25 Jahre Ballett, du Arschloch! Danke, Papa T.!
„Mach dir nichts draus, die waren alle drei zugedröhnt“, tröstete mich Felix in der Pause, „ich habe denen eben noch mal gesagt, dass sie sich super asi verhalten haben, aber die peilen nichts mehr. Das sind doch Klappspaten!“ Felix kam seiner Aufgabe als Klassensprecher mit viel sozialem Engagement nach. „Erik kam heute Morgen auf dem Schulhof mit neuem Stoff an, wahrscheinlich war er hinterher sein bester Kunde.“
„Wie, dealt der“, fragte ich verdattert, „der sitzt doch in einigen Fächern sogar neben mir.“
„Frau B.“, fragte Felix mitleidig, „was meinst du denn, weshalb der überhaupt hier ist? Der will kein Abi machen, der macht hier Kundenbindung.“
Nun ging mir auch ein Licht auf: Erst kürzlich reagierte er absolut panisch, als ihm ein voller Beutel mit Gebäck aus der Hand fiel. Die Plätzchen purzelten fröhlich die Stufen des Physiksaales hinunter und rollten bis vor die Füße von Herrn Dr. Kivelitz, der sie kopfschüttelnd betrachtete. Erik wurde lila im Gesicht, sogar sein Dauergrinsen verschwand. Nervös sprang er auf und sammelte vorsichtig jedes Stückchen wie ein „Goldnugget“ ein. Jetzt wurde mir klar, dass es fruchtige Haschischplätzchen waren. Als ich an diesem Tag nach Hause kam, war ein Quarkauflauf fällig, der große, mit viel Rosinen. Es blieb kein Krümel übrig. Erik blieb nicht mehr lange in der Schule. Er hatte bereits einige Ehrenrunden zuviel gedreht und musste sich woanders einen neuen Kundenstamm aufbauen.
Mittlerweile näherte sich der Winter mit Riesenschritten. In der Schule wurde die griechische Tragödie, „Der gefesselte Prometheus - Schicksalstragödie unter Göttern“, von der Theater AG aufgeführt. Ein Stück das dem Denker Aischylos zugeschrieben wird. Ich hatte enorme Probleme den Durchblick zu behalten, aber der Grund wurde mir erst viel später klar: Ich verfügte über keinerlei Kenntnisse der griechischen Dramenwelt. Bei dieser Premiere lernte ich auch Carolas Mutter kennen. Zusammen mit Klaus-Willi, der fleißig Sekt spendierte, verlebten wir einen schönen Abend, der auch dringend nötig war, denn es war Klausurzeit. Obwohl ich bisher gute Noten bekam, selbst in Physik, bedeutete das für mich Stress. Potenziert wurde er durch Umbauarbeiten zu Hause. Grundsätzlich bestand Grund zur Freude, denn wir leisteten uns eine neue Küche. Nur fielen die Vorarbeiten leider kontinuierlich mit meinen Klassenarbeiten zusammen, und so musste ich mich öfter vom Renovieren ausklinken. Aber das gute Stück wurde ja erst in zwei Monaten geliefert. „Na und“, lautete die Klaus-Willi Devise, „ich mache nichts auf den letzten Drücker.“
„Aber wenn du bis morgen wartest, kann ich dir helfen, dann habe ich wenigstens schon die Deutsch-Klausur von der Backe.“
„Nein, üb’ du nur, ich schaffe das gerade noch so ohne dich“, kam die herablassende Antwort indem er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Eiskalt überließ er mich auf diese Weise meinem schlechten Gewissen. In dieser Art lief es mehrmals ab. Endlich wurden die Fliesen geliefert, auf die wir uns nach heftigen, wochenlangen Debatten geeinigt hatten. Fliesenlegen ist eine Liebhaberei von mir, deshalb verlegten wir die Platten gemeinsam am Wochenende.
„Und Mittwoch wird verfugt“, bestimmte Klaus-Willi.
„Ist ungünstig, am Donnerstag schreibe ich eine VWL-Klausur.“
„Dann verfuge ich eben alleine.“
„Warum können wir nicht Donnerstagabend verfugen, der eine Tag macht den Kohl nicht fett.“
„Mir läuft die Zeit davon, Mittwoch wird verfugt!“ Mein Ehemann schien unerbittlich. K.W. überlegt es sich bestimmt noch anders hoffte ich, denn er wusste genau, wie gerne ich verfuge. Wahrscheinlich, weil ich als Kind oft mit Matsch gespielt habe. Mittwochs wurde verfugt. Es war schon dunkel als Klaus-Willi begann. Er hasst Verfugen. Selbst Schuld dachte ich. Du konntest ja nicht bis morgen warten. Ich verzog mich an meinen Schreibtisch. Kaum saß ich, da hörte ich schon die ersten unangenehmen Töne aus der Küche. Aha, er kam nicht klar.
„Kommst du mal bitte, in diese Scheißecken kann man nicht ordentlich die Fugenmasse einbringen.“
„Das soll auch nicht ordentlich sein, darum sind die Fliesenränder samt der Ecken ja ausgefranst.“
„Wie soll das denn aussehen?“ Die Stimmung stieg.
