Fulk ritt schweigsam auf seinem feurigen Rappen. Das Gerede seines Freundes über die Brautwerbung hatte ihn daran erinnert, dass es auch für ihn langsam Zeit wurde, an eine Vermählung zu denken. Leider hatte er nicht die geringste Ahnung, welche Braut er ins Auge fassen könnte. Es gab viele geeignete Kandidatinnen, die aufgrund ihrer Stellung und Abstammung infrage kämen, doch keine von ihnen vermochte ihn zu reizen. Es waren wahre Schönheiten darunter, kein Zweifel, dennoch ließ keine von ihnen den Wunsch in ihm aufkommen, mehr als nur ein paar vergnügliche Nächte mit ihr zu verbringen. Er beneidete Brice, der offenbar die Liebe gefunden hatte.
Fulk wusste selbst nicht, was er eigentlich von einer Frau erwartete. Einige Väter hätten ihm gern ihre Tochter als Braut gegeben, doch die meisten Frauen fürchteten ihn. Sein Ruf war nicht der Beste, hatten sich doch viele Legenden um ihn herum gebildet. Es stimmte, dass er ein gnadenloser Krieger war, doch er beschränkte Gewalt für gewöhnlich auf den Krieg und nicht gegen unschuldige Frauen und Kinder. Sein finsteres Erscheinungsbild sprach auch nicht gerade für ihn. Seine langen, schwarzen Locken ließen ihn stets wild und ungezähmt erscheinen und die grünen Augen waren die eines lauernden Raubtieres. Seine linke Wange wurde von einer hässlichen, gezackten Narbe entstellt, die er sich auf der Wolfsjagd zugezogen hatte.
Im Allgemeinen machte sich Fulk nicht so viel daraus, dass die bleichen Jungfern ihn nicht haben wollten. Die Frauen hatten ohnehin keinen Geist, hatten nicht einmal eine eigene Meinung. Gab es denn keine Frau, die einen eigenen, denkenden Kopf besaß, der nicht nur hübsch, sondern auch klug war? Und die mutig genug war, den Teufel von Rabenfeld zu lieben?
Seine Mutter war eine kluge und mutige Frau gewesen. Seine Eltern hatten sich auch nach langen Ehejahren noch ihre tiefe Liebe und Leidenschaft erhalten gehabt. Es war jetzt fünf Jahre her, dass seine Eltern und sein jüngerer Bruder an einer rätselhaften Krankheit gestorben waren.
„Woran denkst du?“, riss Brice seinen schweigsamen Freund aus den Grübeleien.
Fulk fuhr herum und sah seinen Freund an, der seinen Schimmel neben ihn lenkte. Er gewahrte einen besorgten Ausdruck auf Brice Gesicht.
„Ich habe an nichts Bestimmtes gedacht“, wich er aus.
„Das schien mir aber etwas sehr Bestimmtes“, wandte Brice ein.
Fulk betrachtete den Freund. Sie kannten sich seit Kindertagen und hatten sich immer alles anvertraut. Einer war stets für den anderen da und nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern und seines Bruders war es Brice gewesen, der ihm in seinem Kummer beigestanden hatte. Fulk seufzte.
„Nun gut. Du hast recht. Ich habe an meine Eltern und meinen Bruder gedacht.“
„Es ist lange her, mein Freund. Du konntest nichts für ihren Tod. Es hätte nichts geändert, wenn du da gewesen wärst. Du solltest damit abschließen und an etwas anderes denken. Zum Beispiel könntest du dich endlich einmal damit befassen ein Eheweib zu suchen, und Erben zu zeugen. Du wirst immerhin bald sechsundzwanzig.“
„Glaubst du, das wüsste ich nicht? Ich kann mich nur eben einfach für keine Frau erwärmen, die von ihrem Vater zu einer Ehe mit mir gezwungen werden muss und die bei meinem Anblick in Ohnmacht fällt. Außerdem muss ich mit der Erwählten ein Leben lang auskommen und meine Eltern ...“
„Deine Eltern waren sicher ein glückliches Paar, aber leider sind solche Ehen sehr selten. Du suchst nach etwas Unerreichbaren und darum kann kein Weib deinen hohen Ansprüchen genügen.“
„Warum bist du so wild darauf, um meine Schwester zu freien, wenn du nicht daran glaubst, mit ihr glücklich zu werden?“, fuhr Fulk auf.
