Zum Glück kam diese extreme Kälte nur sehr selten vor und auch nur im tiefsten Winter. Jetzt dagegen wurde es langsam wärmer in Narull, und an manchen Stellen, die tagsüber von der Sonne länger beschienen wurden, begann der Schnee sogar schon langsam zu schmelzen.
***
Obwohl es jetzt schon relativ warm war, bekam Dresson nach einigen Tagen einen hartnäckigen trockenen Husten, der einfach nicht besser werden wollte. Im Gegenteil. Er wurde immer schlimmer, und dann kam auch noch Fieber hinzu. Dresson konnte sich nur noch mit Mühe auf dem Pferd halten. Er war krank und benötigte dringend einige Tage Ruhe, um sich zu erholen.
Hanrek und Mico waren sich einig, bei der nächsten Gelegenheit mussten sie sich eine Unterkunft suchen, damit Dresson wieder zu Kräften kam.
Am Nachmittag kamen sie an eine Straßenkreuzung. Die Straße, der sie gefolgt waren, und die von Süden nach Norden verlief, wurde von einer Straße gekreuzt, die von Westen nach Osten verlief. Es lag eine ungewöhnlich große und schöne Gaststätte genau an dieser Kreuzung. Sie trug den Namen „Zur Kreuzung“ und sie hatte sogar einen neu errichteten Stall, was für Narull ungewöhnlich war, da es ja noch gar nicht so lange Pferde in diesem Land gab. Allerdings hatte der Stall bisher fast noch keine Pferde gesehen.
Dresson erklärte ihnen unter schweren Halsschmerzen und mit einigen Schüttelfrostanfällen, dass die Straße, die sie gerade erreicht hatten, eine der wichtigsten Straßen des Landes war, denn sie verband die beiden größten und wichtigsten Städte von Narull miteinander. Im Osten war dies die Hauptstadt Maunas und im Westen war das Rimpoon. Und nicht weit von Rimpoon entfernt lag ihr Reiseziel, die Bibliothek mit dem Namen „das verbotene Buch“.
Hanrek und Mico beschlossen, in genau dieser Gaststätte länger zu rasten, und sobald es Dresson wieder besser ging, ihre Reise nach Westen fortzusetzen.
Geld war schon von Anfang an eine ihrer größten Sorgen gewesen. Obwohl sie alle drei nicht arm waren, bestand das Problem darin, dass man im Königreich kein Geld bekommen konnte, mit dem man in Narull bezahlte. Folglich hatten sie noch im Königreich einige wertvolle Gegenstände gekauft, die man auch in Narull brauchen konnte. Bei der ersten Gelegenheit hatte Dresson diese dann verkauft, und so kamen sie zu dem Geld, mit dem sie bisher ihre Lebensmittel und das Futter für die Pferde gekauft und ihre Zimmer für die Übernachtungen bezahlt hatten.
Ihr Geld wurde aber immer knapper, und Hanrek und Mico befürchteten, dass es ihnen genau jetzt ausgehen würde. Sie schätzten, dass der Preis für die Übernachtungen in diesem guten Gasthaus immens war und dass sie auch für den Platz, den die Pferde in dem neu gebauten Stall brauchten, einen stolzen Preis zahlen würden. Sie sollten mit allem Recht behalten.
Hanrek und Mico hatten als Erstes die Pferde im Stall untergestellt und dann gemeinsam Dresson, der nicht mehr alleine gehen konnte, in die Schankstube geholfen. Dresson saß jetzt zusammengesunken auf einer Bank nahe am Feuer und atmete schwer die heiße Luft im Raum. Er schwitzte stark und phantasierte.
Die Schankstube war wenig besucht, da es noch zu früh am Tag war. Mico ließ Hanrek bei Dresson und ging allein an die Theke.
„Was hat euer Freund?“, fragte der Wirt sofort, als Mico die Theke erreichte.
Er hatte eine Schürze um den dicken Bauch gebunden und mit einem weißen sauberen Tuch rieb er einige Gläser trocken. Zwischen zwei Gläsern rieb er sich, ohne es überhaupt zu bemerken, geistesabwesend mit dem gleichen Tuch immer wieder über seine glänzende Glatze.
Fasziniert hatte Mico dem Wirt dabei zugeschaut und besann sich erst nach einem Moment auf die ihm gestellte Frage.
„Er hat Husten und außerdem Fieber.“
„Hm.“, machte der Wirt. Man sah ihm an, dass es ihm nicht recht war, dass in seiner Wirtschaft ein Kranker saß.
„Wir würden gerne ein Zimmer mieten, solange bis sich unser Freund wieder erholt hat.“, sagte Mico mit einer arrogant klingenden Stimme.
