„Klar.“ Sein Lächeln war dünn und konzentriert. „Wer geht zuerst rein?“
„Na, wer schon? Du bist doch verheiratet.“
„Ach, und du meinst, deshalb stürze ich mich gern in den Tod?“
„Nein, damit wollte ich eigentlich sagen, dass ich zuerst reingehe.“
„Super, offenbar hat meine Ehe auch Vorteile. Na dann. So wie im Training?“
„Nicht anders.“
Krüger setzte sich in Bewegung. Alex hielt sich rechts von ihm. Bedächtig näherten sie sich der rostigen Stahltür mit abblätternder Farbe, die trotz oder gerade wegen der sonnigen Parklandschaft ringsherum einen bedrohlichen Eindruck machte.
*
Ein Polizeiwagen näherte sich von hinten und teilte den Verkehr wie Moses das Rote Meer. Peter Schoh lenkte seinen Wagen vorschriftsmäßig an die rechte Seite, lauschte missmutig dem Näherkommen der Sirene und fragte sich, warum es kein Gesetz dagegen gab, jemandem das Herz zu brechen. Er drehte den Rückspiegel so, dass er sich betrachten konnte.
Sein Besuch beim Friseur war nur von kurzem Erfolg gewesen, bereits am nächsten Morgen hatten seine Haare wieder die ursprüngliche Länge erreicht. Vielleicht hatte der alte Inder deshalb davor gewarnt. Weil er sich finanziell ruinieren könnte, bei dem sinnlosen Versuch, seine Haarlänge zu ändern. Von Carola hatte er nichts weiter gehört. Auf ein paar unbeantwortete Kurznachrichten folgte letztendlich Resignation. In den Monaten seit ihrer Trennung hatte er so viele verzweifelte Versuche unternommen, sie zurückzugewinnen, dass er nun, nach diesem letzten fatalen Schlag, keine Hoffnung mehr hegte.
Obwohl sie wieder miteinander geschlafen hatten.
Obwohl sie mit ihrem verfluchten Fitnessfreak Schluss gemacht hatte.
Diese beiden Gedanken hatten ihm lange keine Ruhe gelassen. Vielleicht hatte sie sich doch wieder mit diesem Christian versöhnt? Durfte der jetzt dauerhaft dieses Glücksgefühl verspüren, das Peter durchströmt hatte, als er in dieser schicksalsschweren Nacht wieder neben Carola lag? Vorsichtshalber hatte er bei Carolas Fitnesscenter angerufen, Christians Nachnamen in Erfahrung gebracht und im Telefonbuch gefunden. In der Nacht war er zu der angegebenen Adresse gefahren, um seinem Rivalen ein paar aufgesammelte Hundehaufen in den Briefkasten zu stecken. Danach hatte er sich tatsächlich etwas besser gefühlt.
Der Polizeiwagen passierte ihn, der Klang der Sirene wurde tiefer; ein heulender Blues, der schnell im geschäftigen Treiben der Stadt unterging.
Peter reihte sich wieder in den Verkehr ein.
*
Alex kniete auf dem Rasen, die Waffe auf die Tür gerichtet. Krüger stand mit dem Rücken an der Wand. Mit ausgestrecktem Arm drehte er den Schlüssel im Schloss und riss die Tür auf, gleichzeitig einen großen Schritt weiter zur Seite tretend. Die stählerne Tür flog auf und schlug hart gegen die Betonwand. Mit klopfendem Herzen presste er seinen Rücken an das Gebäude und sah zu Alex, der das Innere jetzt gut im Blick hatte.
Sein Kollege nickte nur kurz, was bedeutete, dass er keine Gefahrenquelle ausmachen konnte. Krüger entfernte sich langsam von der Wand, die Pistole stets seinen Augen folgend auf die Türöffnung gerichtet. Er sah eine staubige Ecke, dann das Kontrollpult. Er vergrößerte den Winkel, bis er die hintere Wand sehen konnte. Ohne den Blick abzuwenden, nahm er die linke Hand von der Waffe und gab Alex ein Zeichen. Sein Kollege näherte sich, wobei er mehr und mehr von der Seite des Raumes einsehen konnte, die Krüger nicht im Blick hatte, bis er direkt neben der Tür an der Wand stand.
Im selben Moment, als Krüger sich Bewegung setzte, hob Alex die Waffe weit genug, dass er ins Gebäude schlüpfen konnte, ohne ihm vor die Mündung zu geraten. Mit zwei schnellen Schritten und noch schnelleren Kopfbewegungen stand er mitten im Raum. Die Pistole hielt er auf die von einem Metallgeländer umgebene Öffnung im Boden gerichtet, die an der hinteren Wand in den Keller führte. Hinter sich hörte er ein leises Schaben, als Alex ebenfalls hereinkam, und dann ein lautes metallisches Klacken. Offenbar hatte sich sein Kollege versichert, dass sich niemand in dem Putzspind neben der Eingangstür verbarg.
