„Oh Mann.“ Er sah sich in der fensterlosen Gasse um. „Zeugen?“
„Bis jetzt hat sich niemand gemeldet.“
„Dann müssen wir nachher Klinken putzen gehen.“
„Die Gegend sieht nicht so aus, als wenn abends hier noch viel los wäre.“
„Wenigstens kommen wir so bei dem schönen Wetter auch mal raus. Und vielleicht hat doch jemand was gehört oder gesehen.“ Krüger sah zur Leiche hinüber und trat zwei Schritte näher, um einen genaueren Blick auf das Opfer zu werfen.
„He, Kommissar, zurück bitte!“, bellte Beckmann ihn sofort an.
„Was denn, hier ist doch nichts.“
„Das können Sie gar nicht beurteilen! Es ist unsere Aufgabe, Spuren zu sichern, und da hilft es nicht, wenn Sie überall herumtrampeln!“
„Jaja.“ Übertrieben vorsichtig machte er zwei Schritte rückwärts, dann wandte er sich an einen Streifenbeamten.
„Ein paar Häuser weiter ist eine Bäckerei, könnten Sie mir da einen Becher Kaffee besorgen? Schwarz?“, flüsterte er, allerdings nicht leise genug.
„Das müssen Sie nicht tun!“, rief Beckmann dem Polizisten zu. „Der Herr Kommissar hat gar kein Recht dazu, Sie zum Kaffeeholen zu schicken!“
„Kein Problem“, antwortete der Beamte grinsend, zwinkerte seinem Vorgesetzten zu und würdigte Beckmann keines Blickes.
„Vielen Dank. So wie ich unseren Kollegen von der SpuSi kenne, kann das nämlich noch Stunden dauern. Da muss man doch irgendwie wach bleiben.“
„Ich arbeite eben gründlich. Und Sie sollten vielleicht früher ins Bett gehen, dann sind Sie morgens auch früher frisch.“
„Ich muss bis spät in die Nacht Mörder fangen, ich habe da keine Zeit zum Schlafen.“
„Wenn Sie gründlicher arbeiten würden, könnten Sie Ihre Fälle auch schneller lösen, und um so mehr Zeit haben Sie für Ihre Nickerchen.“
„Die habe ich ja jetzt.“
„Sie irren sich, Kommissar, wie so oft.“ Beckmann ließ den Blick noch ein letztes Mal umherschweifen und zog seine Latexhandschuhe aus. „Wir sind fertig.“
„Na endlich. Dann können Sie mir vielleicht jetzt mal ein paar Details liefern.“ Er trat an den Tatort. Der Teint der Toten war bläulich-wächsern, die Kopfhaut eine mit dunklen Klecksen verzierte Glatze.
„Also, was ist hier passiert?“
„Wer weiß. Keine eindeutigen Spuren, abgesehen von der Leiche. Man hat ihr sämtliche Haare ausgerissen, mit Teilen der Kopfhaut. Hautabschürfungen an Armen und Beinen, offenbar Fesselspuren. Geldbörse und Schmuck sind noch vorhanden, also wohl kein Raub.“
„Todesursache?“
„Unbekannt.“
„Ersticken?“
„Hören Sie mir eigentlich zu? Todesursache unbekannt! Ich werde hier mit Sicherheit nichts sagen, worauf Sie mich später irgendwie festnageln können. Warten Sie auf die Gerichtsmedizin.“
„Jaja, schon gut. Aber die Frau ist blau wie ’n Schlumpf, was soll das denn anderes sein?“, murmelte er mehr zu sich selbst und sah sich weiter um. Sein Zeigefinger schoss vor. „Was ist das da?“
Eine schwarze Schnur verlief von irgendwo unter der Leiche zu einem kleinen weißen Häufchen ein paar Meter weiter, das Alex gerade mit seiner Schuhspitze anstupste.
„Das ist ihr Hund“, rief er herüber. „Und jetzt kommt’s: Dem hat man auch alle Haare ausgerissen. Zuerst dachte ich, es wäre einer von diesen Nackthunden, wie heißen die doch gleich? Diese kleinen Hunde ohne Fell?“
„Weiß ich nicht. Ist doch egal.“
„Ja, so kennen wir unseren Kommissar Krüger. Ein Musterbeispiel an Unwissenheit und Desinteresse“, mischte sich Beckmann ein.
„Ach ja? Was ist das dort am Schuh der Toten?“
„Ich tippe auf Hundescheiße, Herr Kommissar.“
„Ich denke, ich bekomme Fakten und keine Vermutungen von Ihnen? Ich will eine vollständige Analyse. Ich will wissen, von welchem Hund dieser Haufen stammt. Ich kann nämlich nicht glauben, dass der kleine Pinscher so einen Riesenberg produziert haben soll.“
„Der sieht bestimmt nur so klein aus, weil das Fell ab ist“, warf Alex ein und sah zwischen den beiden Männern hin und her, die sich wütend anfunkelten.
