„Na also, geht doch“, kommentierte mein Mörtel-Willi lakonisch, „du veranstaltest aber auch immer ein Theater.“ Spontan wollte ich mich daraufhin für Sekundenbruchteile scheiden lassen.
Stopp! An dieser Stelle muss ich einen essenziellen Exkurs einfügen. Eigentlich unverzeihlich, dass ich unsere Haushaltsvorsitzende bisher nicht erwähnt habe. Es ist eine Katze. Baghira, Baghsi, Bagghi, Miss Baghira, altes Luder, kleine Maus, süße Moppelmaus oder Mäuschen, ist ein immer klein gebliebenes, weißlatziges schwarzes Kätzchen, das uns als Teenie zulief, und uns regiert. Und das schon sehr lange. Sie degradiert mich zur Haushaltshilfe und meinen Mann zum Büchsenöffner. Abends schreitet sie über die Leiber ihrer Untertanen, nimmt Huldigungen in Form von Kuscheleinheiten entgegen, lässt sich dann mit lautem Hubschrauberlandeplatzschnurren auf Klaus-Willi fallen, weil sie in seinen zahlreich vorhandenen Brusthaaren zu wühlen gedenkt. Miss Baghira bezieht immer Stellung zu sämtlichen Familienangelegenheiten. Streitereien kann sie nicht ausstehen, sie weiß dann nämlich nicht, zu wem sie halten soll. Damit sie nicht so leidet, haben wir eine bei Eltern gängige Floskel abgewandelt: „Schschscht! Bitte nicht vor der Katze!“ Aber dieser Vorsatz lässt sich aus Temperamentgründen nicht immer einhalten.
Weihnachten rückte immer näher. Und damit nicht nur die letzten fünf Klausuren vor den Zeugnissen im Januar, sondern auch die Weihnachtsfeier in der Aula. Dafür wurden per Aushang freiwillige Helfer gesucht. Carola und ich kreierten eine Kuchenliste und warben in den Klassen für impulsive Unterstützung, damit ein Kuchenbuffet mit leckeren, selbstgebackenen Kuchen zustande kam. Ein anstrengendes Unternehmen. Zudem übernahm ich die Ausstattung der Aula, da ich in diesem Bereich einige Jahre professionell tätig war. Ich bekam den Deko-Job von Frau Piczynski übertragen, die ihn bis dahin ausübte, und die ihn für die Dauer meiner Schulzeit an mich abtrat. Auch heute noch, beim alljährlichen Schulfest der Ehemaligen fragt sie jedes Mal: „Na, was sagen sie denn zu meiner Tischdeko?“ Diese ist, wie es sich für eine Mathematiklehrerin gehört, sowohl farblich als auch thematisch gut durchdacht und immer streng linear. Streng linear konnte ich nicht. Ausgerüstet mit großartigem Equipment, bestehend aus Geodreieck, Zirkel und Lineal, gelangen mir selbst unter größten Anstrengungen die Skizzen im Matheunterricht nur mäßig. Es lag nicht am Rechnen. Obwohl ich gut malen kann, bin ich einfach nicht in der Lage, selbst eine gerade Linie mit dem Lineal zu zeichnen. Erst recht keinen Graph, der irgendeine Linie an irgendeinem Punkt schneiden soll. Vorgaben dieser Art finde ich kleinkariert. Sie determinieren meine Kreativität. Von Carola bekam ich Hilfestellung. Sie war in ihrem Element, denn schließlich wollte sie Architektur studieren und bediente sich professionell jeglicher Gräuelinstrumente. Auch Klaus-Willi sprang in Bresche, er ist der beste Zeichner den ich kenne.
Es war nicht leicht für den bevorstehenden Klausurhagel ein brauchbares Zeitmanagement zu finden, denn schließlich wurden zudem umfangreiche Hausaufgaben erwartet. Oft schlief ich für kurze Zeit mit dem Kopf auf dem rechten Arm liegend, an dem kleinen Schreibtisch ein, den mein Mann mir aus einem Nähmaschinengestell gewerkelt hatte. Minutenschlaf wirkte bei mir Wunder, danach konnte ich richtig aufdrehen. Und so blieb auch meiner Halswirbelsäule nichts anderes übrig, als sich in ihren Dauerschaden zu fügen.
„Wo gehen sie denn zum Friseur“, laut vernehmbar fragte mich Frau Frenken vor der Deutschstunde, den kritischen Blick auf meinen Kopf genagelt.
„Ich habe mal einen Neuen getestet. In der Altstadt. Dort arbeiten sie nur ohne Termin- das ist einigermaßen stressig, aber sie sind gut.“
„Was lassen sie denn da immer so machen“, forschte sie neugierig weiter.
„Zwei- oder dreifarbige Strähnen und schneiden“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Und zu wem gehen sie da so?“
„Wenn sie frei ist zu Dunja, die ist zwar ziemlich ruppig, aber sie hat´s drauf.“
„Aha, Dunja.“
Im Verlauf der Weihnachtsfeier entdeckte ich sie an der Kuchentheke mit neuer Frisur. Sie winkte mir lachend zu: „Ich war bei ihrem Friseur.“
„Sieht toll aus“, antwortete ich anerkennend.
