1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 „Du hast Recht, doch er ist es. Obwohl sie noch nicht wissen, was sie da eigentlich gefunden haben“, erwiderte Nathaniel.
Ernest ließ sich nachdenklich in seinen Bürosessel sinken und fing an, seine Pfeife zu stopfen.
„Hältst du weiter ein Auge drauf?“
Anstatt zu antworten, wechselte von Falkenberg das Thema. „Der Dormitor, auf den du gewartet hast, ist also eingetroffen“, bemerkte er mit einem Kopfnicken zur Tür.
Ernest nickte. „Seit wann interessierst du dich dafür?“
„Sag Vivien, dass noch einer dazu kommt.“
Ernest blickte ihn überrascht an.
„Er wird in ein paar Tagen hier sein“, erklärte Nathaniel.
Ernest sog nachdenklich den Rauch ein. „Wir sollten ein Treffen einberufen.“
„Das denke ich auch.“
„Darf ich noch erfahren, wer es ist?“
„Ich werde ihn dir vorstellen, sobald es mir möglich ist“, erwiderte von Falkenberg und wandte sich zum Gehen.
Ernest drehte seinen Sessel in Richtung Fenster und starrte nachdenklich in eine Ferne, die auch von den Mauern gegenüber nicht verdeckt werden konnte. Sanft kaute er auf dem Mundstück seiner Pfeife herum. Der Spiegel von Rub al-Chali, dachte er beunruhigt, bevor er endlich zum Telefon griff und die Nummer von Vivien Thorn wählte.
London, 07. August
Arthur Kruger stand hinter der Bar und beobachtete seine Bedienung dabei, wie sie die Snackkarten und Bierdeckelständer auf den Tischen auffüllte. Das Great Puppy lag in einem der Hinterhöfe von West End. Zwei Jahre hatte Arthur liebevolle Handarbeit in die Räumlichkeiten gesteckt und mit viel Geschick das rustikale Flair eines Kellergewölbes geschaffen. Nach weiteren drei Jahren, kurz bevor ihm das Ersparte ausging, war die Rockerbar zu einem absoluten Insidertipp geworden. Eigentlich wollte er nie mehr verdienen, als das, was er zum Leben brauchte. Arthur selbst hatte keine großen Ansprüche. Das kleine Zweizimmerapartment über dem Great Puppy und eine Harley Davidson vor der Tür. Mehr brauchte und wollte er auch nicht. Das meiste, was er darüber hinaus verdiente, steckte er in, wie er es nannte, kleine Details , mit denen er seiner Bar immer wieder einen besonderen Schliff verlieh. So veranstaltete er zum Beispiel einmal im Monat einen Actionabend, an welchem sich seine Gäste mit Bier und filmreifen Schlägereien vollkommen ihrem Adrenalinrausch hingeben konnten. Das Mobiliar an diesem Abend war nur leicht gedübelt, aber nicht geleimt, es gab Bierflaschen aus Zuckerglas und alle möglichen anderen Requisiten, die für die richtige Stimmung sorgten, ohne dass es zu Polizei- und Rettungsdiensteinsätzen kommen musste. Zweimal in der Woche Livemusik, wobei die Kneipe gerade bei den Auftritten von Destruction Crape aus allen Nähten zu platzen drohte.
„Sie war da!“ Bjorns aufgeregte Stimme riss ihn aus den Gedanken. Arthur hob den Blick und musterte das entschlossene Gesicht seines selbsternannten Ziehsohnes.
“Wer?“
“Mrs. Jones. Und da ist noch mehr“, platzte aus dem Gitarristen heraus. „Ich habe beim Sozi angerufen, und jetzt halt dich fest. Sie ist schon seit zwölf Tagen verschwunden.“
Arthur atmete tief durch und zuckte mit den Schultern. „Dann hat sie wohl einfach nur durchgedreht. Würde ich auch, bei ihrem Job.“ Er grinste breit. „Siehste, hättest du dir die Haare abgeschnitten und dich beworben, wie sie es wollte …“
Bjorn blitzte den Biker wütend an. „Das ist nicht lustig!“
Arthur wurde wieder ernst. „Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nicht, wieso dich das so aufregt. Wahrscheinlich ist sie auf dich losgegangen, du hast dir den Kopf angestoßen und warst k.o. Die Dame hat sicher Schiss bekommen und ist abgehauen.“
Bjorn schüttelte entschlossen den Kopf. „Sie wollte mich umbringen.“ Er überlegte, ob er dem Altrocker nicht die ganze Geschichte erzählen sollte, doch die Gefahr, dass sein Mentor ihn eventuell für völlig irre halten würde, war ihm doch zu groß.
