Wenn ich mich bewegte, würde er das sofort bemerken. Es sei denn – wieder einmal ließ ich mich von meinem Instinkt leiten, ohne zu wissen, ob die plötzliche Eingebung wirklich eine gute Idee war.
Mit äußerster Vorsicht hob ich mein Schwert an und richtete die Spitze der Klinge auf einen Punkt oberhalb der Hände des Soldaten, an dem ich den Hals des Mannes vermutete. Obwohl ich annahm, dass er einen Helm trug, wusste ich, dass die meisten schlecht oder überhaupt nicht gegen Stiche von unten geschützt waren – meiner war da keine Ausnahme. – Wozu auch, normalerweise war es praktisch unmöglich einen solchen Stoß auszuführen, wenn man einem Gegner stehend gegenüber trat. Doch hier war das etwas anderes.
Vorsichtig legte ich meine rechte Hand unter den Knauf und machte mich bereit. Zwar musste ich über Kopf und nach hinten stoßen, aber es brauchte erstaunlich wenig Kraft, um eine Klinge in Hals oder unter dem Kinn in den Schädel zu treiben.
Mit meinem rechten Fuß schabte ich vorsichtig über den schneebedeckten Boden.
Neugier war bei einem Soldaten zugleich gut und schlecht. Gut, weil er dadurch aufmerksam war. Schlecht, weil sein Verhalten vorhersehbar wurde. – Wie in diesem Fall.
Weil er die Quelle des Geräuschs nicht sehen konnte, beugte er sich über die Palisade.
In dem Moment, dem ich seine Kinnspitze sah, rammte ich mein Schwert mit aller Kraft, die ich trotz des schlechten Winkels aufbringen konnte, nach oben.
Fast von alleine glitt die Klinge durch den Kehlkopf nach oben in den Schädel.
Der Soldat gab ein nasses, gurgelndes Geräusch von sich und versuchte vergeblich mit den gepanzerten Händen die Klinge zu greifen.
Blut tropfte aus dem Helm und lief die Klinge herunter, während der Mann rasch schwächer wurde.
Als er schließlich in sich zusammensackte, hätte mir sein Gewicht beinahe die Waffe aus den Händen gerissen. Im letzten Augenblick gelang es mir, den Griff festzuhalten. Ich nutzte den toten Körper, als Hebel, um aufzusehen. Dabei sog ich den Geruch des Mannes ein, und musste überrascht feststellen, dass es sich um eine Frau handelte. Neugierig besah ich mir ihr Gesicht, wobei ich darauf achtete, mich nicht aufzurichten und hinter ihr soweit es ging verborgen zu bleiben. Es zeigte einen Ausdruck von Überraschung und Schmerz, als könnte sie nicht glauben, was ihr gerade passiert war. Zudem war sie auch noch jung gewesen. Mit etwas wie bedauern riss ich mich schließlich von ihrem Anblick los und spähte um ihren behelmten Kopf herum über die Palisade.
Ein Dutzend Soldaten beugte sich gerade über zwei große Kupferkessel und ließ sich daraus großzügig Suppe ausschenken.
Allein dieser Umstand verhinderte bisher, dass sie mich entdeckten und sich auf mich stürzten.
Ich fluchte innerlich, denn jeder der Soldaten besaß einen Kurzbogen und einen gut gefüllten Köcher mit Pfeilen. Sie mochten zwar nicht die Reichweite der Armbrüste aus Kalteon haben, aber dafür machten sie durch Masse leicht wett, was ihnen an Distanz fehlte.
Einen langen Augenblick stand ich nur da und sah zu, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Dann nahm mir einer der Soldaten die Entscheidung ab, als er sich herumdrehte, um seine Kameradin zu rufen, der noch immer mein Schwert im Schädel steckte.
Wie als hätte er es so geplant, blickte er mir direkt in die Augen.
Einen Herzschlag lang wirkte er wie erstarrt. Dann öffnete er den Mund: „Alarm!“
Seine Suppenschale fiel fast gleichzeitig aus seinen Händen und er riss sich den Bogen von der Schulter.
Während seine Kameraden sich noch irritiert umsahen, griff ich tief in meine Kraftquelle und ließ mich von der Energie durchströmen. In Gedanken wuchs ein Tor aus Eis vor mir empor, durch das ich einen Platz zwischen den Zelten der ersten Reihe sehen konnte. Kaum berührten sich die beiden Torhälften in der Mitte des Sturzes, machte ich in meiner Vorstellung einen Schritt hindurch. Eisige Kälte brannte sich in meinen Körper, als ich durch die unendliche, lichtlose Leere auf das andere Ende des Tores zu fiel.
