„Bringt die drei Gefangenen wieder in ihren Verschlag“, befahl er den Kriegern, die noch immer Mühe hatten, die Wikinger unter Kontrolle zu halten.
Erleichterung machte sich auf den Gesichtern der Wärter breit. Sie würden froh sein, wenn diese wilden Kerle endlich wieder sicher eingesperrt waren.
Gisela war an seine Seite getreten und zupfte ihm am Ärmel.
„Was hast du nun mit ihr vor? Du kannst sie unmöglich wieder in dieses Loch zurückstecken!“, sagte sie entschlossen.
Fulk fluchte im Stillen. Sie hatte recht. Er konnte keine Frau in den Verschlag sperren. Was aber sollte er nun mit ihr tun?
„Hast du vielleicht einen Vorschlag?“, knurrte er gereizt.
„Als Erstes muss sie ordentlich gebadet werden und sie braucht etwas Anständiges zu essen!“, bestimmte Gisela.
„Soll ich sie vielleicht auch noch persönlich bedienen?“, brauste Fulk auf. „Hast du vergessen, dass dieses Weib uns überfallen hat?“ Fulk musterte seine Schwester grimmig. „Du hast es gewusst, nicht wahr? – Natürlich! Ich Esel. Du hast es mir ja sogar angedeutet! – Verdammte Weiber.“
„Willst du sie nicht endlich losmachen?“, hakte Gisela unbeeindruckt nach.
„Von mir aus bade sie und gib ihr etwas zu essen, aber sie wird eingesperrt werden, bis ich mir über ihr weiteres Schicksal im Klaren bin! Anskar und Omer werden euch begleiten, damit sie keine Dummheiten macht“, bestimmte Fulk.
„Du kannst doch nicht im Ernst wollen, dass zwei Männer ihr beim Baden zusehen“, erboste sich seine Schwester.
Fulk stand kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Er hatte schon immer gewusst, dass Frauen einem nur Ärger einbrachten. Er verfluchte dieses blonde Gift, dass sie ausgerechnet seine Festung überfallen musste.
Brice, der die Szene amüsiert betrachtet hatte, gesellte sich zu ihnen, um Gisela beizustehen.
„Gisela hat recht. Lass die beiden Männer vor der Tür wachen“, mischte er sich ein.
„Diese Wilde könnte Gisela etwas antun!“
„So ein Unsinn Fulk. Sie kann vor Erschöpfung ja kaum noch stehen. Ich finde, sie hat für heute genug durchgemacht“, wandte Brice ein.
„Dieses Weib ist wohl kaum eine hochwohlgeborene Dame! Sie hat eine Horde wilder Wikinger gegen diese Festung geführt und versteht sich ausgezeichnet aufs Kämpfen. Also tut nicht so, als würde die zarte Dame gleich ohnmächtig zu Boden sinken.“
„Kann sie ja wohl auch kaum, wenn sie da oben festgebunden ist“, wandte Gisela sarkastisch ein.
„Für heute magst du gewonnen haben Gisela. Nimm sie und tu, was du für richtig hältst, aber morgen werde ich entscheiden, was ihre Strafe sein wird und dann lass ich mir von niemandem reinreden!“
Gisela reckte kampflustig das Kinn und funkelte ihren Bruder herausfordernd an. Brice schaute belustigt zwischen den beiden Geschwistern hin und her.
„Bindet sie los!“, befahl Fulk den Wachen und verließ wutschnaubend die Halle.
Sollte seine Schwester doch für diese Wilde das Dienstmädchen spielen. Morgen würde ein anderer Wind wehen. Er würde sich von den Frauen nicht an der Nase herumführen lassen.
***
Ylfa hatte demGespräch nur bedingt folgen können, da alle Beteiligten trotz der Aufregung leise gesprochen hatten. Sie hatte jedoch verstanden, dass die Frau und der andere Mann für sie eingetreten waren und dass der Graf, dessen Name Fulk zu sein schien, wie sie dem Gespräch entnommen hatte, morgen über ihr weiteres Schicksal entscheiden würde. Wie auch immer. Für heute war sie froh, dass man sie nicht ausgepeitscht hatte und dass wohl auch nichts Schlimmes mehr geschehen würde. Widerstandslos ließ sie geschehen, dass man sie losband und hinter der jungen Frau aus der Halle führte.
