Zudem waren seine Erfahrung und seine Fähigkeiten von unschätzbarem Wert, wenn es darum ging, unter der Erde auf Jagd zu gehen oder einen besonders zähen Gegner zur Strecke zu bringen.
Doch über allem stand die Freundschaft, die wir im Laufe der Jahre unbeabsichtigt zueinander entwickelt hatten – Trotz der Distanz und Unabhängigkeit, die wir uns alle bewahrt hatten.
Dennoch war die Aufnahme in den Klan vor allem eine persönliche Entscheidung gewesen, die jeder von uns alleine getroffen hatte. Ich war der Erste gewesen, der sich dafür entschieden hatte.
Allerdings war ein Jahr mit Nachdenken vergangen, nachdem Droin mir den Vorschlag gemacht hatte.
Eine große Ehre, besonders nachdem, was er mit mir zusammen erlebt hatte. Irgendwann würde ich das auch den Anderen erzählen, aber die Zeit war einfach noch nicht reif und würde es vermutlich auch nie werden wenn es nach mir ging.
Jiang war zu meinem Erstaunen die Nächste gewesen. Seit ihrer Flucht aus Shâo hatte sie zum ersten Mal eine Chance gesehen, eine Art Heimat zu bekommen. Daher hatte sie sich sofort in die Aufgaben gestürzt, die die Naurim ihr gestellt hatten. Jetzt trug auch sie die Klantätowierung über dem Herzen.
Anaya und Kmarr hatten die Prüfungen gemeinsam begonnen und waren unmittelbar nach uns zum Klan gestoßen.
Die Prozedur war lang, schwierig und schmerzhaft, aber wir trugen alle die Klantätowierung der Fenloth, der Naurims des Eisenmauer Klans. Droins Klan.
Die Namen der Klans waren keine wirklichen Namen, sondern eine Beschreibung der wichtigsten Eigenschaft, die die Klanmitglieder besaßen. Im Fall von Droins Klan war dies Ausdauer und Zähigkeit. Daher hatten wir fast zwei Winter gebraucht, um die Prüfungen zu bestehen, die uns eine Aufnahme in ihren Klan ermöglichte.
Nach Droins Verständnis war die Magana also kein Klanmitglied. Daher musste sie für die Hilfe von seiner Seite bezahlen.
Ich seufzte und löste einen Beutel von meinem Gürtel: „Hier, das sollte dafür reichen.“
Ich warf ihm den Beutel zu.
Eigentlich wollte ich damit ein neues Kettenhemd aus blauem Stahl bei Droins Klan erwerben. Es waren meine Ersparnisse des gesamten Jahres.
Er wog den Beutel mit einer Hand. „Was ist denn darin? Ziemlich schwer.“ Vorsichtig löste er den Knoten und zog die Schnüre auseinander. Dann blickte er hinein.
Es dauerte einen Augenblick, bis er mich wieder ansah. Und noch länger dauerte es, bis er wieder sprach.
„Das ist zu viel. Ich nehme die Hälfte. Danke mein Freund, Du bist sehr großzügig, indem Du die Bezahlung für eine Fremde übernimmst, deren Namen Du noch gar nicht kennst.“
„Was? Wann bist Du denn auf den Kopf gefallen?“
„Ich habe auch nicht vor, das Geld zu verschenken. Ich leihe es ihr nur“, fügte ich hinzu.
Dabei sah ich ihn entgeistert an. Noch nie in den fünfzig Wintern seit ich ihn kannte, hatte er auch nur einen kleinen Teil des Lohns abgelehnt der ihm angeboten wurde. Er verlangte höchstens mehr, aber niemals weniger.
Nicht das ich undankbar war.
Kmarr und die anderen starrten ihn ungläubig an. Kommentarlos zog Droin die Bänder des Beutels weiter auf. Darin befand sich makelloser, funkelnder roter Sand.
Zugegeben, das war nicht gerade wenig, aber was sollte es. Im Vergleich zu einem Leben, war auch roter Sand nicht viel wert. Irgendwie war es bei mir mit Geld wie mit Wasser. Ich konnte es einfach nicht festhalten.
„Wo hast Du das her?“, wollte Anaya wissen: „So viel habe ich in einem ganzen Jahr noch nie verdient.“
„Ich auch nicht“, verkündete Kmarr nicht weniger erstaunt.
Das war allerdings ungewöhnlich. Leoniden verdienten normalerweise das Zehnfache eines einfachen Söldners. Und sie waren jede Münze wert.
