„Aber Sie werden den Auftrag annehmen, um dem Verschwinden von Marie nachzugehen?“, fragte sie voller Hoffnung.
„Wenn das Ihr Wille ist, können wir anschließend im Hotel den Vertrag unterschreiben.“
„Wunderbar.“ Marlene legte schüchtern ihre Hand auf seinen Arm. „Danke, dass Sie mein Anliegen ernst nehmen.“
„Es gibt einfach zu viele Ungereimtheiten in diesem Fall und ich werde mit meinen Nachforschungen so schnell wie möglich beginnen, das verspreche ich Ihnen.“
Fields strebte mit schnellen Schritten in Richtung Hotel und Marlene hatte Mühe, ihm zu folgen.
„Wir können uns ja im hoteleigenen Restaurant einen Kaffee gönnen und dabei in aller Ruhe den Vertrag durchgehen.“
Während Fields mit dem Fahrstuhl nach oben fuhr, um die Unterlagen zu holen, nahm Marlene an einem Tisch vor dem Fenster Platz. Es kam einem Wunder gleich, dass ihr dieser Detektiv Vertrauen schenkte und sie nicht mitleidig belächelte. Am liebsten wäre sie zu Frank gestürmt und hätte ihn von den Neuigkeiten in Kenntnis gesetzt. Aber sie wollte sich keine Blöße geben, falls Fields’ Nachforschungen nicht von Erfolg gekrönt wurden.
Sie bestellte sich einen Cappuccino und beobachtete die anderen Gäste.
„Wie ich sehe, haben Sie schon bestellt.“ Er schob ihr eine schwarze Mappe zu. „Lesen Sie sich in aller Ruhe den Vertrag durch, bevor Sie unterzeichnen.“
Das ließ Marlene sich nicht zweimal sagen. Sie überflog die Papiere, setzte ihre Unterschrift darunter und klappte die Mappe zufrieden zu. Die Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Für mich ist es sehr wichtig, diesen Schritt zu tun. Selbst wenn Sie mir Marie nicht wiederbringen, so kann ich doch von ihr Abschied nehmen und endlich trauern. Dieses endlose Hoffen raubt mir die Kraft und die Lebensfreude.“ Sie hob ihren Blick und sah ihn an. „Meine Selbstvorwürfe enden an diesem Punkt, denn ich habe alles getan, um meine verschollene Tochter wiederzufinden. Mehr ist einfach nicht möglich.“
„Ich denke, Sie haben die richtige Entscheidung getroffen“, stimmte Fields ihr zu.
Die Kellnerin brachte Fields einen Espresso an den Tisch und schenkte ihm ein kokettes Lächeln. Marlene schaute aus dem Fenster, amüsiert von dieser Szene. Sie fühlte sich so gut wie nie zuvor und hätte am liebsten die ganze Welt umarmt. Vielleicht sollte sie Mia zur Feier des Tages zum Italiener einladen, dann konnten sie den Neuanfang gebührend feiern.
„Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen, Frau Sanders?“, riss er Marlene aus ihren Gedanken.
„Ähm ... nein. Für den Notfall habe ich ja Ihre Nummer. Melden Sie sich, sobald es Neuigkeiten gibt, oder soll ich zu Ihnen Kontakt aufnehmen?“
„Ich werde mich in regelmäßigen Abständen melden.“
Marlene erhob sich und reichte ihm die Hand. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“
Sie durchquerte das Restaurant und konnte es kaum erwarten, Mia die frohe Botschaft zu verkünden. Draußen reckte sie ihr Gesicht den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen und wäre am liebsten durch die Straßen getanzt. Zum ersten Mal nach dieser langen Zeit verspürte sie einen Anflug von Glück.
Sie stieg in ihren Wagen und fuhr auf direktem Weg zum Gymnasium, um Mia abzuholen. Durch das geöffnete Seitenfenster wehte der Fahrtwind ins Innere und wirbelte ihr durchs Haar.
Pünktlich stand Marlene vor dem Schulgebäude und versuchte Mia in der Menge auszumachen. Kurz darauf entdeckte sie ihre Tochter laut lachend, umgeben von einer Mädchentraube. Sie rief Mias Namen und winkte ihr zu.
„Mama, was machst du denn hier?“
„Ich wollte dich zum Italiener einladen oder hast du schon etwas anderes vor?“
„Ach was, Pizza geht immer.“ Mia ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. „Und, wie ist der Typ? Hat er eine Säufernase?“
„Du bist unmöglich, meine Kleine.“ Marlene schüttelte verständnislos den Kopf. „Er war äußerst nett und zuvorkommend und er hat den Auftrag angenommen.“
„Wirklich?“
Marlene ergriff die Hand ihrer Tochter und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an.