Kapitel 4
Das warme Wasserwar herrlich. Es kam Ylfa wirklich seltsam vor, hier wie eine Königin gebadet zu werden, wo sie doch gerade noch kurz vor der Auspeitschung gestanden hatte und morgen vielleicht eine harte Strafe erfahren würde. Trotzdem oder gerade deswegen genoss sie diesen Luxus. Gisela hatte sogar etwas Thymian und Rosenöl ins Badewasser getan und der Duft nebelte Ylfa ein. Träge schloss sie die Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
„Warum hast du das getan?“, wollte Gisela wissen und riss Ylfa aus ihren Gedanken.
„Was getan?“
„Uns angegriffen? Sind alle Wikingerfrauen so – kriegerisch? – Ich könnte ein Schwert nicht einmal heben.“
„Du bist ja auch viel kleiner. – Nein, nicht alle Wikingerfrauen. – Aber einige lernen eben auch zu kämpfen.“
„Du musst sehr mutig sein. Ich hätte zu viel Angst vor einem Kampf. Es ist schwer für mich, eine Frau wie dich zu verstehen. – Also, warum?“
Ylfa seufzte und tauchte in dem hölzernen Badezuber unter, um prustend wieder aufzutauchen. Hatte dieser Fulk nun seine Schwester auf sie angesetzt, wo er selbst bei ihr nichts erreicht hatte?
„Hat dein Bruder dir aufgetragen, mich auszufragen?“, fragte Ylfa misstrauisch.
„Nein! Nein, ich wollte es nur wissen, weil ...“ Gisela trat näher an den Zuber heran. „Ich versuche zu verstehen, was du getan hast. – Ich verspreche dir, bei allem, was mir heilig ist, dass ich niemanden etwas verraten werde“, versprach sie.
Ylfa schaute noch immer misstrauisch.
„Ich schwöre es. – Bitte sag mir, warum du Rabenfeld angegriffen hast.“
Ylfa seufzte erneut.
„Wegen meines Vaters“, begann sie.
„Hat er dich etwa gezwungen, so etwas zu tun?“, fragte Gisela ungläubig.
„Nein. – Nein, ganz im Gegenteil. – Er verbietet mir, so etwas zu tun, nur weil – ich eine Frau bin.“
„Aber wenn er es dir verboten hat, wird er dann nicht furchtbar wütend werden, wenn er erfährt, was du getan hast?“
Eine Träne kullerte über Ylfas Wange und sie schniefte leise.
„Ich wollte, dass er stolz auf mich ist. Ich wollte mit reicher Beute nach Hause kommen und ihm beweisen, dass ich auch etwas wert bin. Er hat nur mich. Immer hat er sich einen Sohn gewünscht, aber er hat nur – eine Tochter.“
Jetzt flossen immer mehr Tränen und Gisela, die sich einen Stuhl herangezogen hatte, strich tröstend über Ylfas Haar.
„Du kannst mir alles erzählen. Manchmal hilft es, über seinen Kummer zu sprechen“, ermunterte Gisela ihren neuen Schützling.
„Meine Mutter hat zwei Kinder in den ersten Monaten verloren. Drei kamen zu früh und ein Junge starb mit einem Jahr. – Dann kam ich. – Bei der nächsten Geburt starb meine Mutter, ebenso das Kind. – Es war ein Sohn. Doch er lebte nur wenige Stunden. – Ich ... ich glaube, mein Vater hasste mich dafür, dass ich nur ein Mädchen war. Er hat mich wie einen Sohn erzogen, bis vor drei Jahren, als ich sechzehn wurde, da wollte er plötzlich, dass ich mich wie eine Frau kleide und benehme.“
„Ich verstehe dich sehr gut. Vor fünf Jahren starben meine Eltern und mein Bruder Norbert nach einer schweren Krankheit. Fulk war damals auf Reisen. Als er zurückkam, waren sie schon drei Monate tot. Er kam nicht damit zurecht, dass er nicht bei ihnen gewesen war. Er bildete sich ein, er hätte die furchtbare Tragödie verhindern können. Monatelang behandelte er mich entweder wie Luft, oder er schrie mich an. Ich dachte, er würde mich hassen, weil ich überlebt hatte und nicht Norbert. Er hatte immer eine besonders enge Beziehung zu ihm. Ich war ja nur ein Mädchen. So ging es mir also ähnlich, wie dir. – Natürlich hätte ich niemals so einen gefährlichen Weg gewählt, meinen Bruder zu beeindrucken, aber auch ich habe versucht, ihm zu zeigen, dass ich existiere. Ich ließ seine Lieblingsspeisen kochen und nähte ihm schöne Kleider. Ich versuchte ihm zu zeigen, wie sehr – ich ihn liebe.“
„Wann hat er angefangen, dich wieder zu beachten?“, wollte Ylfa interessiert wissen.
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