1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Er öffnete die Lider und sah nur das Weiße in Ingas verdrehten Augen, als ihm klarwurde, dass sie nicht mehr atmete. Gedanken an künstliche Beatmung und Herzmassage kamen ihm. Er musste sie retten!
Doch als er panisch aufspringen wollte, zog sich das, was er für Ingas Haare an seinem Hals gehalten hatte, zusammen. Etwas schlang sich blitzschnell um seine Hände, hielt ihn in festem Griff, und er kämpfte nun um sein eigenes Leben. Verzweifelt versuchte er, sich zu befreien, zu atmen, aber er schaffte beides nicht.
Das ist nicht fair , dachte er noch, dann verengte sich die Schlinge um seinen Nacken mit einem kräftigen Ruck und brach sein Genick.
*
Stunden später, in der beginnenden Morgendämmerung, lief ein Jogger mit seinem Hund durch den Park. In den taufeuchten Büschen abseits des Weges schien der Labrador etwas zu wittern und jagte darauf zu. Aufgeregt hechelnd verschwand er im Gestrüpp. Er hatte immer seinen Spaß daran, ein paar Karnickel über die Wiesen zu scheuchen. Heute schien ihm dieses Vergnügen jedoch verwehrt zu bleiben, denn kein kleines Fellbündel kam hakenschlagend aus den Büschen geschossen.
Nach ein paar Minuten geduldigen Hin-und-her-Trabens rief der Mann seinen Hund, bekam aber nur ein kurzes Bellen zur Antwort. Schließlich ging er nachsehen. Er fand ihn an den kahlen Köpfen zweier Leichen leckend und übergab sich. Da er zuvor lediglich ein kleines Frühstück zu sich genommen hatte, konnte er bereits kurz darauf die Polizei verständigen. Eine halbe Stunde später wimmelte es am Tatort von verschlafenen Beamten.
„Ein Serienkiller“, stellte Ferdinand fest.
„Ein durchgeknallter Serienkiller“, ergänzte Alex. „Ich meine, was soll denn das mit den Haaren? Das ist doch krank.“
„Einfach nur durch die Gegend laufen und Leute umbringen hältst du also für gesund?“
„Kommt auf die Leute an.“
Sie bogen vorsichtig ein paar Zweige zurück, um einen besseren Blick auf die Leichen zu werfen.
„Glaubst du im Ernst, diese Dini hätte das getan?“ Ferdinand nickte zu den Toten, neben denen zwei von Beckmanns Mitarbeitern in ihren weißen Tyvekanzügen den Boden absuchten.
„Hm? Ach, die Friseuse. Weiß nicht, ob sie dabei war, aber das sieht für mich fast nach mehreren Tätern aus. Der Junge wirkt ziemlich kräftig. Ein einzelner Mann hätte sicher Schwierigkeiten, die beiden zu überwältigen, ganz zu schweigen von einer einzelnen Frau. Es sei denn, sie wurden mit Waffengewalt gefügig gemacht, gefesselt und begannen erst, sich zu wehren, als ihnen klar wurde, dass man sie töten würde.“
„Wie die Leichen aufeinander liegen. Damit will uns der Täter doch irgendwas sagen.“
„Vielleicht ist er sexuell frustriert?“
„Wer weiß. Warten wir mal ab, ob das Mädchen vergewaltigt wurde.“
„Hilde ist auch nicht vergewaltigt worden.“
„Dazu hätte man auch extrem frustriert sein müssen.“
„Wir suchen also einen höchstens mäßig frustrierten Serienkiller, der einen Haarfetisch hat.“
Beckmanns Assistent kam heran, murmelte etwas hinter seinem Mundschutz und reichte Ferdinand zwei weinrote Dokumente, aufgeschlagen, in jeweils einem durchsichtigen Plastikbeutel. Der Kommissar warf einen Blick darauf, ignorierte das Alter der Opfer so gut es ging und stöhnte.
„Wir haben eine Gemeinsamkeit gefunden. Das Mädchen hatte die Reisepässe der beiden in der Handtasche. Sieh dir die Namen der Toten an.“ Er reichte Alex die Pässe. „Das kann man ja nun wirklich nicht mehr aussprechen.“
„Inga Mäntyluoto und Mika Uusikaarlepyy aus Ymana... Ymapu... Finnland.“
„Ein mäßig frustrierter Serienkiller mit Haarfetisch, der gezielt Leute mit komplizierten Nachnamen umbringt. Klasse. Das muss echt am Wetter liegen.“
„Deine Theorie, dass die Morde etwas mit den Namen der Opfer zu tun haben, klingt doch arg an den Haaren herbeigezogen.“
„Und deine Wortspiele sind haarsträubend.“
Alex sah auf die Uhr. „Wir sollten uns wieder auf den Weg machen. In einer Stunde kommt deine kleine Freundin zu Besuch, du möchtest doch bestimmt vorher noch das Büro aufräumen.“
„Langsam, langsam. Erstmal muss ich rausfinden, ob unsere Beziehung eine echte Chance hat oder ob ich sie nur auf ihren Freigängen sehen kann.“
„Gib’s doch zu, du willst sie festnehmen.“
„Auf jeden Fall lieber als sie verhaften.“
„Das kann dann ja notfalls ich machen.“
Sie traten beiseite, als die Leichen abtransportiert wurden. Ferdinand sah ihnen hinterher und scharrte mit den Füßen im Gras.
