„Gibt‘s ‘ne Vermisstenanzeige?“, unterbrach er Jens Mander.
„Nö, die wollen ihm keine Schwierigkeiten mit seinem Visum machen, falls er nur mal eine kurze Auszeit genommen hat“, antwortete Jens. „Könnte ja auch sein, dass er nur einen kurzen Urlaub macht.“
Noch bevor er Jens nach dem Foto fragen konnte, fügte er an: „Wenn Sie mir ihre Mailadresse verraten, schicke ich Ihnen das Bild per Mail.“
Mäurers Pfeife war wieder aus und bevor der sie wieder in Brand setzte, nannte er die Mailadresse, die Jens sofort in sein Smartphone notierte und das Bild als Anhang auf die Reise schickte.
Mit der Frage nach der Rasse von Jens Manders Hund und dass er lange Zeit bei der Hundestaffel gewesen sei, versuchte er die unpersönliche Stimmung aufzulockern.
„Okay - is‘ raus“, sagte Jens, „aber die Aufregung versteh ich trotzdem nicht. In Berlin gibt es mehr als einen Inder und die Tasche? Naja, auffällig ist sie schon, aber davon gibt‘s sicher mehr als eine in Berlin.“
„Die Kollegen von der SpuSi 1
haben sich der Tasche angenommen und festgestellt, dass dieses Modell in Deutschland nicht verkauft wird. Das Ding wird in Pakistan für eine Firma in England produziert und auch nur dort verkauft. Die Kollegen vom Zoll konnten jedenfalls keine Importe nach Deutschland feststellen.“
„Das heißt aber noch lange nicht, dass die Tasche vom Park mit der auf dem Bild identisch ist. Ähnlich ja, aber ich würde nicht unbedingt darauf wetten.“ Der berühmte Detektiv Hercule Poirot 2
hätte in der Situation gesagt, dass seine kleinen grauen Zellen angefangen hätten, aus den verschiedenen Informationen ein Bild zu erstellen.
„Wird es eine Vermisstenanzeige geben und wer wird sie stellen?“, unterbrach Reuter Jens‘ Denkprozess.
Jens Mander war mit den Besitzern und den Mitarbeitern des Restaurants, in dem der Koch vor seinem Verschwinden gearbeitet hatte, gut bekannt. Deshalb hielt er es für besser, Mäurers Frage erstmal zu ignorieren. Nicht, dass er sich da raushalten wollte, aber die »Grünen« 3
hatten ihren Job und das war nun mal nicht seiner.
„Ohne Vermisstenanzeige können wir nichts unternehmen und so ohne weiteres können wir auch nicht beim Arbeitgeber aufschlagen“, sinnierte Mäurer nach der Pause weiter. „Also drei Anzeigen, dreimal nichts, eine Sporttasche und niemand, dem sie gehört. Das ist mal wieder Bullshit.“
Mäurer klopfte die Asche seiner Pfeife in einen großen Standaschenbecher und hielt Jens die Türe auf. „Sie waren auch keine große Hilfe. Also wenn Sie nichts mehr zu sagen haben, dann sind wir für heute mal durch.“ Reuter begleitete ihn noch zum Gatter und dann war Jens wieder draußen auf der Straße.
Das »für heute mal durch« verhieß nichts Gutes - »also lassen wir das mal auf uns zukommen«, dachte sich Jens, marschierte in Richtung S-Bahn und fuhr mit der Ringbahn die drei Haltestellen in Richtung Innsbrucker Platz. Während der Fahrt überlegte er sich, dass es eine gute Idee sei, heute mal wieder Chilli Chicken oder ein Fisch-Tikka zu essen.
Als Jens die Wohnungstüre öffnete, musste er mit Ayla erst mal »Party feiern«. Jens war nur drei Stunden unterwegs, Ayla begrüßte ihn, als wären er drei Tage gewesen.
Nun haben Hundemenschen eine besondere Beziehung zu ihrem Begleiter und so schob Jens den Gedanken an ein leckeres indisches Gericht nach hinten, nahm Ayla an die Leine und machte sich zu einer großen Runde auf. Sie marschierten über zwei Stunden durch den Rudolf-Wilde-Park und den Volkspark Wilmersdorf bis zur Blissestraße und dann über die Uhlandstraße, Berliner Straße und Badensche Straße wieder nach Hause. Ayla war nach der Runde nur noch müde und Jens hatte endgültig die Lust auf »Indisch« verloren. Er machte sich ein paar belegte Brote und wollte sich gerade auf das Sofa setzen, als das Telefon klingelte.
