Droin hatte weniger Glück, er stand genau im Weg der Rolle und wurde unter dem Schleicher begraben.
Für mich sah das gar nicht gut aus, inständig hoffte ich, dass er das überleben würde.
Das zähe Vieh wollte einfach nicht aufgeben. Heulend wälzte es sich über den Boden. Klauen und Schwanz zuckten dabei ungezielt in alle Richtungen.
Die weiße Masse hatte sich davon unbeeindruckt von den Beinen inzwischen bis zur Brust ausgebreitet.
Ich bereitete einen neuen Blitz vor und wollte diesen gerade abfeuern, als der Baumschleicher wieder aufsprang und einige Schritte auf den Waldrand zu machte, um dann mit einem einzigen, riesigen Satz darin zu verschwinden.
Ein paar splitternde Geräusche drangen noch zu uns heraus, dann war der unwirkliche Spuk vorbei.
Erschöpft lies ich mich ins Gras sinken.
Vor meinen Augen tanzten bunte Funken und in meinem Kopf ritt ein ganzes Kavallerieregiment Exerzitien. Es drehte sich alles, so als wäre ich noch immer betrunken, dabei war ich ziemlich sicher, dass sich kein Alkohol mehr in meinem Körper befinden konnte.
Möglicherweise eine spezielle Nebenwirkung des Weins.
Während ich noch darüber nachgrübelte, hörte ich Droin mit quietschenden Schritten auf mich zukommen. Ich blinzelte ihm aus einem Auge entgegen.
Er sah aus, als hätte ihn jemand kopfüber in einen Haufen Erde gestopft - Was im Grunde auch stimmte.
Er ging langsam und hielt sich dabei mit der linken Hand seine Rippen. Seine Rüstung war verbeult und verbogen. Einen Fuß konnte er dadurch nicht mehr richtig bewegen.
„Noch heil?“, fragte ich ihn, als er nah genug bei mir war.
„Nö. Aber ich werd’s überleben“, erwiderte er mit angestrengter Stimme. Er bückte sich und versuchte mit dem Knauf seiner Waffe das Gelenk an seinem Eisenstiefel soweit wieder in Form zu hämmern, dass er sich normal bewegen konnte.
„Das muss reichen.“
„Was? Überleben?“
„Nein. Der Stiefel.“
Quietschend bewegte er ihn ein Stück hoch und runter.
„Na dann sieh Dir die mal an.“
Ich deutete auf die Leichen der Angreifer.
Droin warf einen interessierten Blick auf den Toten Reiter, der ein paar Schritte weiter auf dem Rücken lag.
„Saubere Arbeit“, meinte er dazu.
„Shadarr.“
„Hab ich mir gedacht. Wo ist der eigentlich?“
Droin blickte sich um und so antwortete ich seinem Rücken: „Liegt am Waldrand auf der Lauer. Scheint Gefallen an dem Schleicher gefunden zu haben. Außerdem hat er sich gerade zwei Armbrustbolzen aus der Brust gezogen.“
„Hast Du dafür eine Erklärung?“
Ich hob vorsichtig den Kopf, um in der angegebenen Richtung Ausschau zu halten. Obwohl Kargats so riesig waren, dauerte es einen Augenblick, bis ich ihn ausmachen konnte.
„Die Reiter haben sich gewehrt.“
„Wie stark ist er verletzt?“
‚ Alles in Ordnung ?’, fragte ich ihn
Ein Gefühl von Unzufriedenheit begleitete seine Antwort: ‚Beute geflüchtet. Shadarr mit Rudel verfolgen?’
Das Rudel waren wir, unsere ganze, kleine Zweckgemeinschaft. Es hatte lange gedauert, aber mittlerweile hatte er die Anderen als seine Rudelgefährten anerkannt, wofür ich sehr dankbar war, denn das verhinderte, dass er sie oder ihre Nachtmahre als Beute betrachtete und fraß.
‚ Nein, diesmal nicht.’
„Mies gelaunt, sonst aber in Ordnung. Die Treffer sind kaum der Rede wert.“
„Gut. Wir werden seine Kraft noch brauchen.“
Während ich nach ihm Ausschau hielt, sah ich, wie sich Jiang neben Kmarr von ihren Knien aus dem Gras erhob.
Das würde ihre Seidenkleider bestimmt ruinieren. Ich musste bei dem Gedanken grinsen, mit welchen Schimpfnamen sie mich wohl belegen würde, wenn wir später am Feuer saßen.
„Darf ich mitlachen?“, wollte Droin wissen.