“Ich glaube, die Jungs warten auf dich“, lächelte Arthur versöhnlich und wies mit einem Kopfnicken zur Bühne, wo die Band mit dem Aufbau begonnen hatte.
*
Als Destruction Crape zwei Stunden später die winzige Bühne betrat, die aus einigen leeren Bierfässern und Brettern bestand, wurden sie mit begeisterten Rufen empfangen, und Bjorn griff voller Leidenschaft in die Saiten. Arthur lächelte, während er mit einem leicht entrückt wirkenden Blick das Geschehen um sich herum beobachtete. Am Ende des Abends würden alle kraftlos nach Hause gehen. Alle … bis auf einen. Er lehnte sich an das Regal hinter seiner Bar und lauschte andächtig der Musik, die ihm von längst vergessenen Zeiten erzählte und sehnsüchtige Erinnerungen weckte.
„Er ist wirklich gut“, riss ihn eine rauchige Frauenstimme aus seinen Träumen.
„Vivien“, Arthur wandte sich lächelnd um. „Ich hätte nicht gedacht, dass du heute auftauchst.“
„Hatte ich auch nicht vor.“ Die schlanke Frau mit den kurzen dunklen Haaren zog einen großen Umschlag aus ihrer Handtasche und schob ihn über den Tresen.
Arthur warf einen kurzen Blick auf den Absender und nickte.
„Wird höchste Zeit.“
„Ich hoffe, du kannst ihn überzeugen. Das würde einiges für uns erleichtern. Und für ihn auch.“
Arthur nickte nachdenklich. „Er ist nicht der Mann, der es leichter haben will“, murmelte er.
„Junge“, widersprach Vivien.
„Ein Mann ohne Erinnerung an seine Lebenserfahrung“, entgegnete er. „Jedenfalls noch.“
Vivien ließ ihren Blick durch den Schankraum schweifen, beobachtete die blassen Gesichter der grölenden Menge und runzelte die Stirn. Auch der Band sah man mittlerweile eine gewisse Müdigkeit an, außer Bjorn, der jetzt erst richtig loszulegen schien.
„Der Sog ist unglaublich“, murmelte Vivien.
„Ich sagte doch: Er ist alt.“
Sie nickte nachdenklich und nippte an dem Whisky, der ihr von Arthur gereicht wurde.
„ Er bringt uns übrigens noch einen vierten.“
„Wer?“
„Von Falkenberg.“
Arthur runzelte die Stirn. „Seit wann interessiert sich der Snob für die Dormitoren?“
Vivien warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie den Rest des Glases hinunterstürzte und etwas zu laut auf dem Tresen abstellte.„Keine Ahnung. Aber irgendwas ist da im Busch. Jedenfalls trifft er sich immer häufiger mit Ernest.“
„Vielleicht begibt er sich doch endlich mal unters niedere Volk.“ Arthur gab sich nicht die geringste Mühe, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.
Vivien lächelte. „Das wird sich wohl nie legen.“
Er schielte sie über den Rand seines Whiskyglases an. „Was?“
“Der Streit zwischen euch.“
„Er ist ein arroganter Arsch“, murrte Arthur.
Vivien hatte keine Lust, sich auf diese endlose Diskussion einzulassen. Statt zu antworten schulterte sie ihre Tasche und schob den Umschlag noch ein Stück weiter über die Theke.
„Ach so, du weißt es vielleicht noch nicht, aber Ernest besteht auf ein Treffen.“
„Wann?“
„Morgen Abend. Viel Glück mit dem Jungen, Arthur.“
Er griff über die Theke und hielt sie am Arm fest. „Ich muss dich noch um einen kleinen Gefallen bitten, Viv.“ Seine freie Hand holte unter der Theke einen Gegenstand hervor, der in ein fleckiges Küchentuch eingeschlagen war. „Könntest du das hier für mich zum Gut bringen? Vielleicht kann unser Nachtvogel was damit anfangen.“
Vivien nahm es entgegen. „Was ist das?“
“Bjorns Küchenmesser.“
Sie nickte und ließ das Handtuchpaket in ihrer Tasche verschwinden. Arthur zwinkerte ihr zum Abschied noch einmal freundschaftlich zu, bevor er den Umschlag an sich nahm und mit ihm in einem kleinen, spärlich eingerichteten, staubigen Raum verschwand, welchen er als sein Büro bezeichnete.
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