1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Hanrek strich seinem Bruder zärtlich das nasse Haar aus dem Gesicht.
„Eine Hoffnung habe ich.“, Stonek schaute fragend zu ihm hoch.
„Dass du nach Vartel gehst, während wir nach Narull reisen. Und dass du auf meine Familie acht gibst.“
„Ja ich glaube schon, dass ich das mache ...“, sagte Stonek nach einem Moment, „... so brutal, wie du Freunde und Verwandte behandelst, ist es besser, man ist möglichst weit weg von dir.“
Stonek rollte sich mit einem leisen Seufzer auf die Seite und daher sah er nicht, wie sehr er mit seinem Galgenhumor seinen Bruder getroffen hatte.
Voll tiefer Trauer dachte Hanrek.
„Ja. In der nächsten Zeit wird es für alle meine Freunde und Verwandte besser sein, wenn sie sich möglichst weit weg von mir befinden.“
Der Grenzübergang zwischen dem Königreich und Narull war gut bewacht und mit Wachtürmen und hohen stabilen Mauern befestigt. Obwohl die beiden Länder diplomatische Beziehungen zueinander unterhielten, Lucek war einer dieser Diplomaten, beäugte man sich an der Grenze misstrauisch. Insbesondere die Einwohner des Königreichs hatten Angst vor einer weiteren Invasion durch das feindliche Narull. Im Königreich hatte niemand wirkliche Ambitionen in das kalte Narull einzufallen, am wenigsten der König selbst. Der größte Teil des Königreichs lag im gemäßigten Süden. Die Menschen waren die Wärme gewohnt und an das angenehme Leben, das damit einher ging. Der nördliche kalte Teil des Königreichs galt für die südlich des Boons lebenden Menschen als exotisch. Wer wollte schon leben, wo es im Winter so kalt war, dass man kaum vor die Tür konnte, wer wollte die Tage frierend im Haus sitzen, wartend, dass die winterlichen Schneestürme vorüber gingen. Erst recht konnten sich die Menschen nicht vorstellen, ein Land zu erobern, das noch kälter war und wo es nur Schnee und Eis gab, so wie im Land der Drachenkrieger.
Jedoch war den Menschen in Narull nicht bewusst, dass ihnen aus dem Süden keine Gefahr drohte. Jeder hatte gehört, dass die Armee des Primus in dem warmen Land hinter den hohen Bergen besiegt und zurück geschlagen worden war, mit Zauberei, wie einige besonders Schlaue wussten und das trotz der vielen Exzarden, die man eingesetzt hatte. Viele Soldaten waren nicht zurückgekehrt und sogar viele der Exzarden hatten in dem Land ihr Leben verloren.
Von offizieller Seite hatte man wenig über die Umstände verlauten lassen, die zur Niederlage im Königreich geführt hatten.
Erst ganz allmählich wurden auch die Möglichkeiten gesehen, die sich durch die neue Nachbarschaft ergaben. Die Händler waren natürlich die Ersten, die versuchten, aus der neuen Situation Profit zu schlagen, und das war gut so, denn wenn man Handel miteinander treiben will, bedarf es eines gesunden Maßes an Vertrauen und Stabilität. Die Händler drängen mit ihrem finanziellen Einfluss darauf, dass der Handelspartner nicht verärgert wird, dass er als vertrauenswürdig eingestuft wird, und da auf beiden Seiten die Händler gleichermaßen diese Interessen vertreten, bewirken sie damit automatisch, dass es zu einem entspannteren Umgang miteinander kommt.
Zu Beginn werden die Händler der ersten Stunde zwar verschrien als geldgierige Abweichler, die mit dem Feind lukrative Geschäfte machen, aber sobald das Risiko geringer wird, drehen die, die vorher so laut dagegen geschrien haben, ihre Fahne in den Wind und wollen nun ebenfalls an dem erträglichen Geschäft teilhaben. Und wehe, sie werden dann daran gehindert.
Und so wurden über die Jahre hinweg bedingt durch den verstärkten Handel die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn zusehends besser.
Aus dem Süden wurden Berge von Kräutern und exotischen Früchten in den Norden geliefert, und im Gegenzug wurde mit Edelsteinen, Gold, Silber und anderen wertvollen Gegenständen bezahlt. Das allergrößte Interesse hatte man in Narull jedoch an Pferden. Pferde hatte man vor dem Überfall des Königreichs nicht gekannt und es war jetzt ein begehrtes Gut.