„Jiang wird Grasflecken auf ihren Seidenkleidern haben“, gab ich lachend zurück.
Trotz der absurden Situation fiel Droin in mein Gelächter ein, wobei er schmerzhaft das Gesicht verzog.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich ihn besorgt.
„Ich glaube das Mistvieh hat mir ein paar Rippen gebrochen und die linke Schulter habe ich mir auch verdreht.“
„Sieht so aus als hätten wir verdammt viel Glück gehabt.“
„Du nicht“, erwiderte Droin lakonisch. Er sah hinüber zu der noch immer bewusstlosen Magana und dann wieder zurück zu mir.
„Warum?“
„Jiang hat Grasflecken in ihren Kleidern – und Du bist Schuld.“
Wieder musste er lachen.
„Oh nein“, war alles, was mir dazu einfiel.
„Wenigstens hat sich der Ärger gelohnt“, meinte er trocken mit einem Blick auf die wohlgerundeten Formen der Magana.
Jiang stützte sich an Kmarr Bein ab, während sie zu uns herüber glitt. Anders konnte ich ihren Gang nicht beschreiben. Ich hatte nie verstanden, wie man sich so fortbewegen konnte. Sie glitt wie auf Rädern vorwärts und ihre Beine schienen keine Kniegelenke zu haben.
Im Hintergrund sah ich Anaya, wie sie mit den Nachtmahren von ihr selbst, Droin, und Jiang auf dem Weg zu uns war. Sie hatte den Kampf nahezu unverletzt überstanden und schritt nun schnell voran. Dabei wurde sie langsam kleiner, ihre Arme wurden kürzer und die Proportionen ihres Körpers nahmen langsam wieder ein normales Verhältnis zueinander an.
Eine Eigenschaft, die sie ihrem gemischten Blut verdankte war es, dass sie die Gestalt oder einzelne Aspekte anderer Lebewesen annehmen konnte. Ihre sehr langen schlanken Beine erinnerten gerade noch an die eines jungen Hirsches, dann waren sie wieder so athletisch wie normalerweise. Anaya konnte fast alle Tiere ganz oder teilweise nachahmen, dazu gehörten nicht nur ihre äußere Gestalt, sondern auch ihre Sinne.
Sie erreichte mich gleichzeitig zusammen mit Jiang und Kmarr.
„Alles in Ordnung mit Dir?“, fragte sie mich besorgt, sah aber davon ab, mir einen erneuten Kuss zu geben, nachdem sie mich eingehend von oben bis unten gemustert hatte. Bei dem Geruch, den ich anscheinend verströmte, konnte ich ihr das nicht verübeln.
„Ich lebe noch, falls es darum geht“, antwortete ich ihr.
„Gut, dann kannst Du uns erklären, warum wir uns mit einem Baumschleicher messen mussten“, herrschte mich Jiang in ihrem wie üblich arrogant klingenden Tonfall an.
„Frag ihn doch“, erwiderte ich beleidigt.
„Vermutlich weil Drakk sneue Freundin aus einem Baum ein Streichholz gemacht hat“, ergänzte Droin wenig hilfreich.
„Lebt sie noch?“, wollte Jiang von Anaya wissen, die sich über die Bewusstlose gebeugt hatte und die Verletzungen begutachtete.
„Ja, aber sie hat eine schlimme Kopfwunde. Vielleicht ist auch ihr Schädel gebrochen. Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir sie bewegen wollen.“
Anaya kniete neben ihr und betastete vorsichtig den Kopf der bewusstlosen Frau.
Ihre Diagnose war mit ziemlicher Sicherheit richtig. Als Angehörige des Druidenzirkels von Zar'gan'f war sie eine erfahrene Heilerin.
Die Verletzung warf für den Transport Probleme auf. Nachtmahre sahen zwar auf den ersten Blick zwar wie Pferde aus, waren aber Fleischfresser mit Klauen statt Hufen und scharfen Reißzähnen, mit denen sie ihren Opfern stark blutende Wunden zufügten. Außerdem waren sie immer hungrig. Die bewusstlose Magana auf ihrem Rücken konnte und würde ihren Jagdtrieb wecken.
„Warum sollten wir sie bewegen?“
Kmarrs tiefe Bassstimme dröhnte in meinem Schädel.
„Möchte einer von euch hier übernachten? Der Baumschleicher könnte zurückkommen, und wenn ich die Spuren hier richtig deute, ist mindestens ein Reiter entkommen. Ich habe wenig Lust auf ihre Verstärkung zu warten, ohne zu wissen, worauf wir uns hier einlassen. Und jetzt helft mir bitte mit der Magana.“
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