Vor allem jedoch ist Hirschfeld bekannt geworden durch die Ausarbeitung seiner sogenannten Zwischenstufen-Theorie, in welcher er erstmals die "Umkleidungstäter" von den Homosexuellen löste und für sie die Bezeichnung "Transvestiten" vorschlug (Magnus Hirschfeld: "Die Transvestiten", Berlin 1910). Im Jahre 1923 benutzte er dann erstmals das Wort "Transsexualismus", allerdings in Verbindung mit Transvestitismus, ohne diesen Begriff näher zu definieren (das tat dann 1966 Harry Benjamin!). In seiner ca. 2000 Seiten umfassenden sexualwissenschaftlichen Abhandlung, der "Geschlechtskunde", sieht er in dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung eine Form des "Extremen Transvestitismus" (man kann sich somit fragen, ob der Transsexualismus die oberste Form des Transvestitismus darstellt oder der Transvestitismus die unterste Form des Transsexualismus...!). Hirschfeld schreibt:
" Die stärksten Formen des totalen Transvestitismus finden wir bei denen, die nicht nur ihr künstliches, sondern auch ihr natürliches Kleid, ihre Körperoberfläche andersgeschlechtlich umgestalten möchten. (...) Den höchsten Grad dieser körpertransvestitischen Zwangszustände beobachten wir bei denen, die eine mehr oder weniger vollständige Umwandlung ihrer Genitalien anstreben, vorallem also ihre Geschlechtsteile nach ihrer Seele formen wollen. Voran steht bei transvestitischen Frauen die Beseitigung der Menstruation durch Entfernung der Eierstöcke, bei transvestitischen Männern die Kastration. Diese Fälle sind viel häufiger, als man früher auch nur im entferntesten ahnte. "
Vor ihm war der Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840-1902) in seinem bekannten Werk "Psychopathia sexualis" noch von einer Subkategorie der von ihn so benannten "Konträrsexuellen" im effeminierten Sinne ausgegangen, die er mit "Metamorphosis sexualis paranoica" betitelte: "Eine letzte Stufe im Krankheitsprozess stellt der Wahn der Geschlechtsverwandlung dar". Im Pro Familia Magazin 2/95 trug der darauf Bezug nehmende Artikel des Dr. Rainer Herrn (Leiter der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft der Magnus-Hirschfeld - Gesellschaft in Berlin) den bezeichnenden Titel "Vom Geschlechtsverwandlungswahn zur Geschlechtsumwandlung". Fürwahr, ein langer Weg...! Denn noch immer wird beim derzeitigen Transsexualismus-Modell die Quadratur des Kreises angestrebt. Weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf?
Zum Anfang der zwanziger Jahre wurden die in Hirschfelds Sinne als "extreme Transvestiten" bezeichneten Personen zunächst auf eigenen Wunsch und unter Belehrung der Folgen einseitig oder zweiseitig kastriert - geübt in derartigen Eingriffen waren die Chirurgen bereits durch Genitaloperationen an Verletzten des Ersten Weltkrieges. Der damaligen Kapazität auf dem Gebiet der Genitalchirurgie Richard Mühsam berichtete 1926 über einen von Hirschfeld an ihm überwiesenen Patienten, an dem ein erster Versuch einer plastischen Operation durchgeführt wurde: dies nachdem der Transsexuelle (damals noch Transvestit genannt) zuerst 1920 kastriert und dann 1921 ein weibliches Ovarium eingepflanzt worden war...! Auch das gab es also. Über die erste komplette Genitalumwandlung im Sinne der zu Anfang erwähnten medizinischen Transsexualität berichtete Felix Abraham vom Institut für Sexualwissenschaft 1931 in dem Beitrag "Genitalumwandlung an zwei männlichen "Tranvestiten". Die wohl spektakulärste Geschlechtsumwandlung - und zwar von Mann zu Frau - fand in jener Zeit in Dresden statt - es betraf dies die Dänin Lili Elbe (wg. Dresden!), vormals Einar Wegener. Im Jahre 1931 erschien ihre Biographie "Ein Mensch wechselt sein Geschlecht: eine Lebensbeichte", welche auch in der damaligen Tagespresse sehr große Beachtung fand.
Aus dem Dunkel der Nazi-Zeit ist von Versuchen des berüchtigten dänischen Arztes Carl Peter Jensen (Tarnname Carl Vaernet) an homosexuellen KZ-Gefangenen bekannt. In einem Brief an seine NS-Auftraggeber schrieb dieser: "Die Versuche sollen auf breiter Basis feststellen, ob es durch Implantation einer künstlichen Sexualdrüse möglich ist, einen abnorm gerichteten Sexualtrieb zu normalisieren."
