Anne wurde auf diese Josie langsam wirklich neugierig. Als Patrick und die drei anderen mit frustrierter Miene aus den verschiedenen Räumen zurückkamen, verabschiedete sie sich.
„Sie sollten aber mal diese Tees im linken Schrank wegwerfen. Angebrochener Tee hält sich höchstens ein halbes Jahr und Ihre Packerl sind von 2011. Der Tee schmeckt nach gar nichts mehr. Sorry, Ihr Pass war nirgendwo – und außer einem losen Zehncentstück haben wir leider auch kein Geld gefunden.“
„Macht ja nichts“, meinte Collnhausen großzügig. „Trotzdem vielen Dank.“
„Dass sich einer nach einer Durchsuchung bedankt, hab ich auch noch nie erlebt“, meinte Patrick, nachdem sie das Team heimgeschickt hatten und auf der Straße standen.
„Was machen wir jetzt?“
„Diese Josie aufsuchen natürlich. Auf die bin ich jetzt gespannt.“ Sie tippte die Nummer ein und hob ihr Telefon ans Ohr.
„Oh“, sagte sie dann. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt? Ah, gut. Ich würde Sie gerne kurz sprechen – Sie haben vom Tod von Kai Kießling gehört? Ich denke, es dauert nicht lange. Könnten Sie mir Ihre genaue Adresse sagen? Herr Collnhausen war da nicht wirklich präzise… Aha, Nummer neun… Trunz heißen Sie, nicht wahr? Gut, bis gleich.“
Sie sah Patrick an. „Komm, der Wagen steht da drüben.“
*
Josie Trunz war mittelgroß, eher zierlich, hatte kluge Augen hinter einer Brille und ziemlich verstrubbeltes Haar.
Wieder wurden sie auf ein Sofa gebeten, lehnten Wasser oder Tee ab und sahen sich rasch um. Akademikerhaushalt, registrierte Anne. Aber eher bescheiden. Zwei Zimmer, nicht allzu groß, viele Bücher, Filme, Papiere, ein großer Schreibtisch, eine kleine Sitzecke, kein vernünftiger Esstisch, im Nachbarzimmer, dessen Tür offenstand, offenbar ein Einzelbett und ein Kleiderschrank, der vielleicht einsfünfzig breit war. Ziemlich bescheiden. Collnhausen hatte da schon deutlich großzügiger gelebt!
„Sorry, ich war kurz davor, ins Bett zu gehen“, sagte Josie. „Wie kann ich Ihnen denn jetzt helfen?“
„Sie könnten uns Ihre Einschätzung zu Christopher Collnhausen geben“, bat Anne.
Josie gluckste. „Er ist nett, aber ein ziemlicher Nasenbär.“
„Nasenbär?“
„Vollhorst eben. So viel Geld so leichtfertig aus der Hand zu geben… Himmel, er ist BWLer, er sollte doch ein bisschen Ahnung von Geld und Geschäften haben! Aber er ist eben ein verwöhntes Söhnchen…“
„Und Ihre Eltern wollen Sie beide zusammenbringen, Frau Trunz?“
„Ja!“, stöhnte die. „Wie sie auf die Idee kommen, dass einer von uns beiden diese Idee gut finden könnte, wissen wir beide nicht. Chris würde mich rasend machen – wie ein kleines Kind, manchmal. Und ich würde ihn dauernd erziehen wollen und ihn damit rasend machen. Das kann nicht gut gehen. Und so groß ist die Liebe zwischen uns nun wirklich nicht.“
„Ich verstehe nur nicht, warum Ihre Eltern das wollen?“
Tiefes Seufzen. „Das ist fast schon peinlich… Chris´ Eltern sind sozusagen die gesellschaftliche Spitze in Waldstetten. Altes Geld, von Adel, beste Beziehungen. Meine Eltern sind eher neues Geld und haben da offenbar einen kleinen Komplex. Mich zu einer Frau von Collnhausen zu machen, würden sie sich bestimmt einiges kosten lassen. Allerdings haben sie sich noch nicht getraut, mir das genauer darzulegen. Ich kenne diesen Plan nur von Chris, dessen Vater schon etwas deutlicher geworden ist. Die Collnhausens können nämlich offenbar eine kleine Finanzspritze brauchen.“
„Ist ja wie im vorvorigen Jahrhundert“, staunte Patrick.
Josie Trunz lachte. „Wem sagen Sie das!“
„Und Sie haben Herrn Collnhausen aufgefordert, Herrn Kießling vermisst zu melden?“
„Ja, denn Chris hätte sonst noch ewig gewartet – und vielleicht hatte dieser Kai ja das Geld irgendwo gebunkert und Chris könnte etwas zurückkriegen. Das würde unseren lästigen Eltern den Wind aus den Segeln nehmen. Wenigstens ein bisschen.“
Anne nickte.
