Ich sammelte meine Kraft für ein neues Tor direkt dorthin. Dieses Mal war es deutlich schwieriger, weil ich die Gefangene mitnehmen wollte. Scheinbar besaß sie eine gewisse Sensibilität für arkane Ströme, denn sie begann plötzlich zu zappeln.
„Ruhe, sonst lasse ich Dich dort“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich riss an den Fesseln und grub gleichzeitig meine linke Hand in ihre Schulter, dann machte ich einen Schritt vorwärts durch das Tor. Es fühlte sich an, als würde ich gegen einen Strom eisigen Wassers ankämpfen, der mir allmählich die Kräfte raubte. Gleichzeitig zerrten unsichtbare Hände an der Soldatin, wollten sie mir entreißen. Wenn ich den Griff um sie verlor, würde sie in den unendlichen Tiefen des Zwischenraums verschwinden.
Schweiß lief mir in Strömen über den Rücken hinab, als wir einen Lidschlag später wieder auftauchten. Die Gefangene beugte sich krampfartig nach vorne und übergab sich. Die Krämpfe dauerten länger an und sie verlor dabei auch ihren Helm. Darunter kam ein brauner, kurz geschnittener Haarschopf zum Vorschein.
Weil ich nicht Gefahr laufen wollte, über die Soldaten zu stolpern, die noch immer nach mir suchten, zerrte ich sie mit mir in das Zelt. Wie erwartet war es leer und beinahe ebenso eingerichtet, wie das Erste.
„Hinlegen!“
Ohne auf ihre Reaktion zu warten, stieß ich sie groß zu Boden und stellte ihr meinen Stiefel in den Nacken. Sie zappelte ein wenig, wehrte sich aber nicht ernsthaft.
Dann ergriff ich die Felldecke, die auf dem Bett lag und einen Umhang, der scheinbar als Kopfkissen gedient hatte. In die Mitte der Felldecke schnitt ich ein Loch, während ich vom Umhang lediglich zwei Streifen Stoff abtrennte. Einen verknotete ich mehrfach zu einem einzelnen, großen Ball.
Ich bückte mich damit in der Hand zu der Soldatin am Boden.
„Mund auf!“
Als sie versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, grub ich meine Finger brutal in ihre Wangen. Sie keuchte und wand sich, hatte aber wenig Möglichkeiten.
Schließlich gab sie auf. Mit der einen Hand hob ich ihr Kinn an, mit der anderen stopfte ich ihr den Knoten in den Mund, und band ihr anschließend den zweiten Stoffstreifen fest, damit sie den Knebel nicht verschieben oder ausspucken konnte.
Als nächstes zog ich sie wieder auf die Füße, um ihr die Decke des Offiziers als provisorische Kälteschutzkleidung anzuziehen. Ich manövrierte ihren Kopf durch das Loch und band ihr die Decke mit einem Lederband um die Hüfte fest.
Dadurch hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ihr Gesicht zu betrachten. Sie war hager, fast schon dürr. Ihre Wangen waren leicht eingefallen, ihre Augen hatten dunkle Ränder von zu wenig Schlaf. Ihre schmalen Lippen waren leicht blau angelaufen und zitterten. Sie hatte drei lange Narben, die vom rechten Mundwinkel bis zum Ohr verliefen, von dem das untere Drittel fehlte. Ihre linke Augenbraue war mit drei eisernen Ringen verziert.
Ihre Augen funkelten mich wütend an, obwohl ich den Eindruck hatte, dass darunter Angst und Verwirrung lauerten.
Sie schien überrascht, mich zu sehen. Anscheinend hatte sie mit jemand anderem gerechnet.
„Was? Gefalle ich Dir nicht?“, fragte ich sie sarkastisch.
Statt einer Antwort, versuchte sie mich zu treten. Ich sprang zurück und sie nutzte die Gelegenheit, um sich zum Ausgang umzudrehen. Mit einer Hand erwischte ich sie an der Schulter und trat ihr gleichzeitig brutal in die Kniekehle.
Dabei verdrehte sie sich das Knie auf eine äußerst ungesunde Art. Sie schrie auf, was jedoch durch den Knebel zu einem erstickten Keuchen wurde.
Ich hatte überhaupt keine Zeit für einen solchen Unsinn: „Selbst schuld.“
Sie wand sich unter Tränen auf dem Boden herum, während sie erstickt keuchte und würgte.
Ohne sie weiter zu beachten, entfachte ich ein weiteres Feuer aus den Möbeln und den Inhalten gleich zweier Laternen.
Dann ließ ich etwas von meiner arkanen Energie in meine Muskeln fließen, Verletzungen, Muskelkater, Ermüdungen wurden für den Moment nebensächlich.