Nur einen Moment später tauchte Alex neben ihm auf und richtete seine Waffe ebenfalls auf die Treppe. Gemeinsam traten sie näher und sahen in die Tiefe. Es war nicht vollkommen dunkel dort unten, aber das kleine Kellerfenster reichte bei weitem nicht aus, um den Raum angemessen zu beleuchten. Immer noch in den Keller zielend, drückte er mit der anderen Hand den Lichtschalter an der Wand. Neonröhren erwachten in der Tiefe flackernd zum Leben. Er sah den Fuß der Treppe, den Betonboden, das Treppengeländer und den Rand eines großen Rohres.
Treppenstufen hinabzusteigen war unter solchen Umständen immer eine heikle Angelegenheit; bei normaler Haltung kam der gesamte Körper ins Schussfeld eines potentiellen Angreifers, bevor man selbst ausreichend Überblick hatte. Einen Moment lang überlegte er, die sichere Variante zu wählen: sich auf den Boden zu legen und die ersten Stufen mit Kopf und Waffe voran hinabzugleiten, bis er den Raum übersehen konnte und damit seinem Kollegen Deckung zu geben. Krüger entschied sich jedoch, seine Beine für einige Sekundenbruchteile zu riskieren. Ihr Verdächtiger hatte bislang keine Schusswaffen benutzt und schien eher auf Nahkampf spezialisiert. Das würde sich hoffentlich nicht ausgerechnet jetzt ändern.
In arg gebückter Haltung, die freie Hand am Geländer, sprang er mehrere Stufen hinab in die Tiefe.
Der Keller war wesentlich größer als der Raum darüber, und die Leiche des Obdachlosen lag ziemlich genau in der Mitte. Auf beiden Seiten kam jeweils ein halbes Dutzend großer Rohre kurz unterhalb der Decke aus der Wand, bog nach unten ab und verschwand im Boden. Ein Übelkeit erregender Gestank stach ihm in die Nase. Durch den Mund atmend, nahm er die Hand vom Geländer und drückte sich an die Wand, während er die Treppe weiter hinabstieg. Die Zwischenräume der senkrechten Rohrsegmente boten die einzigen möglichen Verstecke, und da Krüger seine Waffe nicht auf alle gleichzeitig richten konnte, zielte er in die Mitte des Raumes. Gleichzeitig veränderte sich sein Blick; er war nun nicht mehr fixiert. Manche nannten es den Tausend-Meter-Blick. Bewusst eingesetzt ermöglichte er eine Maximierung des Gesichtsfeldes, und Krüger behielt ihn bei, bis sein Kollege wenige Augenblicke später neben ihm stand.
Sie brauchten kein Wort zu sagen, um zu wissen, was sie als Nächstes zu tun hatten. Der Killer musste sich zwischen zweien der knapp meterdicken Rohre verbergen. Krüger richtete seine Pistole auf die Reihe an der linken Wand, Alex übernahm die rechte. Fast Rücken an Rücken gingen sie bedächtig vorwärts. In der Mitte des Raumes stiegen sie vorsichtig über den Toten, ohne den Blick länger als den Bruchteil einer Sekunde von den verbleibenden Rohren zu nehmen. Mit jedem Schritt stieg die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen plötzlich dem Mörder in die Augen sah, der jederzeit aus seinem Versteck hervorspringen konnte. Sie kamen dem Ende des Raumes immer näher. Dann, plötzlich, waren sie dort.
Hörbar stießen sie den angehaltenen Atem aus. Der Raum war leer. Abgesehen von ihnen, dem toten Stadtstreicher und einer Plastiktüte voller angebrochener Flaschen hinter einem der Rohre. In einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung ließen sie die Waffen sinken.
„Scheiße“, sagte Alex, „das war ja ein Reinfall. Und wie das stinkt!“ Er wedelte mit der Hand vor dem Gesicht und gönnte sich tränende Augen.
Sie betrachteten die Leiche. Ursache des Gestanks schien ein großer dunkler Fleck im Schritt des Mannes zu sein. Den Winkeln der Gliedmaßen nach zu urteilen, war mindestens ein Arm gebrochen. Und selbstverständlich fehlten die Haare. Allerdings war am Kopf weniger Gewalteinwirkung zu erkennen als bei den vorigen Opfern. Das, was zunächst nach Hämatomen aussah, entpuppte sich bei näherem Hinsehen größtenteils als Schmutzflecken, darunter schwarze Schmiere, die sich auch an einigen Fingern fand. Vermutlich von den Rohren, an denen er heruntergeklettert ist , dachte Krüger.
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