Der Mann war ebenso lange tot wie sein Pferd.
Die übrigen Reiter hatten die gleichen Rüstungen getragen, wie mein Gegner, also waren sie vermutlich ebenfalls Totlose. Da weit und breit aber nichts von ihnen zu sehen und durch den Lärm der Schlacht – dem ich einen Augenblick auf Veränderungen lauschte – auch nicht zu hören war, beschloss ich schnellstmöglich zu verschwinden.
Mit zwei Handgriffen hatte ich die Schwertscheide vom Sattel gelöst. Das Leder war alt und rissig, als wäre es schon lange nicht mehr gepflegt worden. Irgendwann war es sicher einmal rot gewesen, doch jetzt war es dunkel, fast schwarz. Das konnte ich dank meiner Dunkelsicht erkennen.
Ohne weitere Verzögerung schlang ich mir das Schwert samt Scheide über die Schulter. Anschließend setzte ich mir den Rucksack wieder auf. Dann blickte ich mich suchend nach meiner Gefangenen um. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie die Ablenkung genutzt hatte, um zu verschwinden. Doch zu meiner Überraschung saß sie noch immer da, wo ich sie zurückgelassen hatte und starrte mich ungläubig an.
„Was? Noch nie einen Zweikampf gesehen? Oder bist Du nur überrascht, dass ich gewonnen habe?“
An ihrer Reaktion konnte ich entnehmen, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
„Jetzt wo Du wach bist, kannst Du auch selber laufen“, fügte ich unfreundlich hinzu.
Sie versuchte etwas zu sagen, brachte aber wenig mehr als ein heiseres Krächzen hervor.
„Lass es, vielleicht kann Anaya etwas für Dich tun. – wenn wir sie wiederfinden.“
Sie hielt in ihren Bemühungen, sich zu erheben inne und sah mich fragend an.
„Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich wäre alleine?“
Dann schubste ich sie mit einer Hand an: „Los jetzt, wir sind noch nicht da.“
In der anderen Hand hielt ich noch immer mein Schwert, für den Fall, dass wir über noch mehr Gegner stolperten. Wirklichen Widerstand leistete sie nicht, aber sie stolperte mehrfach. Es dauerte einige Zeit, bis mir klar wurde, dass sie in der Dunkelheit fernab von Fackeln und Laternen so gut wie nichts sehen konnte.
Seufzend steckte ich mein Schwert weg und zog einen Dolch. Mit der anderen Hand ergriff ich sie an der Schulter, um sie zu dirigieren.
Erst versuchte sie sich dem zu entziehen, aber als sie merkte, dass sie so weniger oft stolperte, ließ sie sich führen.
Wir bewegten uns stetig in Richtung auf das sanfte, orange Glühen zu, dass sich ungefähr dort befand, wo ich den Eingang zu Attravals Grab vermutete.
Die Landschaft veränderte sich rasch. Zuerst fiel mir das gar nicht auf, aber der Schnee wurde immer weniger und verwandelte sich in matschigen Morast.
Außerdem wirkte das Gelände vor uns irgendwie konturlos und unfertig, ohne Details.
Während ich mir darüber noch Gedanken machte, stolperte ich beinahe über eine Erdscholle, die sich an den Rändern hochgebogen hatte, weil sie so trocken war, als hätte es seit vielen Monden nicht mehr geregnet. Auch die Büsche und Bäume waren deutlich sichtbar verdorrt.
Schnee war nirgendwo zu sehen. Nur eine große schwarze Fläche, die glänzte wie Wasser.
Daraus ragten nur ein paar kahle Bäume hervor. Die meisten von ihnen geborsten, umgestürzt oder abgebrochen.
Es roch verbrannt.
Die Luft war deutlich wärmer geworden.
Und heller wurde es auch noch.
Vor uns, in der Mitte des Sees leuchtete das Wasser in einem tiefdunklen Orange. Dort zeigten auch die Reste von Ruinen auf einer kleinen Insel in den Himmel, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.
- Ebenso wenig, wie den See.
„War der schon hier, als ihr gekommen seid?“, wollte ich von meiner Gefangenen wissen.
Sie schüttelte den Kopf.
Ein neues Rätsel also. Als hätte ich nicht schon genug, um darüber nachzudenken.
Aber weil mir nichts dazu einfiel, zuckte ich mit den Achseln und wir setzten unseren Weg fort. Vermutlich ein Fehler, aber was sollte ich sonst tun.
Mit jedem Schritt wurde es wärmer und das Leuchten intensiver, doch weiterhin regte sich nichts, obwohl es windig war. Eigentlich hätten kleine Wellen auf dem Wasser vor uns sein müssen. Stattdessen schälten sich vor uns plötzlich zwei Wachsoldaten aus der Dunkelheit.