Ich beugte mich zu meiner Gefangenen herunter und packte sie mit einer Hand an der Kehle.
Ohne große Mühe hob ich sie in die Höhe, bis sie auf meiner Augenhöhe mit den Füßen in der Luft baumelte.
„Was genau habe ich Dir über Widerstand gesagt?“, herrschte ich sie an.
Sie strampelte verzweifelt, ihre Augen wurden riesig groß und Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen.
„Was?“, rumpelte ich in einer unnatürlich tiefen Stimme.
Ihr Verhalten weckte in mir ein gewisses Verlangen, es erregte mich sogar. Genüsslich leckte ich mir mit der Zunge über die Lippen, was bei ihr einen entsetzten Blick hervorrief. Sie trat mich mehrmals so fest sie konnte, doch das registrierte ich nur am Rande. Es amüsierte mich sogar.
Ganz leicht hatte ich den Anflug eines seltsamen Gefühls, das ich nicht so recht einordnen konnte. Es wurde etwas stärker, als ihre Tritte kraftloser wurden. Ihre Zappeleien wurden schwächer, ihre Lippen verfärbten sich immer blauer und ihre Augen waren so groß geworden, als würden sie gleich aus den Höhlen treten.
Amüsiert fragte ich mich, wie das wohl aussehen würde und erwog, es auszuprobieren.
Aber eigentlich wollte ich sie ja mitnehmen und befragen.
Die Standorte und Strategien der Angreifer zu kennen, war auf jeden Fall nützlich, wenn wir mit Attravals Kompass aus Kalteon entkommen wollten. Dazu sollte sie wohl besser am Leben bleiben.
1
1 - 7 Kriegsbeute -
Als wäre ich aus einem Alptraum erwacht, zerriss ein Schleier vor meinen Augen und ich starrte entsetzt auf die regungslose Gestalt, die ich noch immer mit einer Hand hoch hielt. Einen Moment wusste ich nicht, was gerade passiert war. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Dann verließ mich meine Kraft so schnell, wie das Licht einer Kerze verlosch, wenn ein Windstoß die Flamme auspustete.
Das volle Gewicht des bewusstlosen Körpers konnte ich daher natürlich nicht mit einer Hand halten. Scheppernd stürzte sie zu Boden. Mir gelang es soeben ihren Fall halbwegs aufzuhalten. Kaum lag sie ruhig, durchschnitt ich ihre Fesseln und entfernte den Knebel. Mit einem Ohr an ihrem Mund prüfte ich, ob sie noch atmete.
Gleichzeitig beobachtete ich ihren Oberkörper daraufhin, ob er sich hob und senkte.
Einen langen Augenblick hörte ich nur das Hämmern meines eigenen Herzens, doch dann entdeckte ich eine kaum merkliche Bewegung ihres Brustkorbes und spürte einen sehr sanften Lufthauch am Ohr.
Erleichtert atmete ich selbst einmal tief durch. Dann fesselte ich ihre Hände vor dem Körper, ließ aber den Knebel weg. So lange sie bewusstlos war, war er nicht nötig und sie hatte es leichter zu atmen. An ihrem Hals zeichneten sich bereits Blutergüsse in Form meiner Hand ab. Dort wo sich meine Fingernägel in ihre Haut gegraben hatten, blutete sie sogar leicht.
Mechanisch wuchtete ich sie hoch und legte mir ihren Körper wie den eines erlegten Hirsches über die Schulter, so dass ich sie mit einer Hand festhalten konnte. Ohne die Schildfessel wäre es nicht gegangen. So baumelte er lose an meinem Arm, aber ich konnte mein Schwert in der anderen Hand behalten.
Mit meinen Gedanken war ich an einer vollkommen anderen Stelle. Ich konnte mir einfach nicht erklären, wie mir derart die Kontrolle hatte entgleiten können. Als ich noch jünger und unbeherrschter gewesen war, hatte ich hin und wieder Wutausbrüche gekannt, doch seit ich einige Jahre unter Meister Adch Van’Terr studiert und gelebt hatte, war mir dies nur zu zwei Gelegenheiten passiert. – Bis heute. Und die beiden Vorfälle aus der Vergangenheit waren nicht mit der Situation von gerade eben zu vergleichen.
Mir fiel einfach keine plausible Erklärung dafür ein. Besonders nicht, wenn ich dabei meine dämonischen Kräfte benutzte. Ein dringendes Gespräch mit Jiang war angebracht, ihr Verständnis der arkanen Kräfte und Strömungen ging weit über meines hinaus. Außerdem waren ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit mentaler Disziplin bei weitem besser als meine. – Was nicht weiter schwer war, weil ich davon keine Ahnung hatte.
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