„Ich befrag doch nur die Angestellten, die gestern Abend Dienst hatten. Unter Umständen haben die gesehen, dass einer den jungen Finnen gefolgt ist. Vielleicht erinnert sich jemand an die beiden Turteltäubchen und einen Pelzmantel tragenden Indianer auf dem Kriegspfad.“
*
Ferdinand hatte gehofft, in Ruhe mit Dini reden zu können, doch der Laden war gerammelt voll. Er entschied sich für eine unauffälligere Variante der Befragung. Sein Polizeiausweis verschaffte ihm eine Vorzugsbehandlung, und schon wenige Minuten später saß er in einem Frisierstuhl. Ihr neuer Kunde schien Dini Unbehagen zu bereiten. Mit fahrigen Händen befestigte sie den Umhang an seinem Hals. Er sah ihr im Spiegel dabei zu.
„Ganz ruhig, Frau Leuwarden, ich möchte mir nur die Haare schneiden lassen und Ihnen dabei noch ein paar Fragen stellen. Sozusagen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“ Er hoffte, dass seine beruhigenden Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Eitelkeit konnte man ihm wirklich nicht vorwerfen, aber eine Friseurin mit zitternden Fingern erregte dann doch seine Besorgnis.
„Und Sie verhaften mich nicht, wenn Ihnen der Haarschnitt nicht gefällt?“
„Ganz sicher nicht.“
„Okay. Wie hätten Sie’s denn gerne?“
„Das ist mir eigentlich egal. Naja, bitte nichts allzu Ausgefallenes, kein Irokesenschnitt oder blaue Haare oder so was. Ich hätte gerne einen Haarschnitt, mit dem ich auf Frauen unwiderstehlich wirke.“ Es war ein entsetzlicher Spruch, und einer, den sie mit Sicherheit häufig hörte, aber das würde sie vielleicht entspannen. Eine gewohnte Situation schaffen. Vorsichtshalber warf er ihr im Spiegel einen Blick zu, den sie mit Sicherheit auch häufig sah, zumindest von ihrer männlichen Kundschaft.
Sie musste tatsächlich lächeln. „Ich werde mir Mühe geben.“ Sie warf einen prüfenden Blick auf seine Frisur und wuselte sanft mit ihren Fingern durch die Haare. Gänsehaut breitete sich auf seinem Unterarm aus, und er war dankbar für den Umhang, der dies vor ihr verbarg.
„Wissen Sie, ich persönlich glaube nicht, dass Sie etwas mit der ganzen Sache zu tun haben. Sonst würde ich Ihnen wohl nicht den Rücken zudrehen, während Sie hinter mir mit scharfen Gegenständen hantieren.“ Apropos scharf, dachte er und mahnte sich sofort darauf zur Konzentration.
„Das ist nett. Ich bin auch vollkommen ungefährlich.“
Er unterließ es, ihr zu widersprechen. „Ganz schön viel los hier.“
„Oh ja. Seit dem Mord können wir uns vor Kunden kaum noch retten. Eigentlich wollen die Leute nur darüber reden. Die Zeitungen liefern zu wenig grausige Details. Es war nur von einer verstümmelten Leiche die Rede, und jetzt wird spekuliert, wie genau sie verstümmelt wurde. Als sich dann noch herumsprach, dass es sich um eine Kundin handelt … Nicht sehr angenehm, sich das den ganzen Tag anzuhören und darüber ausgefragt zu werden.“
„Tut mir leid, dass ich in dieselbe Kerbe schlagen muss. Ach ja, wäre nett, wenn Sie morgen noch mal bei uns vorbeischauen würden. Wir hätten gern noch Fingerabdrücke und eine Haarprobe von Ihnen.“
„Jetzt also doch! Ich hatte schon gehofft, Sie hätten endlich Vernunft angenommen und verdächtigten mich nicht mehr. Wegen der Fingerabdrücke waren übrigens heute Morgen schon Kollegen von Ihnen hier und haben uns alle erkennungsdienstlich behandelt, so hieß das, glaube ich. Das ist also eigentlich nicht mehr nötig.“
„Vielleicht möchte ich Sie ja einfach nur wiedersehen.“
„Das könnten Sie auch einfacher haben.“
Er wusste zwar, dass er wieder vom vorgesehenen Weg abkam, aber die Richtung gefiel ihm viel zu sehr. „So? Wie denn, zum Beispiel?“
Sie lächelte, blickte aber weiterhin auf seinen Hinterkopf, an dem sie gerade herumschnippelte. „Na, Sie kommen hierher, in den Laden.“
„Soll ich mir etwa zweimal die Woche die Haare schneiden lassen?“
„Wir bieten auch Rasuren an, so könnten Sie mich jeden Morgen sehen.“
„Sie sind sehr geschäftstüchtig.“
„Es sind harte Zeiten.“
„Das ist wahr.“
„Herr Kommissar?“
„Ja?“
„Was genau machen Sie da unter Ihrem Umhang?“
„Ich suche nur was.“
„Das sagen sie alle.“
Er nestelte das Foto hervor und hielt es ihr hin. „Kennen Sie diesen Sack?“, fragte er in ernstem Tonfall.