In Jiangs Stimme schwang etwas mit, dass ich nicht deuten konnte, aber für mich klang es wie Spott: „Unser furchtloser Anführer hat einen wahrlich großen Schatz und ein noch größeres Herz, dass er ihn für eine Fremde hergibt.“
„Oder er ist schlicht dumm“, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
Ich winkte ab: „Ich denke pragmatisch. Der Sand bleibt sozusagen in der Familie. Und so sorge ich dafür, dass Droin mit mir kommt, ohne dass er den wichtigsten Schwur seines Volkes brechen müsste. Den Sand kann ich auch wieder verdienen.“
Hoffentlich nicht.
„Wofür hast Du den eigentlich bekommen?“, wollte Kmarr wissen.
Auch Anaya beugte sich vor: „Das würde mich auch interessieren.“
Ich sah sie an und schwieg.
„Hey, mach kein Geheimnis daraus. Wir sind’s. Das müssen ja enorm gut bezahlte Aufträge gewesen sein.“
Ich hob einen Finger.
„Was? Nur einer? Das nächste Mal komme ich mit.“ Anaya schien ernstlich beleidigt zu sein.
Kmarr machte dagegen ein ernstes Gesicht: „Ein Auftrag? Wo?“
Ich holte einmal tief Luft: „Droin hat nicht alles erzählt. Wir haben uns zwar in Llûn getrennt, aber ich bin nicht die ganze Zeit dort gewesen.“
Droin sah von seiner Tätigkeit auf. Er war dabei, den Sand sehr genau in zwei Teile zu teilen, die er mit einer feinen Waage abmaß, die er immer im Gepäck mit sich führte.
„Das ist mir neu. Du kannst nicht weit weg gewesen sein. Wir haben uns höchstens eine Woche lang nicht täglich gesehen.“
„Es waren zwölf Tage, um genau zu sein. Und genau die meine ich.“
Ich zögerte, ehe ich weitererzählte.
Anaya wurde ungeduldig: „Nun mach schon.“
Es dauerte einen Augenblick, ehe ich mir überlegt hatte, wie ich den heikelsten Punkt des Themas wohl umschiffen konnte. Seit Jahren war ich auf der Suche nach Wissen über mein Volk. Kaltländer waren keine Menschen, auch wenn wir so ähnlich aussahen.
Wir waren viel größer und massiger, kaum einer war kleiner als sieben Fuß und wog weniger als hundert oder hundertzehn Stein.
Ich zählte mit fast acht Fuß zu den Größeren meiner Rasse. Und ich war auch durch mein Handwerk kräftiger und wog somit gut hundertfünfzig Steine.
Wie bei den Kaltländern üblich, war meine Haut bleich, fast weiß mit einem bläulichen Schimmer und nahezu völlig unbehaart.
Nur mein Haupthaar wuchs wie bei anderen Rassen auch, es war von tiefem, bläulichem schwarz und meine Augenfarbe die von hellem Schiefer mit silbernen Punkten darin. Beides ungewöhnlichere Charakteristika für Kaltländer und vor allem war beides bei Menschen gänzlich unbekannt.
Mein Volk war zäh und ausdauernd, was bei unserer Heimat, den Steppen und Tundren im ewigen Eis des Nordens auch notwendig war. Wir ertrugen eisige Temperaturen und karge Lebensbedingungen stoisch und nur selten fand sich unter uns einer wie ich, mit rastlosem, aufbrausendem Temperament. Im Gegenteil, die meisten Kaltländer waren langmütig und eher langsam in ihrer ganzen Art. Dies war einer der Gründe, warum ich sie verlassen hatte. Unsere Wesensarten waren einfach zu verschieden.
Natürlich könnte das daran liegen, dass ich nur zur Hälfte ein Kaltländer war, während der Rest dämonischem Blut entstammte. Aber ich verdrängte diesen Teil meiner Verwandtschaft.
Doch das Ungewöhnlichste an meinem Volk war die fehlende Geschichte. Es gab nichts, das älter als ein paar Jahrhunderte war. Es war, als wären wir von einem Moment auf den anderen vom Himmel gefallen oder aus dem Nichts aufgetaucht. Dieses Rätsel hatte mich schon als Kind fasziniert, als ich mein Talent für die arkanen Künste entdeckt hatte.
Die Anderen wussten davon, da ich über die Jahre hinweg immer wieder nach Hinweisen gesucht hatte. Daher begann ich auch an dieser Stelle mit der Erzählung:
„Ihr habt euch alle schon oft genug über meine Suche nach der Geschichte meines Volkes lustig gemacht.“
„Vermutlich, weil Du nichts gefunden hast.“
„Ja, ich weiß. Für Dich sind wir nur ein paar unkultivierte Wilde.“
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