen haben, um so besser.
Da die Hafenbucht von Potamas nur mäßig mit Booten besetzt und Körner nur einen größeren Segler entdecken konnte, entschloss er sich, ein Anlegemanöver zu wagen. Es blieb ihm noch etwas Zeit, das geplante Manöver vorher geistig durchzuspielen. Er sah sich um: An der großen Pier schien hinter einer anderen Yacht noch genügend Raum zu sein, um längsseits gehen zu können. Das kleine Hafenbecken daneben war mit Fischerbooten belegt und war nur über eine enge Einfahrt zu erreichen.
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