„War ein feiner Kampf gestern. Was hast du nun mit diesem Wikingerbürschlein vor? Du wirst ihn doch nicht etwa töten? Ist doch noch ein halbes Kind.“
„Ein halbes Kind, das für den Tod eines Mannes und der Gefangenschaft dreier seiner Männer verantwortlich ist. Von den zahlreichen Verwundeten ganz zu schweigen“, sagte Fulk grimmig. „Das ist es, was seine Unbesonnenheit ihm eingebracht hat. Ich bin sicher, dass das Ganze ein heimliches Abenteuer ohne Zustimmung seines Vaters war. Wäre er mein Sohn, würde ich ihm das Fell gerben.“
„Wir waren auch mal jung und unbesonnen. Muss ich dich daran erinnern, was wir so alles ausgefressen haben?“, hakte Brice nach.
Fulk grinste. „Nein, das brauchst du nicht.“ Er lachte leise. „Erinnerst du dich noch, wie wir dieses Kloster ausrauben wollten? Die Nonnen haben uns ganz schön verdroschen. – Wie alt waren wir da?“
„Ich war elf!“, antwortete Brice. „Ja, das war wirklich eine Blamage. Mir tut der Hintern immer noch weh von den Schlägen, die dein Vater uns verabreicht hat.“
Fulk und sein Freund lachten herzhaft über ihr Abenteuer aus vergangener Zeit. Ja, Brice hatte recht. Auch sie waren unbesonnen gewesen. Trotzdem hatte dieser kleine Wikinger eine Abreibung verdient. Er musste lernen, was Verantwortung war. Verantwortung, die er für seine Männer trug, welche er leichtfertig in den Kampf geschickt hatte, als wäre es nur ein Spiel. Er musste sich etwas ausdenken, was den Stolz des Jungen ankratzen würde. Was aber würde er dann mit seinen Gefangenen machen? Sie wären bestimmt kräftige Leibeigene. Den Jungen könnte er unter seine Fittiche nehmen und aus ihm einen richtigen Anführer machen. Er wäre ein Ersatz für Norbert. Sein Bruder wäre jetzt etwa im gleichen Alter wie der Wikingerjunge. Er vermisste seinen Bruder. Das war wohl der Grund für seine Milde dem kleinen Barbaren gegenüber.
„Einen guten Morgen.“
Die Stimme seiner Schwester riss ihn aus seinen Gedanken und er blickte Gisela an, die soeben die Halle betreten hatte. Er bemerkte die Blicke, die seine Schwester und sein Freund austauschten, und runzelte die Stirn. So ganz konnte er sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen, dass seine kleine Schwester bald einem Mann gehören würde. Seinem besten Freund zwar, dem er bedingungslos vertraute, doch trotzdem war es ein seltsames Gefühl.
„Guten Morgen Gisela. Die Sonne geht erst auf, wenn Ihr erscheint. Da wird einem Manne ganz warm ums Herz“, schmeichelte Brice.
Gisela errötete und senkte verlegen den Blick.
„Habt Dank für Eure schönen Worte. – Wie geht es Euer Verwundung?“
„Oh. Nur ein kleiner Kratzer. Nichts Besonderes.“
Fulk hatte dem Geplänkel der Beiden angewidert zugehört und schnaubte nun unwillig. Er erhob sich von seinem Stuhl.
„Ich werde jetzt die Runde machen und nach den Männern sehen, die verwundet wurden. Heute Abend brauche ich dich hier in der Halle.“
Brice schaute Fulk fragend an.
„Was hast du vor?“, wollte er wissen.
„Ich werde mir dieses Bürschlein vorknöpfen und ihn und seine Männer befragen.“
Brice nickte und widmete sich wieder der Angebeteten, indem er ihr die Schüsseln reichte und ihren Becher mit Wein füllte. Fulk eilte aus der Halle, um sich das nicht länger ansehen zu müssen. Er fand, dass Verliebte sich höchst albern benahmen.
***
Ylfa schüttelte ihrelangen, blonden Haare. Sie hatte unter dem Wolfsfell kräftig geschwitzt und es hatte angefangen zu jucken, deshalb hatte sie ihre Tarnung abgesetzt. Mit den Fingern versuchte sie nun, die verklebten Strähnen zu entwirren, was sich als hoffnungslos herausstellte.
„Hätte ich sie mir doch nur abgeschnitten!“, schimpfte sie unwirsch.
