Es dauerte eine Weile, ehe Hanrek erneut sprach.
„Das wäre an sich noch nicht weiter schlimm. Ihr habt ja unten im Schankraum auch Tränen vergossen, der eine mehr, der andere weniger. Für mich ist es aber schlimmer, da meine eigenen Gefühle durch die Flöte noch verstärkt werden.“
Wieder dauerte es eine Weile, in der Mico Hanrek nicht unterbrach, da er ahnte, dass Hanrek noch etwas sagen würde.
„Vielleicht ist es auch so, dass es gar nicht meine Gefühle sind, die ich durch die Gefühle zurück bekomme. Vielleicht ist es die Resonanz der Gefühle von denen, die mein Flötenspiel hören.“
„Ich weiß es nicht. Außer Meister Binderer hat mir noch niemand etwas Sinnvolles über Flöten aus Heronussbaum sagen können. Alles nur Gerüchte und Hören-sagen. Und wenn man es genau nimmt, sprach auch Meister Binderer immer nur von wahrer Magie. Wahrscheinlich weiß auch er nicht mehr darüber.“
Dresson schaltete sich in das Gespräch ein.
„Für mich ist es jedes Mal etwas ganz Besonderes, wenn wir zusammen spielen.“
Hanrek nickte.
„Ja. Es ist irgendwie einfacher zusammen als alleine zu spielen. Auf der einen Seite sind die Gefühle zwar noch überwältigender, aber andererseits sie sind auch irgendwie leichter ertragbar. Ich weiß nicht, ob das logisch klingt.“
Mico zuckte mit den Schultern, aber Dresson nickte zustimmend.
„Nein. Nein. Du hast es sehr gut beschrieben.“
Nach einer Pause begann Hanrek noch einmal.
„Ich weiß nur eines. Wenn neulich noch ein Heronussbaum in der Nähe gewesen wäre, hätten mich die Gefühle weg geschwemmt. Ich hätte diese zusätzliche Verstärkung durch einen Baum nicht auch noch ertragen können.“
***
Endlich hatte er eine Höhle gefunden. Sie war genau das, was er brauchte. Hier konnte er sich zurückziehen, konnte seine Beute in Sicherheit bringen, konnte seine Fähigkeiten verbessern und hier konnte er schließlich auch sein Ei legen. Schtarak umrundete mit großem Stolz seine Höhle. Sie würde sein Ptorak sein.
In der Mitte lagen noch die beiden Bären, die vorher hier gewohnt hatten. Die verzweifelte Bärenmutter hatte ihr Junges tapfer bis in den Tod verteidigt. Sie war keine wirkliche Gegnerin gewesen. Er hatte mit ihr gespielt, hatte seine wachsenden Fähigkeiten an ihr ausprobiert. Er hatte sie genarrt mit seiner Magie, sie mit dem Schleier getäuscht, ihr ein weißes Netz übergeworfen und es dann schnell wieder entfernt, er hatte unzählige verschiedene Magieformen an ihr versucht und die meisten auch erfolgreich. Am Ende hatte er sie mit Kraft, Klauen, Zähnen, seinem Schwanz und seiner Schnelligkeit besiegt.
Und nun waren sie und ihr Junges Beute, einfach Beute, die ihn nährte und wachsen ließ. Dass er mit der Bärin gespielt hatte, war Zeitvertreib gewesen, nicht mehr.
Der Boden der Höhle war mit einer dünnen Schicht Lehm bedeckt und der hintere Teil der Höhle wurde durch einen See mit Frischwasser begrenzt. Er würde noch mehr Erde in die Höhle bringen, dann war es wirklich der perfekte Ort für ein Ptorak . Er wusste schon genau, wo er die Brutstätte einrichten würde. Dort an genau dieser Stelle würde er in die Erde eine Kuhle für das Ei machen, und er würde einige Steine dazu legen, die würde er dauererhitzen, damit das Ei es schön warm hatte.
Den schmalen Eingang würde er etwas erweitern müssen, damit er einfacher hinein und heraus konnte. Jetzt war die Größe noch in Ordnung, aber wenn er erst zu seiner vollen Größe herangewachsen war, dann würde er nicht mehr ausreichen.
Er verließ die Höhle, sein Ptorak , und besah sich die Gegend rund herum genauer. Auch auf dieser Seite des Gebirges gab es genug Beute für ihn, auch wenn es hier kälter war als auf der anderen Seite des Gebirges.
Er errichtete eine Barriere vor dem Eingang, einen Schleier, den niemand durchdringen konnte. Niemand außer ihm selbst. Dann stieß er ein Triumphgeheul aus, das weit hin durch das Tal hallte. Doch niemand außer einigen verängstigten Tieren hörte ihn, denn die Gegend war unbewohnt.