Im Jahre 1952 erfolgte dann die breit vermarktete Geschlechtsumwandlung der (wiederum) Dänin Christine Jörgensen, ehemals der GI George Jörgensen. Ab diesem Zeitpunkt bemächtigte sich die ärztliche Kunst des Geschlechtswandels und verhalf den Betroffenen zu chirurgischen und hormonellen Möglichkeiten, die bis dahin nicht für möglich gehalten worden waren. Nicht zuletzt durch die große Publizität in den Medien - Christine Jörgensen zeigte sich diesbezüglich sehr geschäftstüchtig - wurde so der Grundstein für eine überaus florierende ärztliche Umwandlungsindustrie gelegt. Christine Jörgensen (sie starb meines Wissens 1992) fand in der Engländerin Jan Morris (Conundrum, London 1974) eine würdige Nachfolgerin. Vor allem in den USA stieg man (Mann!) groß ein ("american dream" im Land der unbegrenzten Möglichkeiten) und Namen wie Harry Benjamin, John Money, Robert Stoller, G.W. und C.Socarides, John Hopkins Hospital in Baltimore, Mount-Sun-Rafael-Hospital in Trinidad (Colorado) mit dem Chirurgen Stanley Biber, usw., wurden zu Synonymen für die dort einsetzende, sprunghafte Entwicklung der transsexuellen Idee und deren (nahtlose?) Transformation: "Anything goes" war die schrankenlose Devise.
Für europäische Verhältnisse hatte über längere Zeit der Name Casablanca einen wahrlich magischen Klang, denn dort residierte über Jahre der legendäre Transsexer-Chirurg Charles Burou, der Erfinder des "Stülp" -, bzw. "Handschuh-Prinzips" bei der (chirurgischen) Umwandlung von Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Jan Morris` "Conundrum" verlieh dem Endziel "Casablanca" noch zusätzlichen Glanz - "alles wunderbar" wär die verklärte Aussage des Buches, das Wort Kastration findet sich nirgends.
Wie bereits erwähnt kam dann über Harry Benjamin, einen Bekannten Hirschfelds, der in seinem Werk "The transsexual phenomenon" (New York 1966) das Phänomen Transsexualismus im wissenschaftlichen Sinne beschrieb, die Transsexualitäts - Diskussion - sozusagen über den amerikanischen "Umweg" - nach dem zweiten Weltkrieg wieder zurück nach Deutschland bzw. Europa. Alsbald folgten die ersten transsexuellen Gesetzgebungen u.a. in Schweden (1972), DDR (1974), BRD (1981, mit "kleiner Lösung" (Vornamensänderung) sowie "großer Lösung" (Personenstands-änderung)), Italien (1982), Holland (1984), Luxemburg (1989) usw. als auch die Gründungen der verschiedensten Transsexuellen-Selbsthilfe-Organisationen, die zu einem erheblichen Imageverlust in der Öffentlichkeit letztendlich geführt haben ("nicht die Lösung des Problems, sondern das Problem selber"). Aus den USA kommen inzwischen immer kritischere Töne zu uns herüber, weg von der Chirurgie, hin zur Tradition ("Das Wandeln zwischen den Geschlechtern ist so alt wie die Menschheit ...)
Und wie wird es weitergehen?
Heutzutage erscheinen in der deutschen Presse solche lakonischen Berichte wie beispielsweise in der Bildzeitung vom 10.03.1993:
"Operation": ER wurde zur Frau, SIE zum Mann. Rollentausch unter dem Skalpell. Zwei Transsexuelle: Er (30) möchte zur Frau werden, sie (24) will Mann sein. Ein Medizinprofessor spielt Gott, operiert beide um. 19 Stunden im OP. Die Eierstöcke wurden ihm eingepflanzt, seine Hoden wurden ihr angenäht. Professor Xia Zhaoji: "Beide entwickeln sich ohne Sexualhormone normal (!). "
Und in der Hamburger Morgenpost vom 10.03.1993 hieß es
"Der "Es-Mann", so die Nachrichtenagentur Xinhua, habe ohne die Einnahme von Sexualhormonen weibliche Körperformen und ein sanftes Gemüt (!) entwickelt. Die frühere Frau bekam einen "kühnen Charakter" und einen Schnurrbart. Bei beiden Patienten wurde vor dem Eingriff schwerer Transsexualismus diagnostiziert." China ist ja weit weg...! Nicht so ganz weit weg, tönte es vor kurzer Zeit aus der Patriarchats-Hochburg des "stern" (13/93):
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