Es war Rahul.
Jens hob ab und meldete sich. „Hallo Rahul, wie geht es Dir?“
„Hallo Mister Jens, wie geht es Ihnen?“, bekam er zur Antwort.
Es folgte wieder der übliche Dialog, in dem sie sich versicherten, dass es ihnen gut gehe.
Da es schon spät war, unterbrach Jens das Ritual und kam zur Sache: „Ich war heute bei der Polizei und habe mal nach dem Koch gefragt. Aber da war nichts bekannt. Die Jungs meinten nur, dass irgendjemand auf dem schnellsten Weg eine Vermisstenanzeige aufgeben sollte. Könnte aber auch sein, dass die im Restaurant reinschneien und nach ihm fragen werden.“
Nach dieser Ansage benahm Rahul sich plötzlich merkwürdig. Während sie sonst immer über die verschiedensten persönlichen Dinge unterhielten, war Rahul diesmal recht einsilbig. Mit Floskeln wie „da kann man nichts machen“ und „da werde ich mit meinem Chef reden müssen“, versuchte er offensichtlich über die Zeit zu kommen, damit Jens das Gespräch beenden konnte. Rahul hat noch nie ein Telefonat von sich aus beendet; er war immer der Ansicht, das sei unhöflich.
Jens tat ihm also den Gefallen, wünschte eine gute Nacht und beendete das Gespräch. Inzwischen hatte sich jedoch, von ihm völlig unbemerkt, sein Hund über seine Brote hergemacht. In einem zweiten Anlauf kam Jens aber dann doch noch zu seinem Abendessen.
Jens Mander hatte sich wieder mal die Nacht um die Ohren geschlagen und an seinem Roman geschrieben; sein Hund schlief bis um acht friedlich auf einer Matte vor seinem Schreibtisch. Der Blick auf das Außenthermometer sagte ihm, dass die optische und die gefühlte Temperatur stark voneinander abweichen könnten und dass es kühler sein würde, als die strahlende Morgensonne verhieß.
Noch während er sich für den morgendlichen Hundespaziergang anzog, klingelte sein Telefon. „Polizeidirektion zwei, Abschnitt sechsundzwanzig“, bohrte sich eine Stimme aus dem Hörer in sein Ohr und bevor diese Stimme ihren Spruch weiter ablassen konnte, fiel Jens ihm sofort ins Wort:
„Guten Morgen Herr Reuter, was kann ich für Sie tun?“
Offensichtlich war Reuter überrascht, dass Jens ihn sofort erkannt hatte, denn erst nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Können Sie sofort in die Belziger Straße am Eingang zum alten Dorffriedhof kommen?“ Da Jens seinen Hund schon fast an der Leine hatte, erwiderte er, dass es prinzipiell kein Problem sei, aber er erst mit seinen Hund eine Runde machen müsse. „Reicht es in zirka einer Stunde?“
„Nein“, kam als Antwort aus dem Telefon. „Wir brauchen Sie sofort hier.“ Die Hintergrundgeräusche aus dem Telefon kamen jetzt nur mehr gedämpft aus dem Hörer, als halte Reuter die Hand über das Mikrophon. „Dann bringen Sie halt Ihren Hund mit. Wenn Sie jetzt losgehen, sind Sie in spätestens fünfzehn Minuten hier.“
Reuters Stimme hatte einen gestressten Unterton und da Jens Mander zwischenzeitlich neugierig geworden war, sagte er zu.
Raus aus dem Haus, über die Freiherr-vom-Stein-Straße in den Rudolph-Wilde-Park Richtung Hirschbrunnen, die Treppe hoch, über die Martin-Luther-Strasse, Richtung Rathaus Schöneberg, über die Dominicus Strasse auf den Kennedy-Platz und in die Belziger Straße - sein Hund hatte offensichtlich heute große Lust auf Laufen und so schafften sie den Weg wirklich in fünfzehn Minuten.
Vor dem Tor zum Friedhof stand ein Polizeibus mit eingeschaltetem Blaulicht; der Eingang war mit einen rot-weißen Band abgesperrt und trotz der frühen Stunde standen ein paar neugierige Passanten rum. Jens drängte sich durch die Neugierigen an das Sperrband, was mit seinem Hund an der Leine gar nicht schwer fiel. Es passierte ihm immer wieder, dass seine große Schweizer Sennhündin mit einem Rottweiler verwechselt wurde.
Jens zog seinen Presseausweis aus der Tasche, hielt ihn der Polizistin hinter der Absperrung unter die Nase uns sagte: „Herr Reuter erwartet mich.“
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