Von dem regen Handel profitierte die Stadt Haffkom, die früher als Haffkef bekannt gewesen war und die nun als vierzehnte Stadt des Königs geführt wurde. Das brachte sehr viele Veränderungen mit sich. Jetzt war Haffkom eine gerüstete Garnisonsstadt mit einer intakten hohen befestigten Stadtmauer. Die Stadt war gewachsen und hatte an Bedeutung gewonnen. Nur auf dem Markt in Haffkom war es den Händlern aus Narull gestattet, ihre Waren anzubieten. Es wurde nur einigen wenigen Einwohnern aus Narull erlaubt, den Boon zu überqueren, und weiter nach Süden zu reisen. Dadurch wurde der Markt in Haffkom, der natürlich nur in den Sommermonaten abgehalten werden konnte, wichtig und bekannt. Neben den wertvollen Zahlungsmitteln wurden interessante Waren aus dem Norden umgeschlagen, und von hier fanden diese ihren Weg in den Süden.
Die vielen Soldaten, die jetzt ständig in Haffkom stationiert waren, und deshalb ihre Familien mitgebracht hatten, trugen dazu bei, dass die lokalen Handwerker eine gute Auslastung hatten. Es wurden neue Häuser gebaut, und der Handel mit Narull spülte Geld in die Kassen der Stadt.
Auch die umliegenden Dörfer profitierten von dem neuen Reichtum in der Stadt. Die Abnahme der Waren, die aus den Dörfern rund um die Stadt kamen, wie Getreide, Gemüse, Lebendvieh, Pferde, Holz, Wolle und Felle, war zu fairen Preisen gesichert.
Was als besondere Ehre angesehen wurde, der König hatte seinen Besuch in Haffkom angekündigt. Im nächsten Jahr wollte er die Stadt besuchen. Schon jetzt machte man sich Gedanken, wie der König empfangen werden sollte. Auch das trug dazu bei, dass Haffkom bekannter und wichtiger wurde. Plötzlich machten sich Menschen aus dem Süden Gedanken, ob sie die abgelegene Stadt einmal besuchen sollten, oder Eltern dachten darüber nach, ob sie ihre Kinder zur Ausbildung nach Haffkom schicken sollten.
Eine wichtige aufstrebende Stadt brauchte natürlich einen fähigen Tom. Blutero thronte hinter einem Schreibtisch auf einem großen Holzstuhl in seinem Audienzzimmer, wie er es nannte. Die Einrichtung hatte er vom alten Tef Lucek übernommen, jedoch hatte Blutero es sich nicht nehmen lassen, ein angemessenes Haus für das Amt des Tom zu bauen. Damals als Lucek sein Amt an ihn hatte abtreten müssen, war Haffkef noch keine königliche Stadt gewesen. Er, Blutero, hatte dieser Stadt zum königlichen „om“ verholfen, er und sein Einfluss in Kiroloom. Es war jetzt seine Stadt.
Trotz seiner 58 Jahre war er nach wie vor gut in Form. Dass seine Gestalt jugendlich, straff und muskulös war, dazu hatte sicher beigetragen, dass er während seiner militärischen Laufbahn viel Zeit in der Natur und auf dem Pferd verbracht hatte.
Seine Macht in dieser Stadt war enorm. Jeder in der Stadt glaubte, dass er mit der Armee den nördlichen Teil des Königreichs befreit hatte, dass er die Drachenkrieger und ihre Exzarden vertrieben hatte. Er hatte schließlich selbst dafür gesorgt, dass die Erscheinungen dieser Feuerdrachen, die tagelang aus dem Fluss emporgestiegen waren, als Hirngespinste abgetan worden waren. Die offizielle Version für König und die Militärs lautete, dass er und natürlich die königliche Armee die Narull besiegt und zurückgeschlagen hatten. Wer wagte schon, das Gegenteil zu behaupten. Der König hatte ihm nicht so recht geglaubt, hatte immer wieder nach diesen Feuerdrachen gefragt, woher er davon wusste, das war Blutero nicht bekannt. Doch das alles war lange her und außerdem schuldete der König ihm etwas. Er hatte ihm seine heiß geliebte Tochter zurückgebracht. Höchstpersönlich hatte er sie nach Kiroloom zurückbegleitet. Wenn es weiter so gut lief wie bisher, vielleicht musste er dann seine politischen Ambitionen in Kiroloom doch noch nicht aufgeben.
Er hatte die Angst vor den Drachenkriegern wach gehalten, und wenn sie drohte, in Vergessenheit zu geraten, dann schürte er sie neu. In Kriegs- und Krisenzeiten, in denen die Einwohner eines Landes um Leib und Leben fürchten mussten, hatten Bürgervertreter mit militärischem Hintergrund einen besonderen Reiz für die Bürger. Der Bevölkerung von Haffkom hatte er ja schon bewiesen, dass er militärisches Geschick besaß, wohingegen der Vorgänger von Lucek genau das Gegenteil bewiesen hatten. Und Lucek selbst war jetzt Botschafter in Narull. Blutero hatte dafür gesorgt, dass Luceks Amt als Diplomat in Narull bei großen Teilen der Bevölkerung als Verrat angesehen wurde. Lucek hatte sein Amt als Tef freiwillig geräumt wegen einer Liebschaft mit der Tochter des Primus. So ein Narr.
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