„Oh, ich denke wohl, dass ich mit Gisela glücklich werden kann, eben, weil ich mit den Beinen auf dem Boden bleibe und sie auch. Wir mögen uns, fühlen uns auch körperlich angezogen und wir können gemeinsam reden und lachen. Das ist sehr viel und mit all diesen Begebenheiten werden wir eine gute Ehe führen können.“
„Das klingt nett, aber langweilig“, sagte Fulk angewidert.
Brice seufzte.
„Du bist wahrlich ein hoffnungsloser Fall. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja doch noch ein Weib, das dir Feuer unter dem Arsch macht.“
„Vielen Dank!“, sagte Fulk grinsend.
„Gern geschehen!“, gab Brice lachend zurück.
Die Festung kam in Sicht, als es bereits zu dämmern begann. Eine Horde schmutziger, aber fröhlicher Kinder kam ihnen entgegen, um die Jagdbeute zu bewundern. Die Hunde hatten es immer eiliger, nach Hause zu kommen, wo sie ihren verdienten Anteil bekommen würden und einen Platz am warmen Feuer.
***
Die kleine Gesellschafthatte sich an dem erlesenen Wild und dem besten Wein aus Fulks Keller gütlich getan und nun hatten einige Spielleute begonnen, die Herrschaften zu unterhalten. Die Unterhaltung war laut und übertönte zuweilen die Musik. Es wurde gelacht und gebrüllt und die Hunde kläfften hin und wieder, wenn sie sich um die Reste der Tafel balgten.
Gisela beschloss, sich zurückzuziehen und die weinseligen Männer mit ihren derben Unterhaltungen allein zu lassen. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte etwas weibliche Unterstützung auf der Festung. Sie sehnte sich nach weiblicher Gesellschaft. Ihr Blick wanderte zu ihrem Bruder, der mit seinen Freunden scherzte. Er lachte, doch das Lachen erreichte seine Augen nicht. Sie seufzte. Ihr Bruder hatte genug männliche Gesellschaft, dennoch erschien er ihr noch einsamer zu sein als sie selbst.
Sie erhob sich vom Tisch.
„Gute Nacht wünsche ich. Erlaubt, dass ich mich jetzt zurückziehe!“
Sie war sich bewusst, dass Brice Blick ihr folgte und ihr Herz flatterte aufgeregt. Er war nicht ihr einziger Bewerber, aber nur er brachte ihr Herz zum Hüpfen und ihre Wangen zum Erglühen. Sie warf ihm noch einen Blick zu und erwiderte sein Lächeln, dann verließ sie den Saal.
***
Fulk hatte dieSzene beobachtet und runzelte die Stirn. Brice hatte recht. Gisela war tatsächlich zu einer wunderschönen jungen Frau erblüht. Warum war ihm dass nicht selbst aufgefallen, dass ihr Busen und ihre Hüften sich sanft gerundet hatten und die magere, knabenhafte Figur einer runden und weiblichen gewichen war? Wann hatte diese Metamorphose stattgefunden? Es war eindeutig, dass er sich in letzter Zeit viel zu wenig um seine jüngere Schwester gekümmert hatte.
Ob es ihm gefiel oder nicht, sie war nun beileibe kein Kind mehr und es war ihm immer noch lieber, sie mit seinem besten Freund vermählt zu sehen, als mit einem anderen Mann. Brice war im besten Mannesalter, verfügte über einen stattlichen Stammsitz und seine Truhen waren gut gefüllt. Es würde ihr an nichts mangeln und sie würde seinen Haushalt gut zu führen wissen. Trotzdem wollte er darauf bestehen, dass sie zumindest noch bis zum Sommer warteten, bis sie sich vermählten. Er wollte diese delikate Angelegenheit nicht übers Knie brechen und die beiden sollten sicher gehen, dass es sich nicht um eine kurzfristige Vernarrtheit handelte. Sollten sie sich bis zum Sommer nicht anders entscheiden, würde er seinen Segen geben.
„Was schaust du so finster drein?“, wollte sein Nachbar Hartmut wissen. „Komm, trink noch einen Becher mit uns.“
Fulk ließ zu, dass man ihm erneut einschenkte, und versuchte ein Lächeln. Die frisch gefüllten Becher wurden erhoben und Brice ergriff das Wort zu einem Trinkspruch: „Auf unseren Gastgeber, der uns so überaus großzügig bewirtet und auf König Ludwig den Zweiten!“
Die anderen stimmten in den Trinkspruch ein, nur Engilbert ließ es an Begeisterung fehlen, doch dies fiel den gut gelaunten Männern sowieso nicht mehr auf.
Plötzlich war ein Tumult von draußen zu hören. Die Männer sprangen auf und traten aus der Halle ins Freie.
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