„Ich kann es selbst kaum glauben, aber er wird der Sache nachgehen.“
Schluchzend lagen sich Mutter und Tochter in den Armen.
„So, dann wollen wir Luigi einen Besuch abstatten. Dort kann ich dir alles in Ruhe erzählen.“
Marlene startete den Motor und fädelte sich wieder in den Verkehr ein.
Während Fields zurückfuhr, kreisten seine Gedanken um den aktuellen Fall. Hatte er wirklich die richtige Entscheidung getroffen? Es war so gut wie aussichtslos, nach all den Jahren auf eine heiße Spur zu stoßen. Er hatte zwar einen groben Plan, aber ob der funktionierte, stand in den Sternen.
Seine Auftraggeberin, Marlene, war nur geringfügig älter als er und ihm auf Anhieb sympathisch. Ihr kastanienbraunes Haar, von ersten feinen Silberfäden durchzogen, hatte sie locker hochgesteckt und trotz des Kummers leuchteten ihre Augen. Sie besaß ein warmherziges Lächeln und die kleinen Fältchen um ihre Augen schmälerten keineswegs ihre Attraktivität. Wahrscheinlich war das auch der Grund gewesen, weshalb er auf einen Großteil des Honorars freiwillig verzichtet hatte. Das war ihm in all den Jahren noch nie passiert.
Natürlich hatte dieser besondere Fall auch sein persönliches Interesse und seine Neugier geweckt, denn er wollte unbedingt in Erfahrung bringen, was es mit dem Verschwinden der Zwillingsmädchen auf sich hatte. An einen Zufall glaubte er nicht.
Es würde ein harter Brocken Arbeit werden, alle Eltern der vermissten Kinder ausfindig zu machen. Von den Fahndungslisten aus der ganzen Welt hatte er sich die Fotos heruntergeladen und ausgedruckt. Jetzt pinnte er die Bilder fein säuberlich an die ausgebreitete Landkarte vor der Wand.
Die verschwundenen Mädchen waren ausgesprochen hübsch. Mit blauen Augen strahlten sie fröhlich in die Kamera, auffallend war auch das helle Haar. Es gab zwar einige Ausnahmen, aber die Vorlieben waren explizit zu erkennen.
Doch wer unternahm solch immense Anstrengungen, um sich eines der Zwillingsmädchen zu beschaffen? Und vor allen Dingen, mit welchen Geldern finanzierte er das? Fields erinnerte das eher an ein gut organisiertes Netzwerk, denn für eine einzelne Person war dieser Aufwand viel zu groß.
Aber solange er den Grund für das Verschwinden nicht kannte, würde es schwer werden. War Missbrauch ein Thema? Das Alter variierte, vom Kleinkind bis zur Zehnjährigen war alles dabei.
Fields setzte sich an den Rechner und schrieb die Eltern an, deren Adressen er schon ausfindig gemacht hatte. Einer von ihnen musste doch etwas bemerkt haben, das ihm weiterhelfen konnte. Er spürte instinktiv, dass die Kinder gekidnappt worden waren, von einem zufälligen Verschwinden konnte nicht mehr die Rede sein.
Aber insgesamt sah es nicht sonderlich gut für ihn aus. Er steckte in einer Sackgasse fest und ohne die Hilfe von Chris kam er nicht weiter. Hatte er sich vielleicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, als er den Auftrag angenommen hatte?
Er schnappte sich sein Jackett und die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu Chris. Ohne diesen jungen Mann waren seine Recherchen nur einen Pfifferling wert, auch wenn er sich damit wieder und wieder auf dünnes Eis begab.
Er hielt den Wagen vor einem heruntergekommenen Altbau und drückte auf die Klingel. Leise summend schwang die Haustür auf und der Geruch von kaltem Essen und Zigarettenqualm strömte Fields unangenehm entgegen. Er holte noch einmal tief Luft und trat den mühseligen Weg ins Dachgeschoss an.
Chris erwartete ihn schon an der Tür. „Und Fields, einen neuen Auftrag an Land gezogen?“
„Mitnichten, ich besuche dich nur wegen der schönen Aussicht.“ Fields zwängte sich an ihm vorbei ins Innere und pfiff erstaunt. „Na sieh einer an. Wer hat dir denn die Möbel spendiert?“
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