„Super sieht das aus. Und außerdem warst du doch selbst dabei als der Fuzzy im Handel es uns erklärt hat“, konnte ich mir nicht verkneifen.
„Ich wusste es, die albernen Dinger wollte ich sowieso nicht haben!“
„Na jetzt schlägt es dreizehn, das waren doch die einzigen auf die wir uns einigen konnten. Ich hätte sowieso viel lieber die Marokkanischen gehabt.“ Schnell ging ich zurück an meinen Schreibtisch. In der Küche wurde nicht nur die Musik lauter. Irgendwann ging ich rüber. Mein Mann war gerade mit seinem Werk fertig. Es sah grauenhaft aus. Er hatte den Fugenmörtel so dick aufgetragen, dass der eigentliche Charakter der Fliesen nicht mehr zu sehen war. Es war jetzt „ordentlich“. Mir entgleisten die Gesichtszüge, was wiederum Klaus-Willi empörte.
„Hier, mach´ es doch besser“, donnerte er mich an, dabei schleuderte er den Schwamm in den Wassereimer, dass die Brühe hoch aufspritzte.
„Jetzt muss ich mitten in der Nacht verfugen, nur weil du immer deinen Dickschädel durchsetzten musst“, brüllte ich zurück, während ich anfing mit dem Schwamm den überflüssigen Fliesenmörtel aus den Fugen förmlich herauszuklatschen. Ich arbeitete mich mehr und mehr in Rage:
„Morgen früh…klatsch…schreib´ ich…klatsch…direkt in der ersten Stunde…klatsch…eine Klausur“,…klaaaatsch…, haarscharf sauste der Mörtel an Klaus-Willis Ohr vorbei, „doch das interessiert dich einen Scheißdreck…klatsch…und das hier…klatsch…hätte auch noch einen Tag …klatsch…Zeit gehabt!“
Klatsch! Klatsch! Klatsch!
Heute bin ich davon überzeugt, dass ich das Profil der unebenen Platten ohne unseren Streit niemals so schön herausgearbeitet hätte. Als ich endlich ins Bett stolperte, schnorchelte der Gatte schon leise vor sich hin, während mein Herz bis zum Hals pochte. Wie kann man sich nach einem Streit hinlegen und schlafen? Am nächsten morgen würdigten wir uns keines Blickes. Noch schlimmer, Klaus-Willi würdigte das Ergebnis meiner unfreiwilligen Nachtschicht keines Blickes. Erneut stieg eine Wutwelle in mir hoch. Sie stieg wie ein Tsunami. Warte nur, blöde VWL-Klausur, du hast mir gerade noch gefehlt. Zuerst stellte ich fest, dass ich meine Blätter vergessen hatte und musste mir welche leihen. Dann gab der Kuli seinen Geist auf. Jetzt wurde mir langsam alles egal. Ich schrieb mit einem klecksenden Ding weiter und wie am Vorabend schaukelte ich mich immer höher. Ist mir doch egal, die Schmiererei hier, feuerte ich mich an, soll der doch sehen, wie er das entziffert. Was sind denn das überhaupt für blöde Fragen? Na dir werd´ ich jetzt mal was vom Mietspiegel erzählen. Das willst du doch wissen. Oder? Wenn nicht, kannst du mich mal. Unser VWL Lehrer Herr Peters, ein überaus lustiger und temperamentvoller Mensch mit einem weißen Bubikopf, nahm unsere Arbeiten entgegen. Wie immer bei Klausuren war ich die Letzte, die abgab. „Geht es ihnen heute nicht gut Frau B.“, fragte er fürsorglich. Fast hätte ich ihm eine geknallt. Auch Felix und Carola war mein moralisches Tief nicht entgangen. „Hab´ Krach mit Herrn B.“, klärte ich die beiden auf. „Mit dem Willi“, fragte Felix, „wie kann man denn mit dem Zoff kriegen?“ Ich erzählte ihnen die Gutenachtgeschichte- von da ab hieß Klaus-Willi nur noch „Mörtel-Willi“. Nach zwei Wochen bekamen wir die Klausuren zurück. Da Herr Peters auch Mathelehrer war, erging er sich zunächst in Statistik. Viele Lehrer machen das so. Beim Schüler steigt dann unangenehm das Spannungsbarometer. So auch bei der Rückgabe dieser Klausur. Mach´s kurz, dachte ich, besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Er arbeitete sich von unten nach oben. „Diesmal gab es nur eine eins, nur diese Arbeit hat die volle Punktzahl erreicht.“ In seiner lebendigen Art fuhr er fort: „Und warum? Was fehlte bei den anderen? Worauf wollte ich in Frage zehn hinaus? Na? Natürlich auf den Mieeeetspieeeegellll!“ Der Mietspiegel, durchfuhr es mich noch, da tönte es enthusiastisch: „Und wer ist nun draufgekommen? Wer? Es war die Frau B.! Frau B.! Beste VWL-Arbeit!“
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