Eigenartig, sinnierte ich, und sah zu, wie sich die beiden tuschelnd und kichernd wieder an ihren Schreibtischen einrichteten. Man sollte doch meinen, dass die Hilz ein ordentliches, etwas langweiliges Leben führte und die Weiß von einem leicht schmierigen Lover zum nächsten taumelte.
In Wahrheit aber hatte die Hilz einen Freund mit viel Phantasie und Ausdauer, wie sie allen, die es so genau auch wieder nicht wissen wollten, mit allen Einzelheiten zu beschreiben pflegte, und Sandra Weiß lebte bei ihrer verwitweten Mutter und hatte nicht annähernd das Privatleben, nach dem sie aussah.
Gar kein Privatleben hatte dagegen die Jonas, unsere Seniorin. Ebenfalls kurz geschorene Haare, Jeans, selbst gestrickte Pullover. Ich sah es förmlich vor mir, wie sie sich abends das Programm von arte oder 3sat reinzog und dabei die Nadeln klappern ließ – zwei rechts, zwei links, eine fallen lassen...
Heute hatte sie einen Pullover an, den ich noch nicht kannte.
„Ist der neu?“, fragte ich, ganz die gute Chefin.
„ Nein, mit Perwoll gewaschen “, kicherte die Hilz sofort los, von der Weiß assistiert. „Haben Sie die Terminliste bis Jahresende schon fertig?“, fragte ich, und das Kichern erstarb. „Ja, der ist neu“, antwortete die Jonas und strich sich stolz über den flauschigen violetten Ärmel.
„Hübsch“, log ich und verzog mich an meinen eigenen Schreibtisch, der im Gegensatz zu denen der Viererbande tadellos aufgeräumt war. Ich hielt auch nichts davon, privaten Schnickschnack darauf zu arrangieren; Flatscreen, Tastatur, Maus, zwei Körbe, Telefon und Schreibzeug füllten die Platte wirklich genug. Wozu dann noch Fotos in kitschigen Rähmchen (Hilz), Überraschungseierfiguren (Hilz, sie war erst zweiundzwanzig), Stofftierchen (Weiß), herzförmige Post-it-Blöckchen (Wer wohl?), esoterische Lektüre (Schmalhans), orientalische Schnitzereien, die die Erdströmungen oder was auch immer lenken sollten (dito), Strickhefte (Jonas) und Ratgeber der Marke Selbst ist die Frau (ebenfalls)?
Im Eingangskorb lag ein Schreiben der Geschäftsleitung, das um Vorschläge für die Einführung einer neuen Lernhilfen-Reihe bat. Programmiertes Lernen... hatte es das nicht in den Siebzigern schon mal gegeben?
Mein Blick irrte wieder zu diesem violetten Flauschmonster. Das Ding war doch zu weit... und der große Kragen sollte sich weich auf die Schultern legen, aber sie hatte wohl die Geduld verloren und zu früh abgekettelt, so dass er jetzt irgendwie seltsam hochstand und man die schlampig vernähten Fäden auf der Rückseite sah. Sie hatte sich schon mindestens zwanzig Pullover gestrickt und konnte es immer noch nicht!
Die Schmalhans telefonierte herum, um die fehlenden Bestellnummern zu ergattern, und ich las das Schreiben fertig. Zwei Hefte Latein, drei Mathematik, eins Physik, bis jetzt. Wenn schon programmiertes Lernen, warum dann nicht gleich Software? Unsere ANDERS lernen-CDs gingen doch glänzend!
Ich zog mir die Tastatur näher und begann zu tippen – Vorschläge für diese Reihe, Titelideen, Gestaltung, Kombination mit passender Software, vielleicht reduzierte Programme als Freeware auf der Homepage, die Möglichkeit, solche Programme auf den ewigen Messen und Fortbildungen vorzuführen, die wir immer abzuklappern hatten... O Gott – mit wem würde ich denn in Zukunft durch die Lande gondeln müssen? Mit Astrid hatte ich mich immer köstlich amüsiert, viel verkauft, neue Autoren an Land gezogen, Ideen gesammelt – und geklaut – und jede Menge Kleinstadtkneipen kennen gelernt.
Und jetzt? Jung und grimmig, hatte Astrid gesagt. In einer halben Stunde müsste der Zauberprinz auftauchen. Wahrscheinlich kam er frisch von der Uni und hatte null Ahnung von der Praxis, voller unverkäuflicher Ideen!
