Sobald ich an ihm vorbei war bog ich scharf nach links ab, wo ich beinahe über ein paar besonders schräg gespannte Zeltleinen gestolpert wäre. Einige taumelnde Schritte weiter bekam ich die Spitze eines Zeltpfostens zu fassen, der meinen Sturz verhinderte. Doch als ich mich daran herum schwang, riss ich das ganze Zelt um.
Durch die spontane Richtungsänderung verfehlte mich eine ganze Salve Pfeile. Die Schützen hielten sich im Nebel verborgen, aber die Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen Richtungen schossen, zeigte mir, dass sie eine ungefähre Vorstellung davon hatten, wo ich mich befand.
Ich sog wieder Energie in mich auf. Sie floss nur widerwillig und bildete ein eisiges Tor, kaum größer als ich. Sobald es fertig war, warf ich mich auch schon hindurch. Ich hatte kein spezielles Ziel gewählt, einfach einen Punkt zwischen den Zelten, tiefer im Lager, in Richtung der hinteren Reihen.
Natürlich landete ich nach einem kurzen Gefühl von Druck und Leere mitten zwischen vier Soldaten, die gerade geduckt neue Pfeile auf die Sehnen ihrer Bögen legten.
Schnelligkeit war praktisch mein einziger Vorteil.
Mit dem Schild voran rammte ich den rechts vor mir knienden Soldaten, während ich gleichzeitig mit dem Schwert nach dem Bogen des Soldaten zu meiner Linken schlug.
Es gab einen dumpfen Knall und vor mir wurde der Mann unter der Wucht des Schildes zu Boden geschleudert. Er blieb benommen liegen.
Den Bogen seines Kameraden verfehlte ich knapp, dafür traf ich seinen Brustpanzer knapp unterhalb des Halses. Das Leder hielt dem Hieb stand, aber die Klinge hinterließ eine sichtbare Kerbe. Der Mann keuchte, griff sich an die Brust und sackte in sich zusammen.
Seine beiden verbliebenen Kameraden richteten ihre Bögen auf mich. Aus nur drei Schritten Entfernung konnten sie mich unmöglich verfehlen. Triumphierend feuerten sie ihre Pfeile ab.
- Doch da war noch mein Schild.
Wie von einem Magnetstein angezogen, änderten die Geschosse ihre Richtung und schlugen in meinem Schild ein.
Dafür verschwanden zwei Runen auf der Innenseite. Der Schild zog alle Geschosse magisch an und sorgte dafür, dass ich nicht getroffen wurde. Mit jedem Treffer löste sich eine Rune auf, die wie Verzierungen am Rand der Innenseite angebracht waren. Inzwischen waren nur noch etwas mehr als zwei Handvoll davon übrig.
Mit ungläubigen Blicken starrten die Schützen auf meinen Schild.
„Nett? Oder?“, bemerkte ich dazu.
Dann machte ich einen tiefen Ausfallschritt vorwärts und rammte dem ersten, der mir direkt gegenüber stand die Klinge durch die Rüstung mitten in die Brust. Der Sternenstahl glitt glatt wieder hinaus, als ich das Schwert zurück riss. Ich stürzte mich auf den nächsten Gegner, der mir aus Reflex seinen Bogen ins Gesicht schleuderte. Zwar richtete er keinen Schaden an, aber es ruinierte meinen Angriff, so dass er Zeit hatte, sein Kurzschwert zu ziehen.
Sofort verfiel er in eine defensive Haltung und macht keine Anstalten, anzugreifen. Das war auch gar nicht nötig, denn bereits mit den wenigen Schlägen hatte ich meine Position verraten. Genauso gut hätte ich mit einem Tempelgong umherlaufen können.
Wenn mich der Soldat noch ein paar Augenblicke länger festhalten konnte, war ich praktisch umzingelt. Also nahm ich mir eine Seite aus dem Buch meines Kontrahenten und verwandelte meine Waffe in ein Wurfgeschoss.
- Allerdings zielte ich auf seine Beine.
Kurzschwerter waren gut im Nahkampf, in einem Duell aber praktisch wertlos, weil der Gegner einen Reichweitenvorteil hatte. Weil seine Klinge nicht lang genug war, um seine Waden und Füße zu schützen tat er das, was ich an seiner Stelle vermutlich ebenfalls getan hätte: er sprang hoch und zog dabei die Beine an.