„Ich glaube nicht, dass das den Ermittlungen dienlich wäre, Herr Kommissar“, schnappte Beckmann.
„Das können Sie gar nicht beurteilen. Ich arbeite eben doch gründlich. Was, wenn der Mörder nun auch mit einem Hund unterwegs war und dieser Haufen uns auf seine Spur bringen könnte? Zeigen Sie mal ein wenig Phantasie, Beckmann.“ Er schob das mehr schlecht als recht rasierte Kinn vor, richtete sich zu seiner vollen Größe von einem Meter fünfundachtzig auf und bemühte sich, aus seinen blauen Augen einen eiskalten und harten Blick abzuschießen, musste dabei jedoch blinzeln, weil gerade in diesem Moment die Morgensonne über ein Hausdach trat und ihn blendete.
Wutschnaubend füllte der Spurensicherer mit einem winzigen Schäufelchen eine Probe in einen Plastikbeutel und stapfte davon.
„Du zeigst auf jeden Fall viel Phantasie“, lobte Alex.
„Klar. Wenn ich diesem Kerl eins auswischen kann, wachse ich über mich selbst hinaus.“ Sie grinsten sich an.
„Wie lange geht das eigentlich schon so mit euch?“
„Das klingt ja, als hätte ich eine Affäre mit dem Arschloch.“
„Es ist so eine Art Hassliebe, oder?“
„Das trifft es schon eher, ist aber nur halbwahr.“
„Und welche Hälfte davon ist wahr?“
„Die erste natürlich.“
„Dachte ich mir. Ich finde das jedenfalls toll, wie ihr euch immer anzickt.“
„Du findest das toll?“
„Ja, dagegen kommt mir meine Ehe fast normal vor.“
„Ich bin immer froh, wenn ich helfen kann.“ Krüger blickte auf die sterblichen Überreste zu seinen Füßen. „Hat die Tote einen Namen?“
„Und was für einen. Hildegard Waschinski, nein, Moment, ich hab’s mir aufgeschrieben. Hier ist es: Waszciewski.“ Er buchstabierte und Ferdinand seufzte.
„Es sollte verboten werden, Leute mit komplizierten Namen umzubringen.“
„Du sagst es.“
„Wir nennen sie ab jetzt nur noch Hildegard.“
„Oder vielleicht nur Hilde?“
„Ist okay für mich. Wissen wir, wo sie wohnt? Wohnte?“
„Jupp.“
„Dann warten wir jetzt noch kurz auf meinen Kaffee und machen uns auf den Weg.“
*
Die Durchsuchung der Wohnung brachte außer einer beunruhigenden Vorliebe des Opfers für lebensechte Kinderpuppen keinerlei Hinweise. Eine Befragung der Nachbarn über Hildes Leben skizzierte das Bild einer älteren, zurückgezogen lebenden Frau, deren soziale Kontakte sich auf gelegentliche Streitereien beschränkte. Sicher wurden irgendwo Leute wegen eines zu lauten Fernsehers ermordet, hier jedoch zweifelten die Ermittler an einem derartigen Motiv. Gewissenhaft notierten sie trotzdem alles, bevor sie ins Büro zurückkehrten. Der vorläufige Obduktionsbericht wartete bereits in Krügers E-Mail-Postfach. Er leitete ihn die drei Meter zu seinem Kollegen weiter, und gemeinsam gingen sie durch die Angaben, jeder an seinem Schreibtisch sitzend.
„Entfernung der Kopfhaare durch starken Zug.“
„Hautabschürfungen, hauptsächlich im Bereich der Hand- und Fußgelenke.“
„Zum Zeitpunkt dieser Verletzungen war sie noch am Leben.“
„Autsch. Und dann: Todeszeitpunkt vermutlich zwischen 23.30 Uhr und 1.30 Uhr. Todesursache: Einführung eines bislang unbekannten Objektes in den Hals des Opfers, was zum Erstickungstod führte.“
„Denkst du dasselbe wie ich?“
„Schwein.“
„Und das hier ist auch seltsam. Man hat in Hildes Hals und Lunge diverse Haare gefunden, und zwar offenbar nicht ihre eigenen. Zwar steht die Analyse noch aus, aber sie scheinen von verschiedenen Personen zu stammen.“
„Du meinst, eine Horde Zombies hat sie umgebracht?“
„Nein. Ich meine verschieden im Sinne von unterschiedlich .“
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