***
Fast hätten sie ihn erwischt. Er musste in Zukunft vorsichtiger sein. Stonek hatte nicht erwartet, dass die Häscher des Toms von Haffkom ihn so hartnäckig verfolgen würden. Um seine Hand zu schonen, hatte er ein paar Mal abends schon früher Rast gemacht, er hatte sich Zaunef angeschaut und er hatte gemütlich in Gasthäusern übernachtet und dabei wahrscheinlich eine übermäßig deutliche Spur hinterlassen. Nur Glück hatte ihn gerettet.
Sie waren gestern abends in sein Gasthaus gekommen, hatten nach einem jungen Mann gefragt, und sie hatten Stonek aufs Genaueste beschrieben. Zufällig saß er in der Gaststube und hatte hinter einer Trennwand alles mit angehört. Es hatten nur Sekunden gefehlt und sie hätten ihn gehabt. Seine wenigen Habseligkeiten hatte er im Zimmer zurückgelassen, aber um die war es auch nicht schade. Lediglich der Beutel mit dem Geld an seinem Gürtel und sein Pferd waren ihm wichtig und das Pferd hatte er noch schnell aus dem Stall retten können. Auch seinen Sattel hatte er zurücklassen müssen. Dann war er in die Wälder geflohen. Jetzt benutzte er nicht mehr die Straße, sondern schlug sich durch den Wald. Die halbe Nacht war er geritten, und sobald es hell geworden war, war er wieder aufs Pferd gestiegen. In einem kleinen Weiler hatte er ein paar Sachen erstanden, die man in der Wildnis brauchte. Er wusste sich schon zu helfen, schließlich war er ein Bauernsohn, der viel zusammen mit seinem abenteuerlustigen Bruder unterwegs gewesen war. Mit dem Schonen seiner Hand war es jetzt zwar vorbei, aber sie hatten ihn nicht erwischt.
Wo er sich genau befand, wusste er nicht, westlich der Straße, das war klar. Am besten würde er versuchen, auf geradem Weg nach Vartel zu kommen. Die Berge waren von Weitem schon zu erkennen. Da musste er hinüber, über den Pass und dann war es nicht mehr weit. Stonek pfiff leise vor sich hin. Er war jetzt das erste Mal so weit von zu Hause weg, das erste Mal über den Boon. Über den Boon zu gehen, das war ein Schritt, den die wenigsten Menschen in den Dörfern rund um Haffkom machten. Es war ein großer und schwerer Schritt.
Haffkom, Hallkol, Hannkol, die Namen hatten für Stonek immer noch den falschen Klang in den Ohren. All die Fremden, die jetzt in seine Heimat eingedrungen waren. Natürlich waren Hallkol und die anderen Dörfer immer noch einsam und abgeschieden, aber allein die Nähe zur Grenze nach Narull gaben seiner Heimat jetzt eine Bedeutung, die sie nie gekannt hatte. Heute konnte es schon manchmal passieren, dass sich ein Händler aus Narull in ihrem Dorf verirrte. Für Stonek und auch für die anderen Dorfbewohner waren die Narull immer noch die Drachenkrieger.
***
Einer hatte am Ende doch geredet. Ein bisschen Schmeichelei, eine gute Portion Drohung und am Ende etwas Geld hatten es schließlich doch bewirkt. Hanrek war mit zwei seiner Kumpane nach Narull gereist.
Blutero konnte sich keinen Reim darauf machen. Was wollten sie dort?
Er trommelte rhythmisch mit seinen Fingern auf die Tischplatte vor sich. Ihm gegenüber saß ein Mann in einem gelben Gewand.
„Irgendwelche Ideen, was sie in Narull wollen?“
Der Mann in gelb schüttelte den Kopf.
„Dazu haben wir nichts in Erfahrung bringen können.“
„Hm. Und irgendwelche eigene Ideen, dazu?“, fragte Blutero spitzt.
Der Mann schüttelte erneut den Kopf, sagte aber nichts.
Blutero schob seinen Stuhl zurück und ging hinter seinem Schreibtisch nervös auf und ab. Der Mann auf der anderen Seite des Tisches folgte ihm mit seinem Blick ohne seinen Kopf zu drehen.
„Ich möchte, ...“, Blutero blieb stehen, „... ich möchte, dass ihr die Grenze und das dazugehörige Grenzgebiet überwacht. Jeder, der aus Narull raus kommt und nur irgendetwas mit Hanrek zu tun haben könnte, wird verfolgt. Ich will über jeden einen ausführlichen Bericht. Klar?“
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