„Ja, hat ja auch der Dunja in seine Hände genommen.“
„Wie?“ Fragend schaute ich sie an.
„Der ist doch umgebaut“, lachte sie schrill, „sagen sie bloß, das haben sie nicht bemerkt?“
„Äh eh…nein, bisher nicht.“
„Ja, ist ihnen denn nicht aufgefallen dass“, brüllte sie und ließ ihre Hand auf die Theke donnern, „dass bei der oben herum alles viel zu akkurat sitzt? Wie naiv sind sie denn?“ Die Kuchenparade bebte, einige Stücke schlugen Salto. Die Trockenen zerbröselten, die Mürben zermatschten, die umgefallene Kaffeesahne lief über die Weihnachtsdeko runter auf den Boden, und ich bekam einen roten Kopf. Pi hob eine Augenbraue, murmelte etwas von, „typisch Geisteswissenschaftler“, bevor sie mir half die Schäden zu beseitigen. Währenddessen amüsierte sich Annilore Frenken noch eine ganze Weile über meine Ahnungslosigkeit.
Nein, weder war mir aufgefallen, dass Dunja ein Mann war, noch hätte es mich interessiert. Für eine tolle Frisur würde ich mir auch beim Glöckner von Notre Dame die Haare schneiden lassen!
Für die Weihnachtsferien folgte Klaus-Willi der Empfehlung eines Kollegen. Wir fuhren in die Steiermark zu einem gewissen Pucki, der dort eine Pension betrieb. Ich kenne kaum jemand der seinen Beruf so verfehlt hat wie dieser Typ. Aufgrund der negativen Ereignisse muss ich dieses Reiseintermezzo komprimieren, vor allem aber würde sonst der Frost aus den Zeilen kriechen.
Bereits bei unserer Ankunft nach einer langen Fahrt, machten wir dem Wirt Umstände: Wir störten beim Mittagessen! Statt der Tageszeit kam ein: „Auf dem Ploatz könnt´s net bloabe! Des is unsrer!“ Falsch geparkt hatten wir also auch noch, dabei war alles frei. Nur dem kommunikativen Wesen meines Gatten hatten wir es zu verdanken, dass wir wenigstens noch ausladen durften. Danach ließ sich der Hausherr dazu herab, uns unser Zimmer zu zeigen. Es war ein winziges Loch, für ziemlich viel Geld. Er sparte nicht mit Lobhudeleien über seine Renovierungskunst, seine Investitionen und seine hohen laufenden Kosten. Was will er uns damit sagen, dachte ich während ich mir zum x-ten Mal den Knöchel an seinem hässlichen Schleiflackkonsölchen stieß. Wahrscheinlich war das Zimmer vor dem Umbau schöner als jetzt, kam mir in den Sinn, und kalt ist es auch. Im nächst größeren Ort stürmen wir die Konditorei. Gewärmt und genährt bummelten wir danach durch das weihnachtliche Örtchen und traten den Heimweg an. Unser Zimmer war immer noch kalt. Die Gaststube war kalt. Man bat uns im riesigen Speisesaal Platz zu nehmen. Der Speisesaal war kalt. Kalt war auch die geschmacklieblose Einrichtung, von der 40jährigen, nie neue Farbe gesehenen Wandgestaltung ganz abgesehen. Wir saßen dort alleine. Das machte alles noch kälter.
Doch dann ging die Sonne auf. Sie hieß Viktor. Ohne Viktor wären wir am nächsten Tag abgereist. Viktor war Ungar, hatte dort irgendwo ein Hotel, das er aber nur in den Sommermonaten betrieb. Viktor arbeitete während der Wintersaison bei Pucki und kochte für die Pensionsgäste. Und wie! Viktor riss alles heraus. Er stellte unglaublich schmackhafte Menüs zusammen, die er anschließend persönlich in gelbschwarzgestreifter Weste formvollendet servierte. Dabei war er auf eine diskrete Art amüsant und verstand es, Wünsche von den Augen abzulesen. Warum Viktor ausgerechnet in diesem Laden gelandet war, konnten wir nicht ergründen. Die Lage spitzte sich zu. Da das Haus in einem Tal lag, in das von Anfang Dezember bis Ende Januar kein Sonnenstrahl drang, wurde es von außen nicht aufgeheizt. Bedauerlicherweise galt dasselbe für innen. Mich beschlich allmählich der Eindruck, dass unser Wirt beim Heizen geizte. Er stritt es ab, indem er eine defekte Heizungsanlage vorgab: „Jo, heuer, do krieg i doch koi Gscheiten füra moi Anlagn.“ Täglich kamen nun neue Gäste an. Fast kam es zum Eklat, denn wer will schon gegen Bezahlung frieren? Lediglich die Stammgäste fanden es normal, denn Pucki sei nun mal ein kleiner Revoluzzer. Soso, die hatte ich mir bisher allerdings anders vorgestellt- darüber hinaus wunderte ich mich, dass es überhaupt Menschen öfter als einmal an diesen Ort zog. Vielleicht wollten sie zu Weihnachten gequält werden, oder waren heiß auf die goldene Treuenadel- für loyales Bibbern.
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