Ich blieb stocksteif stehen und kniete mich sofort hinter einen Busch in Deckung. Meine Gefangene folgte mir nur widerwillig. Erst die Erinnerung an den Dolch in meiner Hand brachte sie zur Vernunft.
Noch hatten sie uns nicht bemerkt.
Die Wachen lehnten an zwei Bäumen, die sie fast perfekt vor unserer Entdeckung verborgen hatten.
Sie konnten uns unmöglich übersehen haben, trotzdem gab es keine Alarmrufe oder andere Reaktionen von den beiden.
Im Gegenteil, sie bewegten sich überhaupt nicht.
Eine Zeitlang beobachtete ich sie. Dann kam ich zu der Erkenntnis, dass sie bereits tot waren. Vorsichtig näherte ich mich ihnen, denn dass wie vermutlich nicht mehr lebten, musste ja nicht unbedingt heißen musste, dass sie ungefährlich waren.
Also wechselte ich vom Dolch wieder zum Schwert ohne die Umgebung dabei aus den Augen zu lassen.
Je näher ich kam, umso deutlicher wurde es, dass von den beiden wirklich keine Gefahr mehr ausging, zumal ihre Waffen neben ihnen auf dem Boden lagen, wie ich mit einem sorgfältigen Blick feststellen konnte.
Um an die beiden Soldaten zu gelangen, musste ich um die Bäume herumgehen, an die sie sich gelehnt hatten. Mir war nicht so recht klar, warum sie überhaupt noch aufrecht standen. Das taten Leichen normalerweise nicht so einfach. Üblicherweise fiel man um, wenn man tot war.
Meine Gefangene hatte sich hinter mir ebenfalls genähert. Sie schien ebenso vorsichtig wie ich, aber das konnte auch ein Trick sein, um mich in Sicherheit zu wiegen.
Der leicht verbrannte Geruch von Fleisch und Holz drang mir in die Nase, und dabei war noch ein anderer, wie in einer erloschenen Schmiede.
Weit und breit konnte ich aber keine Quelle dafür entdecken.
Als ich um den Baum herumtrat, erlebte ich eine Überraschung. Zunächst hatte ich angenommen, dass beide Soldaten von Pfeilen oder einem Speer an den Baum genagelt worden waren, stattdessen war die Rüstung des Soldaten auf der Rückseite zum Teil geschmolzen. Die einzelnen Teile der Rüstung hatten sich unter gewaltiger Hitze miteinander verbunden. Dadurch blieb der Soldat aufrecht stehen, obwohl er definitiv tot war. Im Moment war ich nur froh, dass ich nicht in der Rüstung steckte. Vorsichtig stieß ich den Toten mit dem Schwert an.
Es knackte, dann rutschte er langsam zur Seite, bevor er scheppernd auf dem Boden aufschlug.
Das Geräusch der Rüstung riss mich aus meinen Gedanken und ich blickte mich suchend um, konnte meine Gefangene aber nirgends entdecken. Fluchend wechselte ich auf Dunkelsicht, weil ich hoffte die Wärme ihres Körpers irgendwo entdecken zu können. Zum Glück hatte ich nicht in Richtung Mitte des Sees gesehen, sonst wäre ich vermutlich blind geworden. Die ganze Fläche strahlte eine gewaltige Hitze ab. Hier am Rand war es noch erträglich, aber je weiter man zum Zentrum kam, je heißer und greller wurde es. Dort musste es heiß wie in einem Schmiedefeuer sein.
Ich schätzte die innere Fläche auf etwa ein Seilquadrat oder 400 Rechtschritt ein. Dorthin konnte ich nur sehen, wenn ich die Hand vor Augen hielt und auch dann nicht lange.
Als ich den Blick abwandte, konnte ich zunächst überhaupt nichts mehr erkennen, doch dann klärte sich die Sicht langsam und ich entdeckte meine Gefangene, die rechts von mir über den See humpelte.
Erst dachte ich, sie liefe durch das Wasser, aber dann entdeckte ich, dass sie nicht in, sondern auf dem Wasser rannte.
Ohne zu zögern nahm ich die Verfolgung auf.
Beim ersten Schritt auf dem Wasser erwartete ich irgendwie zumindest einzusinken, aber die Oberfläche war glatt und hart wie Stein. Da ich wusste in welcher Richtung sie unterwegs war, wechselte ich zurück auf Dunkelsicht. Sie war trotz der Verletzung schnell, soviel musste ich ihr lassen.
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