Kurz bevor ich den Schlag ausführte, hielt ich dann aber doch noch inne. An sich hatte ich kein Problem damit, einen Bewusstlosen zu töten, zumal ich mir sicher war, dass er mir umgekehrt den gleichen Gefallen erweisen würde. Trotzdem hielt mich etwas davon ab. Vielleicht, dass ich mich schuldig fühlte, weil ich die junge Soldatin an der Palisade auf so unfaire Weise getötet hatte.
Ich seufzte und beugte mich ganz nah an das Ohr des Offiziers: „Heute ist Dein Glückstag. Treffen wir uns wieder, werde ich Dich nicht verschonen“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
Dann richtete ich mich wieder auf und sah mich um. Lange konnte ich auch hier nicht bleiben. Irgendwann würde ein Soldat nachsehen kommen, warum sein Offizier sich nicht blicken ließ.
Außerdem sollte ich die Soldaten ja ablenken, und das konnte nicht, solange ich mich hier verbarg.
Also steckte ich mein Schwert weg, damit ich eine Hand frei hatte, für das, was ich beabsichtigte. Ohne groß zu suchen, fand ich eine gut gefüllte Öllampe, die der Offizier oben auf den Speichen der Zeltspinne abgestellt hatte. Ich löschte sie zuerst, dann zerbrach sie so, dass das Öl die Bettdecke tränkte. Dann warf ich den Stuhl darauf und auch die Tischbeine. Ich musste nur den Docht entzünden, damit sich eine große Flamme bildete. Dann warf ich ihn auf das Bett. Das Öl fing sofort Feuer.
Erst wollte ich noch die Papiere und Briefe des Mannes hinzufügen, doch dann entschied ich mich anders und stopfte sie in eine meiner Gürteltaschen. Sie könnten sich noch als nützlich erweisen.
Während die Flammen immer höher schlugen, bohrte ich mit meinem Dolch an verschiedenen Stellen Löcher in die Zeltwand, um hinaus zu sehen. Zunächst sah ich nur Weiß. Selbst durch die kleinen Löcher floss mir eisige Luft entgegen. Wäre ich kein Kaltländer gewesen, wären mir vermutlich die Augäpfel dabei eingefroren.
Erst nach und nach schälten sich Gestalten aus dem Nebel heraus, die wirr umher zu torkeln schienen. Soldaten liefen in Unterwäsche frierend und zitternd durch die Gegend, während zwei vollständig gerüstete Gruppen gezielt das Lager durchsuchten. Sie scheuchten ihre Kameraden zurück in deren Zelte, damit sie sich zunächst vollständig ankleideten, ohne dabei die Umgebung aus den Augen zu lassen. Eine dritte Gruppe mit Bögen sicherte die Sucher ab. Ihre Arme zitterten und sie traten ständig von einem Bein auf das Andere. Die eisige Kälte musste deutlich intensiver an allen nagen, als an mir. Ein unbekleideter Mensch würde in wenigen Zehnteln einer Kerze erfrieren.
Überall war Bewegung. Meine einzige Chance war es, ebenfalls ständig in Bewegung zu bleiben, damit sie ihr Suchnetz nicht um mich herum schließen konnte. Der Nebel bot mir zum Glück weitgehend Deckung, weil er kaum Sicht über eine Distanz von mehr als einer Seillänge erlaubte.
Ich musste unbedingt verhindern, dass sich die Truppen ordnen konnten. Meiner Schätzung nach, gab es etwa acht Zeltreihen, mit ebenso vielen Zelten in jeder Reihe. Was dahinter lag, konnte ich nur vermuten. Hoffentlich hatten sie keine rückwärtigen Befestigungen errichtet.
Hinter mir näherten sich Schritte durch den knirschenden Schnee, die meine Gedankengänge abrupt beendeten, als sie direkt vor dem Zelt anhielten.
„Lanzenführer Gondar?“, erklang eine zögerliche Stimme.
„Hmm“, grunzte ich unverbindlich.
„Haufenführer Born erwartet unverzüglich Eure Anwesenheit.“
„Hmm“, gab ich zurück.
Gleichzeitig ballte ich arkane Energien in meiner linken Hand zusammen.
Ein unmerkliches Zittern durchlief meinen Arm und ich hatte kurzzeitig das Gefühl, als würde ich damit bis zur Schulter in einem Fass voll klebrigem, schmierigem Öl stecken, das nach fauligem Fisch roch.
Trotzdem behielt ich meine Konzentration bei und wartete.
Da ich keine Befehlsbestätigung gegeben hatte, war ich sicher, dass der Soldat nicht gehen würde, ehe er eine solche erhalten hatte.
Und tatsächlich wurde die Zeltplane am Eingang angehoben und ein behelmter Kopf schob sich vorsichtig zu mir hinein. Der Soldat sah seinen Vorgesetzten bewusstlos am Boden, das brennende Bett dahinter, und mich direkt daneben.