Wenigstens hatte Kati Hilz jetzt die Terminübersicht fertig und brachte mir einen Ausdruck. Ich las ihn durch, besserte zwei Fehler aus und gab ihn ihr zurück. „Frau Schmalhans soll die Termine ins interne Netz setzen. Haben die schwäbischen Mathematiker nicht im November immer diese Fortbildung in Sindelfingen?“
„Was? Oh – ich schaue gleich nach, tut mir Leid. Aber wissen Sie, mein Freund – er hat mich heute Nacht derartig um den Verstand gebracht, ich kann noch gar nicht wieder klar denken...“
„Frau Hilz, Ihr Privatleben geht uns nichts an, Ihre Arbeitsleistung schon. Also vergessen Sie jetzt bitte mal die Freuden der Nacht und suchen Sie den fehlenden Termin raus, ja? Notfalls über das entsprechende Kultusministerium.“
Die Jonas warf der Hilz einen angeekelten Blick zu. Ob die eigentlich lesbisch war? Sie guckte so, aber eigentlich wusste ich nicht, wie man lesbisch guckte, und ehrlich gesagt war mir das auch egal.
„Dieser Raum ist unglücklich“, verkündete die Schmalhans da mit dunkel vibrierender Stimme. War das mal wieder eine Botschaft aus dem Geisterreich?
„Warum das denn?“, fragte ich. „Stimmen die Farben nicht, steht der Papierkorb falsch oder hätte der Raum lieber andere Insassen? Könnte ich ja eigentlich verstehen...“
„Nein – es ist schwer fassbar. Unzufriedenheit – eine graue Aura liegt über allem, verborgene Probleme...“
„Vielen Dank. Hoffentlich bleiben die Probleme auch im Verborgenen, sonst kommt hier gar keiner mehr zum Arbeiten. Frau Jonas, Sie kriegen nachher ein Schreiben an alle Biologen in unserer Kartei, suchen Sie die einschlägigen Adressen schon mal raus?“
Zustimmendes Seufzen. Ich schrieb einen schmalzigen Brief, in dem ich auf neue Lernhilfen für Biologie in der Kollegstufe hinwies und betonte, wie unentbehrlich unser Material doch für den erfolgswilligen Schüler und den gestressten Lehrer war; die Neuerscheinungen konnten mit 25 % Lehrerrabatt via Internet oder beiliegende Bestellkarte sofort geordert werden. Wahrscheinlich schmissen die meisten das ohnehin ungelesen ins Altpapier, aber manche bestellten eben doch. Und wenn sie es dann ihren Schülern zeigten, die doch immer hofften, irgendein Zauberbuch könnte ihnen die Arbeit sparen... Von diesen Mechanismen lebten wir schließlich.
Die Jonas ließ den Drucker rattern, der mehrere Bögen Adressaufkleber ausspuckte, und ich unterschrieb mein Anschreiben und kopierte es hundertmal. Dann wuchteten wir Anschreiben, Bestellkarten, Prospekte, Umschläge und Aufkleber der Weiß auf den Tisch und stellten einen leeren Klappkorb daneben. „Zügig bitte, das Zeug muss heute noch raus!“
Sie guckte verstört. „Alles?“
„Alles. Pro Umschlag ein Brief, einmal gefaltet, ein Prospekt, eine Karte – klar? Adresse drauf und ordentlich in den Korb schichten. Danach bringen Sie den Korb zum Frankieren, Sie wissen ja, und dann zum Postausgang.“
Ich leitete meine Überlegungen zu dieser neuen Reihe an die Geschäftsleitung weiter und brütete gerade über den Messeterminen, als es an der Tür klopfte. „Herein!“, rief ich, ohne den Kopf von der Terminliste zu heben. Erst, als ich das Räuspern hörte, sah ich auf. Ach, Dr. Benrath, unser ferne über uns schwebender Chef – und das reinste Unterwäschemodel daneben.
Sandra Weiß seufzte verzückt, Kati plinkerte mit den Lidern, die Jonas schaute noch giftiger und die Schmalhans schien seine Aura abzuschätzen. Wie üblich eben. Ich stand höflich auf. „Dr. Benrath... Und Sie sind wohl Frau Salzgebers Nachfolger?“
Er reichte mir die Hand. „Pechstein.“
„Schröder“, antwortete ich ebenso knapp. „Willkommen bei ANDERS . Ich bringe Sie zu Frau Salzgeber, Sie wird Ihnen alles zeigen.“
„Danke.“
Der verschwendete auch kein Wort. Aber wenn jemand so schön war, konnte es natürlich gut sein, dass es mit den sprachlichen – und geistigen – Fähigkeiten haperte... Ach, Blödsinn, der musste doch irgendwas können, sonst hätten sie ihn als Büroboten eingestellt und nicht als Redakteur für die Öffentlichkeitsarbeit.
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