„Ihr seid nicht von hier, was.“, schaute der Wirt Mico misstrauisch an.
Mico ging nicht auf die Frage ein. Er wollte die Rolle eines überheblichen reichen Reisenden mimen.
„Unseren Freund. Wir würden ihn gerne auf ein Zimmer bringen, damit er sich hinlegen kann. Habt ihr ein Zimmer mit drei Betten für uns?“
Der Wirt zögerte einen Moment, schien nachzudenken, bevor er in ein Fach unter der Theke langte und Mico einen Schlüssel hinlegte.
„Macht 30 Stengel die Nacht. Bezahlt wird im voraus. Essen und Trinken geht extra. Was meint ihr, wie viele Nächte bleibt ihr?“
Das war ein saftiger Preis, 30 Stengel entsprachen im Königreich ungefähr einer Silberkrone. Doch Mico hatte mit so etwas gerechnet, doch trotzdem zog er wie überrascht eine Augenbraue hoch.
„Wir wissen es noch nicht, da wir nicht wissen, wie lange unser Freund krank sein wird. Aber bei dem Preis möchte ich mir das Zimmer erst einmal ansehen, bevor wir uns entscheiden.“, Mico klang sehr überheblich.
Der Wirt war verblüfft.
„Nun, ähh ..., ... gut. Na dann, wie ihr wollt. Wenn ihr dort die Treppe hinauf geht, ist es das zweite Zimmer auf der linken Seite.“
Doch Mico ging noch nicht gleich.
„Unsere Pferde. Was kostet es, sie in eurem Stall einzustellen? Ich hoffe euer Stallbursche ist vertrauenswürdig. Ich möchte nicht eines Morgens in den Stall kommen und unsere Pferde sind weg.“
Der Wirt schaute ihn verdutzt an und bildete mit seinem Mund ein großes O. Er hatte nicht damit gerechnet, dass diese drei Reisenden Pferde hatten. Da es nur so wenige Pferde in Narull gab, waren diese ein Vermögen wert.
Weil er keine Antwort bekam, sprach Mico noch einmal direkt das O an.
„Die Pferde. Der Preis. Habt ihr meine Frage verstanden, guter Mann?“
Der Wirt erwachte wie aus einem Traum.
„Ja. Äh. Die Pferde. Verzeiht. Nun. Das macht pro Pferd und pro Nacht noch einmal 5 Stengel.“
Und dann fragte er vorsichtig.
„Drei Pferde?“, wie wenn er sich so viel Reichtum gar nicht vorstellen könnte.
Mico schaute ihn überheblich an. Dann drehte er leicht den Kopf, sodass er zu seinen Kameraden schauen konnte, und zählte laut, indem er deutlich mit dem Finger auf die einzelnen Personen deutete.
„Eins ...“, er hatte auf Dresson gedeutet, wendete den Kopf erneut und schaute den Wirt fragend an, so als ob er kontrollieren wollte, ob dieser gedanklich folgen konnte.
„Zwei ...“, jetzt deutete Mico auf Hanrek.
„Drei.“, zuletzt deutete Mico auf sich selbst.
Mico nickte mehrmals zustimmend mit dem Kopf.
„Ja, drei Reiter und drei Pferde.“
Der Wirt lief rot an, Mico hatte seine Rolle des überheblichen reichen Reisenden sehr überzeugend gespielt. Vielleicht hatte er es gerade etwas übertrieben. Das Ganze tat er nicht, weil er den Wirt nicht mochte oder mit diesem Streit anfangen wollte. Er tat es aus der Not heraus, eventuell die Unterkunft für seine Kameraden und die Pferde nicht bezahlen zu können, jedenfalls nicht im Voraus, aber vielleicht gab es ja die Möglichkeit später doch alles zu bezahlen. Er hatte einen Plan und darum spielte er die Rolle weiter.
„Nun. Wenn mir das Zimmer nicht gefällt, dann schauen wir uns vielleicht als Alternative dazu eine Box in eurem Stall an. Der Preis zumindest passt ja schon. Für 5 Stengel erwarte ich in einer guten Schenke zu der Schlafmöglichkeit auch noch ein gutes Frühstück und eine große Schüssel Schannos sowie ein kühles Bier zum Abendessen.“, dann lachte er gekünstelt.
Der Wirt wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich hätte er diesen arroganten Schnösel am liebsten der Tür verwiesen.
Mico ersparte ihm die Antwort, indem er in fragte.
„Gibt es hier einen Heiler in der Nähe, der sich unseren Freund einmal ansehen kann?“
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