Er öffnete den Mund, um laut zu rufen, aber darauf war ich vorbereitet. Während er noch Luft holte, grinste ich den Mann böse an und feuerte ihm meinen Blitz direkt ins Gesicht. Krachend entlud sich die Energie und warf ihn rückwärts wieder hinaus.
Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Haaren ging im Qualm des Feuers beinahe unter.
Ohne auf weitere Reaktionen von draußen zu warten, wandte ich mich wieder einem der Gucklöcher zu.
Schon beim ersten Blick über die Palisade hatte ich erkannt, dass ich mich geduckt bewegen musste, um nicht über die niedrigen Zelte hinweg entdeckt zu werden.
Ich wählte zufällig einen Punkt zwischen zwei Zelten drei Reihen weiter hinten aus. Dieses Mal hatte ich das Gefühl, das Tor welches ich öffnete, würde aus brennenden Leinenbahnen bestehen, die sich umeinander wanden.
In letzter Zeit formte sich das Tor mehr und mehr nach der Umgebung und entzog sich in der Gestalt meiner Kontrolle. Das fand ich etwas beunruhigend, aber so lange es funktionierte, konnte ich damit leben. Bei nächster Gelegenheit würde ich Jiang dazu befragen.
Während ich mich konzentrierte hörte ich am Rande hinter mir mehrere Paar schwerer Stiefel, näherkommen. Überraschte Rufe zeigten mir, dass sie die Leiche ihres Kameraden entdeckt hatten, die direkt vor dem Zelteingang liegen musste. Zusätzlich musste ich die Luft anhalten, damit ich nicht den Rauch des Feuers einatmete, dessen Flammen bereits nach der Zeltwand leckten. Diese war zum Schutz vor Regen mit Öl oder Wachs imprägniert und würde hervorragend brennen. Ehe das geschah, war ich bereits verschwunden. Dieses Mal hatte ich den Geruch von Feuer in der Nase während ich durch die große Leere fiel, die zwischen den Welten lag. Sobald ich den Schnee unter meinen Stiefeln spürte, ließ ich mich auf ein Knie fallen.
Ich zog mein Schwert, dann lief ich los. Geduckt hetzte ich zwischen den Zelten hin und her.
Ohne den Nebel hätte ich es keine zwei Schritte weit geschafft. Und auch so hörte ich beinahe sofort hinter mir aufgeregte Rufe.
Ein Pfeil zischte von links an mir vorbei. Obwohl ich sofort den Kopf wandte, konnte ich den Schützen im Nebel nicht ausmachen. Der Schuss war mir wohl nur zufällig nahegekommen.
Ich hielt kurz an, wählte zufällig einen Punkt ganz in der Nähe eines Zeltes aus, dem sich gerade eine Gruppe von mehreren Soldaten näherte.
Ich sog arkane Kräfte aus meinem Inneren und stellte mir vor, wie sich aus einer kleinen Pfütze einer öligen Flüssigkeit zwischen den Männern ein armdicker Tentakel empor schlängelte. Es kostete mich einiges an Mühe, ihn unter Kontrolle zu halten. Er wirkte fast wie ein lebendiges Wesen. Mit einem mentalen Befehl sandte ich ihn auf die Jagd.
Einer der Soldaten war ohne es zu merken in seine Reichweite geraten. Wie eine Peitschenschnur wickelte er sich um die Hüfte des Mannes und riss ihn von den Füßen. Seine Kameraden schrien und schlugen sofort auf den Tentakel ein, doch da hatte ich meine Kontrolle bereits aufgegeben und den Energiestrom dorthin gekappt. Mit einem letzten Zucken schleuderte er den Soldaten quer durch das Lager, wo er schreiend im Nebel verschwand.
Während der Mann durch die Luft flog, war ich bereits wieder in Bewegung.
Weitere Pfeile zischten an mir vorbei, aber die Schützen konnte ich nie ausmachen. Trotzdem reagierte ich darauf, indem ich Energie in meiner rechten Hand sammelte. Dazu musste ich den Griff des Schildes loslassen, aber da er über zwei Armschlaufen verfügte, blieb er an Ort und Stelle.
Kaum hatte ich genügend Energie gesammelt, feuerte ich blindlings in die Richtung, aus der der letzte Pfeil gekommen war. Ich rannte nach rechts, die Zeltreihe entlang auf den Rand des Lagers zu. Unterwegs nutzte ich die Gelegenheit, einem Soldaten, der soeben sein Zelt verlassen wollte, meinen Schild ins Gesicht zu rammen. Ich hörte Knochen splittern und spürte die Erschütterung, als er wie ein Sack Kartoffeln zu Boden fiel.
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