Wenn sie doch nur ein wenig Wasser zum Waschen hätte. Sie fühlte sich verschwitzt und schmutzig. Ihr Abenteuer hatte sich wirklich ganz anders entwickelt, als sie geplant hatte. Statt mit reicher Beute Heim zu kehren und ihren Vater zu beeindrucken, saß sie nun hier in der Falle, und wenn sie ihren Vater jemals wieder sehen würde, wäre er sehr böse mit ihr. Zudem würde er seine Meinung über sie nun bestätigt sehen. Sie war eben doch nur ein Mädchen und nicht der Erbe, den er sich gewünscht und nie bekommen hatte. Ihr war zum Heulen zumute. Sie hatte doch nur gewollt, dass ihr Vater stolz auf sie war.
Draußen auf dem Hof waren Schritte zu vernehmen, die sich ihrem Verschlag näherten. Hastig stülpte sie ihr Wolfsfell wieder über den Kopf und verbarg so ihr langes Haar. Kurz darauf wurde auch schon ihre Tür geöffnet und zwei kräftige Wärter kamen herein.
„Du wirst jetzt mit uns mitkommen. Ich hoffe, du machst uns keinen Ärger, Junge, sonst müssten wir dir wehtun. Also betrag dich gut“, sagte einer der Männer.
„Wohin bringt ihr mich?“, wollte Ylfa wissen. Ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust.
„Zum Herrn“, kam die schroffe Antwort.
Sie packten Ylfa rechts und links unter den Armen und zogen sie mit sich.
In der Hallewaren viele Menschen versammelt. Ylfa musterte ihre Umgebung genau, auch die Krieger, die sie allesamt düster anblickten. In einer Ecke entdeckte sie ihre drei Mitgefangenen. Da war Olaf, der Freund aus Kindertagen, mit dem sie so manchen Streich ausgeheckt hatte. Alvari der Ernste starrte mit versteinerter Miene vor sich hin und Leif, ihr Cousin, hob den Blick und schaute sie direkt an. Sie las Besorgnis in seinem Blick.
Ylfa wurde von quälender Reue geplagt. Sie trug die Verantwortung dafür, dass diese Männer, die sie auf ihrem unbedachten Abenteuer begleitet hatten, nun hier als Gefangene vorgeführt wurden. Was hatte man nun mit ihnen vor? Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, da spürte sie einen Blick auf sich ruhen.
Sie wandte sich dem Ende der Halle zu, wo eine Art Podium aufgebaut war, auf dem drei Stühle standen. Auf dem Mittleren saß der Mann, der sie gefangen genommen hatte und er blickte sie aus lauernden, unergründlichen Augen an.
Rechts von ihm saß seine Schwester, die Ylfas Verwundung versorgt hatte und die scheinbar hinter ihr Geheimnis gekommen war. Würde sie Ylfa verraten? Hatte sie es vielleicht sogar schon getan?
Links vom Grafen saß ein Mann, den sie noch nicht gesehen hatte. Vielleicht war er ein Bruder. Jedenfalls schien seine Miene recht freundlich und auch die Schwester schien ihr milde gestimmt. Vielleicht würden sie dazu beitragen, dass man ihr nicht allzu Schlimmes antat.
Der Graf musterte sie mit strengem Blick, als man sie vor ihn hinführte. Sie war versucht, diesem forschenden Blick auszuweichen, doch sie zwang sich, ihm standzuhalten und das Kinn hochzuhalten. Er hatte ihr die Freiheit geraubt und konnte ihr das Leben nehmen, doch ihren Stolz würde sie sich nicht nehmen lassen.
***
Fulk bemühte sich,eine strenge Miene aufzusetzen, doch er musste ein Grinsen unterdrücken. Der Wikingerjüngling bemühte sich wirklich sehr, tapfer und würdevoll auszusehen, doch in den ungewöhnlichen Augen konnte er Unsicherheit und Angst erkennen. Trotzdem hielt der Junge sich gut, das musste er anerkennen. Manch gestandener Mann bewies nicht so viel Mut. Fast tat Fulk sein Vorhaben leid, doch er konnte und durfte nun keinen Rückzieher mehr machen.
Man zwang den Jungen vor ihm auf die Knie, doch der Wikinger hielt den Kopf weiterhin erhoben und nun blitzte eine kalte Wut in seinen Augen auf und das helle Blau der Iris wechselte zu einem leuchtenden Türkis. Fulk fühlte sich von diesen ungewöhnlichen Augen wie magisch angezogen. Konnte man von dem schmutzstarrenden Gesicht auch nicht viel erkennen, die Augen waren jedenfalls entschieden zu schön für einen jungen Mann. Doch im Gegensatz zu seiner Schwester, durchschaute Fulk Ylfas Verkleidung noch immer nicht, und so bereitete die merkwürdige Anziehungskraft, die der vermeintliche Wikingerjunge auf ihn ausübte, ihm einiges Unbehagen. Er konnte sich die ganze Sache einfach nicht erklären.
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