Dadurch katapultierte er sich geradewegs in die Flugbahn von zwei Wurfsternen, die ich aus ihren Halterungen im Gürtel gezogen hatte, kaum dass das Schwert unterwegs war. Er versuchte noch, die wirbelnden Klingen abzuwehren, war aber zu langsam. Einer streifte ihn an der Schulter und verschwand irgendwo im Nebel, doch der andere bohrte sich genau in seinen Hals.
Würgend brach er zusammen. Ich hatte die Würfe nicht abgewartet, sondern war ihnen direkt hinterher gestürmt. Zwei große Schritte brachten mich zu ihm und ein weiterer an ihm vorbei. Dahinter befreite ich mein Schwert aus der Wand eines Zeltes, in der es hängen geblieben war. Gerade als ich mich bückte, zischte ein Pfeil über meine Schulter hinweg.
Eine Gruppe Soldaten mit Schilden, Speeren oder Bögen schälte sich soeben schreiend und rufend aus dem Nebel.
Statt mich aufzurichten, rollte ich mich über den Schild ab, um in Deckung eines Zelts zu gelangen. Dabei riss ich mehrere Leinen ab, in denen ich mich fast verhedderte. Pfeile bohrten sich in den harten Boden hinter mir. Einer streifte sogar meine Schulter, allerdings ohne meine Rüstung zu durchdringen. Trotzdem hinterließ er eine schmerzhafte Schramme.
Noch ehe ich ganz ausgerollt war, öffnete ich mich wieder meiner Kraftquelle und sog Energie in mich auf. Ich formte daraus in Gedanken ein Tor, dieses Mal zu einer Stelle am Rand des Lagers.
Dort angekommen, öffnete ich ein weiteres, dieses Mal direkt hinter einem schemenhaften Umriss eines Soldaten.
Er hörte das Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln und drehte sich um.
Jedenfalls versuchte er es. Die Klinge meines Schwertes, die ich ihm links unter seinen Helm an den Hals hielt, ließ ihn in der Bewegung erstarren.
Der Statur nach, war es vermutlich eine Frau oder ein kleiner Mann. Das bedeutete, weniger Muskeln, aber dafür mehr Beweglichkeit und bessere Reflexe.
„Fallenlassen!“, kommandierte ich mit Blick auf ihre Waffe.
„Den Schild auch!“
Beides landete im Schnee.
„Hinknien!“
Mein Kontrahent zögerte.
„Wenn ich Dich töten wollte, würde ich nicht mit Dir reden.“
Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken. Dabei erkannte ich auch, dass es sich wirklich um eine Frau handelte.
„Hände auf den Rücken.“
Wieder zögerte sie.
„Ich habe für so was keine Zeit. Du kannst machen was ich Dir sage, oder ich schneide Dir jetzt und hier die Kehle durch und suche mir jemand anderen“, fauchte ich sie mit gepresster Stimme an.
Sie zuckte sichtbar zusammen, folgte dann aber meinem Befehl.
Dann lehnte ich meinen Schild gegen mein Bein.
Ich löste eine Lederschlaufe vom Gürtel, die ich ihr mit einer Hand über die Handgelenke schob und zusammenzog.
Nachdem die Hände gefesselt waren, band ich das Ende um ihren Hals und führte es wieder zurück zu den Händen.
Als das erledigt war, riss ich sie daran wieder auf die Füße und steckte gleichzeitig mein Schwert weg.
So nah hinter ihr wurde mir klar, dass ich zwei Köpfe größer war als sie. Ich griff um sie herum und löste ihren Gürtel, weil daran ein Dolch und eine Reihe Taschen hingen, über deren Inhalt ich mir nicht auch noch Gedanken machen wollte. Sie war eiskalt und zitterte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es wegen der Kälte war, oder ob sie Angst hatte.
„Was wiegst Du?“, schnauzte ich sie an, während ich sie zwischen zwei Zelte zerrte.
„D-d-dreiundfünfzig Stein“, gab sie mit überraschend tiefer, aber zittriger Stimme zurück. In Rüstung also noch unter siebzig Stein. Machbar.
„Stillhalten!“
Ich hörte nach wie vor überall Schritte und Stimmen, und sah die schemenhaften Umrisse von Soldaten, die überall im Lager herumliefen, beleuchtet vom hellen Schein des brennenden Zelts. Aber für den Moment war keiner davon nah genug, um mich zu entdecken. Vor mir lag nur noch eine Reihe Zelte, dahinter befand sich wieder offenes Gelände.
Eines der Zelte in der finalen Reihe war wiederum ein Offizierszelt. Natürlich war der Offizier nicht mehr darin, sondern würde irgendwo im Lager die Suche koordinieren.
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