„Was machen Sie beruflich, Frau Trunz?“, fragte Patrick.
„Ich gebe Kurse an der Uni und schreibe Lehrbücher, Einführungen und nebenbei an meiner Habilschrift. Mittelalterliche Geschichte“, fügte sie erklärend hinzu. „Und Chris hat im Moment gar keinen Job. BWLer gibt´s ja leider wie Sand am Meer, da muss man schon wirklich gut sein – und ganz ehrlich, Chris ist ein lieber Bub, aber ich fürchte, nicht direkt die hellste Kerze auf der Torte.“
„Aha“, meinte Patrick dazu, „das sind dann vielleicht wirklich nicht die besten Voraussetzungen für eine Ehe, nicht?“
Josie nickte.
„Kannten Sie Herrn Kießling?“
„Nein. Ich kenne die drei Kerle, die zusammen mit Chris und mir in dem einen oder anderen Kurs in der Schule waren und sich da kein Bein ausgerissen haben, aber dieser Kai war nicht darunter. Der war gar nicht in unserem Jahrgang… der Name Kai sagt mir jedenfalls überhaupt nichts, und ich habe ein ganz ordentliches Namensgedächtnis. Das muss ich ja schon wegen der Studenten trainieren. Nein, dieser Kai ist mir völlig unbekannt.“
Anne holte das Bild hervor, aber auch dies entlockte Josie Trunz nur ein bedauerndes Kopfschütteln. „Nie gesehen, ehrlich nicht. Tut mir Leid.“ Sie reichte ihr das Foto zurück. „Kann ich denn sonst noch etwas für Sie tun?“
Anne seufzte. „Nein, vielen Dank. Aber wir kommen sicher noch einmal auf Sie zu. Für heute war´s das.“
Halb zwölf durch, ärgerte sich Joe und schüttete den Kaffee weg, der seit dem Nachmittag auf der Warmhalteplatte gestanden hatte. Ungenießbares Gesöff.
Verdammt, er wollte jetzt endlich nach Haus!
Und nachdem er jetzt so ordentlich geworden war, fand er, dass jemand, der seine Wohnung so verlottern ließ wie dieser Kießling, es eigentlich verdient hatte, ermordet zu werden.
Okay, nicht ganz. Er füllte die Maschine wieder frisch auf und schaute nach Liz, die im Nebenraum die Schränke nach etwas Essbarem durchstöberte. Einen Moment später kam sie herein. „Nichts… bloß diese Müslikekse!“
„Scherzbold. Hoffentlich kommen die anderen bald.“
In diesem Augenblick traten Anne und Patrick durch die Tür. Anne gähnte herzzerreißend.
„Gleichfalls“, murrte Joe. „Ich will jetzt langsam mal heim!“
„Das wollen wir alle“, antwortete Anne gereizt, „wir vergleichen nur kurz unsere Ergebnisse und machen morgen früh weiter. Nein, Joe, aufschreiben können wir das auch morgen. Was hat die Wohnung von Kießling verraten?“
„Ein alter Saubär“, antwortete Liz an Joes Stelle. „Eine irre Unordnung, länger nicht mehr geputzt und jede Menge Pizzakartons mit abgenagten Rändern darin. Ekelhaft!“
„Hatte wohl keine Freundin“, merkte Joe an und zog den Kopf ein, als Anne und Liz ihn anstarrten. Als er den Blick demütig senkte, schnauften beide befriedigt und gingen wieder zur Tagesordnung über. „Irgendwelches Geld? Kontoauszüge? Schuldscheine? Irgendwas Finanzielles?“, wollte Anne wissen.
„Hundert Euro in der Küchenschublade - und Wertsachen gab es keine.“
„Komisch“, fand Anne. „Der Typ war doch gut gekleidet. So arm kann er nicht gewesen sein. Leeres Konto, gut – mancher lebt ja auf Pump. Aber gar keine Wertgegenstände? Gar kein Bargeld, um in Kneipen um sich zu schmeißen? Passt nicht, finde ich.“
„Wie war denn die Unordnung?“, mischte sich Patrick ein. „Ich meine, der normale Saustall, den wir alle ab und zu mal haben -“
„Ich nicht“, behauptete Liz, die zwar eine freche Klappe hatte, aber zur Pingeligkeit neigte.
„ – oder mehr so, als hätte jemand was gesucht?“, ignorierte Patrick den Einwurf.
„Guter Gedanke“, lobte Anne nachdenklich.
„Du meinst, der Mörder hat Kießling die Wertsachen, das Handy und die Schlüssel geklaut und sich dann die Wohnung vorgenommen?“, hakte Joe nach.
Читать дальше