„Es wäre nicht schlecht, wenn wir ein paar Daten hätten, bevor wir die Kleine verhören. Beckmann sollte mittlerweile im Labor sein. Ruf ihn doch mal an und sag ihm, wir brauchen einen ersten Bericht in spätestens einer Stunde.“
„Warum sagst du ihm das nicht selbst?“
„Weil wir den Bericht in spätestens einer Stunde brauchen.“
*
Dini tat in der Nacht kaum ein Auge zu. Nach Feierabend war sie mit Tanja in ihrer Lieblingsbar gewesen, mit dem festen Vorsatz, sich zu betrinken. Unter Mordverdacht zu stehen, hatte sie für einen mehr als angemessenen Grund gehalten; obwohl der Bulle sie ja beruhigt hatte, das sei mehr oder weniger ein Scherz gewesen. Besonders feinfühlig schien er nicht zu sein, und was sollte das bedeuten: Mehr oder weniger? Es war alles so verwirrend. Dieser Kommissar schien ein harter Kerl zu sein, oder er spielte es verdammt gut. Sie würde aufpassen müssen, was sie sagte. Ihre große Klappe hatte sie schon des Öfteren in Schwierigkeiten gebracht.
Das war dann auch der Grund gewesen, sich bei den Drinks letztlich doch zurückzuhalten. Bevor sie sich am nächsten Tag unter Restalkoholeinfluss noch tiefer in die Scheiße reiten würde, hatte sie sich von Tanja nach Hause bringen lassen und war zu Bett gegangen.
Nach einigen schlaflosen Stunden biss sie fluchend ins Kopfkissen. Draußen war es bereits unangenehm hell. Hätte sie doch bloß ein paar Cocktails mehr getrunken, dann würde ihr das Einschlafen leichter fallen!
Am Morgen befand sie sich dementsprechend in einem seltsamen Zustand von nervöser Müdigkeit oder auch müder Nervosität. Mehrmals wechselte sie die Kleidung und fragte den Spiegel um Rat. Sollte sie wirklich in den üblichen aufreizenden Klamotten bei der Polizei erscheinen? Irgendwie schien ihr das unpassend. Andererseits hatte der Bulle, Krüger hieß er, sie im Friseursalon gesehen. Wenn sie sich jetzt betont unauffällig kleiden würde, könnte er denken, sie verstellte sich absichtlich, um unschuldig zu wirken. Das wäre doch erst recht verdächtig, oder? Sie hatte keine Ahnung, wie man sich als Mordverdächtige korrekt verhielt. In keiner ihrer Frauenzeitschriften hatte sie jemals etwas darüber gelesen.
Schließlich zog sie sich an wie sonst auch: eine enge Jeans, ein gerade so bauchbedeckendes Top, Turnschuhe. Ihre blonden Locken band sie zu einem Pferdeschwanz, um wenigstens ein klein wenig züchtiger zu erscheinen. Mit einem Seufzen betrachtete sie sich ein letztes Mal. Dann sah sie auf die Uhr, stellte fest, dass sie schon viel zu spät dran war, und rannte aus der Wohnung.
Als sie auf dem Revier ankam, blieb ihr noch ein Moment Zeit, wieder zu Atem zu kommen, bevor man sie in das Büro des Kommissars führte. Mit einer Art Lächeln wies er ihr einen Stuhl vor seinem Schreibtisch zu.
„Nehmen Sie Platz, Fräulein Leuwarden.“
Beinahe hätte sie protestiert und auf der Anrede „Frau“ bestanden, immerhin war sie schon 23 und kein Schulmädchen mehr. Wortlos setzte sie sich. Krüger schien immer noch an seinem Lächeln zu arbeiten, bis er es schließlich aufgab. Sein Kollege, der neben dem Schreibtisch an der Wand lehnte, grinste sowieso für zwei. Sie fragte sich, warum sich der Typ so amüsierte, und funkelte ihn wütend an. Zumindest versuchte sie es; ihre Augen fühlten sich entsetzlich müde. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie in der Eile ganz vergessen hatte, sich zu schminken. Und gerade heute hätte sie es wahrscheinlich nötig gehabt. Sie bemühte sich, nicht vor Peinlichkeit zu erröten, obwohl das vielleicht den Mangel an Rouge wettgemacht hätte.
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