Dann war das Gefühl auch schon vergangen und ich befand mich am Ziel, mit dem Rücken zu den Soldaten, mitten in ihrem Lager.
Hätten sie nicht gerade zur Palisade gestarrt, wäre ich ihnen kaum entgangen.
So aber sackte ihre tote Kameradin gerade scheppernd in sich zusammen.
Ich nutzte die Ablenkung, um hinter einem Zelt erstmal in Deckung zu gehen.
Leider stand ich nicht nur hinter einem Zelt, sondern damit auch gleichzeitig vor einem weiteren, da die Unterkünfte sorgfältig in Reihen und Linien angeordnet worden waren.
Natürlich streckte genau aus diesem Zelt ein Soldat soeben seinen Kopf heraus.
„Eindringling! Zu mir!“, brüllte er ohne zu zögern. Dabei versuchte er, mich mit seinem Kurzschwert an der Wade zu erwischen.
Hätte er nicht gerufen, hätte er mich vermutlich auch getroffen. So wischte ich seine kurze Klinge mit meiner zur Seite und rammte ihm meinen Schild ins Gesicht. Da er keinen Helm trug, hörte ich ein trockenes Knacken, mit dem seine Nase brach. Dann ging er leise stöhnend zu Boden und blieb bewusstlos liegen. Aber er hatte seine Aufgabe erfüllt. Die Soldaten, die eben noch zu ihrer Kameradin an der Palisade gerannt waren, hatten sich nach dem Ruf fast alle herumgedreht und starrten durch den Nebel in meine Richtung.
Einen Moment dachte ich, sie hätten mich übersehen.
„Da!“, rief einer der Männer: „Ich kann seine Augen sehen. Sie glühen rot.“
Ich fluchte innerlich über meine Unachtsamkeit, aber im Dunkeln und bei diesem Nebel war die Möglichkeit Lebenskraft wahrzunehmen ein unschätzbarer Vorteil.
„Tötet ihn!“
„Verfluchte Dämonen!“
„Arrbath hat doch behauptet, sie wären unter Kontrolle.“
„Ruhe!“, befahl eine autoritäre Gestalt, die sich gerade aus dem Nebel geschält hatte. – Ein Offizier auf Inspektionsrunde.
Wieder fluchte ich leise, während ich mich nach einem Fluchtweg umsah.
„Was ist hier los?“, wollte der Offizier wissen.
„Ein Dämon, Lanzenführer. Dort drüben zwischen den Zelten. Er hat Giri getötet.“
Giri war also der Name der Soldatin. Hübsch. Schade um sie.
Ich öffnete wieder ein Tor und warf mich in dem Augenblick hindurch, in dem ich das peitschende Geräusch von Bogensehnen hörte. Die Soldaten feuerten auf die Stelle, an der ich eben noch gewesen war.
Dieses Mal hatte ich mir als Ziel den Eingang eines sechseckigen Offizierszelts gesucht, das groß genug für vier Männer gewesen wäre. Aber nach den Geräuschen, die daraus hervordrangen, befand sich nur einer darin, der gerade hastig bemüht war, sich anzukleiden. Da würde er gleich eine Überraschung erleben. Mit dem Schwert voran stürmte ich hinein. – Allerdings war ich es, der eine Überraschung erlebte.
Prompt stürzte ich über einen Tisch, der mitten im Zelt stand.
Polternd und scheppernd ging ich in einem Knäuel aus Möbeln, Unterlagen und den Resten einer Mahlzeit zu Boden.
Ich rollte mich so gut ich konnte herum, um den Besitzer des Zeltes ausfindig zu machen. Zu meiner Verblüffung lag der Mann genau neben mir.
Das fand ich dadurch heraus, dass meine Nase mit seiner Wange kollidierte als ich mich von meinem Rucksack herunterwälzte.
Vorsichtig tastete ich nach seinem Hals. Noch bewegte sich das Blut unter der Haut, also war er wohl noch am Leben. Ich untersuchte ihn kurz, stellte aber zunächst nur fest, dass er dabei gewesen sein musste, seine Stiefel anzuziehen, denn einer davon lag noch neben ihm.
Eine Platzwunde am Hinterkopf offenbarte schließlich das Geheimnis. Scheinbar hatte ihn die Kante des umstürzenden Tisches getroffen, als er sich gerade vorgebeugt hatte, um den zweiten Stiefel anzuziehen.
Ich erhob mich wieder, um mit dem Schwert das Leben des Mannes zu beenden.
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