Sie musste grinsen. „Ja, den Sack kenn ich. In solchen Säcken sammeln wir die abgeschnittenen Haare und dann werfen wir sie in die Container beim Hinterausgang. Sagten Sie deshalb, dass Haare etwas mit dem Fall zu tun haben? Hat der Mörder die Haare aus dem Sack mitgehen lassen?“
„Kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Brauchen Sie auch nicht. Das Bild sagt mehr als tausend Worte.“
„Bringt immer dieselbe Person die Säcke zum Müll oder wechseln Sie sich ab?“
„Wir fegen die Haare in diese Öffnung dort drüben. Das ist so was wie ein Staubsauger, der die Haare in einen Behälter im Keller saugt. Wer immer merkt, dass der Müllsack fast voll ist, wechselt ihn aus und bringt ihn raus.“
„Hat hier schon mal jemand nach abgeschnittenen Haaren gefragt?“
„So was wie ein Haarfetischist? Nicht dass ich wüsste. Ich frage mal meine Kolleginnen.“
Er nutzte die Gelegenheit, ungeniert auf das Spiegelbild ihres Hinterns zu starren. Ein Charakterpo. Sie schien eine sehr nette Person zu sein, aber der Eindruck konnte natürlich täuschen. Was, wenn sie doch mehr wusste, als sie zugab? War es nicht seine Pflicht, sie so genau wie möglich unter die Lupe zu nehmen?
Nach einer Minute kam sie zurück und schüttelte den Kopf. „Ist noch nicht vorgekommen.“
„Ich würde mir gerne mal Ihre Wohnung ansehen.“
„Sie glauben gar nicht, wie oft ich das höre.“
„Ich kann’s mir denken. Aber abgesehen von meiner persönlichen Einschätzung sind Sie nach wie vor verdächtig. Schließlich hatten Sie mit dem Opfer kurz vor dem Mord einen Streit.“
„Sie haben noch keinen Streit mit mir gehabt. Das sieht dann aber anders aus.“
„Da schätze ich mich glücklich.“
„Können Sie auch. Sie war eine nervige Kundin, mehr nicht. Wieso wollen Sie in meine Wohnung?“
Ferdinand verwarf die ersten drei Gründe, die ihm in den Sinn kamen, da sie nichts mit dem Fall zu tun hatten. „Um sicherzugehen, dass sie nicht voller abgeschnittener Haare ist.“
„Brauchen Sie dazu nicht einen Durchsuchungsbefehl?“
„Nicht, wenn Sie mich freiwillig reinlassen.“
„Das ist ja wie bei Vampiren.“
„Ich beiße aber nicht. Und wie Sie sehen, habe ich ein Spiegelbild.“
„Sogar eines mit einem unwiderstehlichen Haarschnitt. Fertig. Wie finden Sie’s?“
„Sehr schön.“ Nachdem sie ihm den Umhang abgenommen hatte, stand er auf und reichte ihr seine Visitenkarte. „Falls Ihnen noch was einfällt, oder Sie mich sprechen wollen: Hier haben Sie meine Telefonnummern. Unter der zweiten können Sie mich Tag und Nacht erreichen.“
Er sah ihr fest in die Augen. Der suggestive Tonfall war nun wirklich nicht zu überhören gewesen. Sie sah von ihm auf die Karte in ihrer Hand und dann daran vorbei auf den Boden. Sie lächelte, und wenn ihn nicht alles täuschte, röteten sich ihre Wangen ein wenig. Schließlich richtete sie einen herausfordernden Blick auf ihn.
„Wie alt sind Sie eigentlich, Herr Kommissar?“
Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. „Alt genug, um zu wissen, dass jeder Mensch eine männliche und eine weibliche Seite hat. Und meine weibliche Seite ist zutiefst empört, dass Sie eine Dame nach dem Alter fragen.“
„Steht Ihre männliche Seite etwa unter dem Pantoffel Ihrer weiblichen Seite?“, grinste sie.
„Nein. Aber wenn ich meine weibliche Seite ignoriere, zickt sie die nächsten Tage extrem rum. Und ich kann ja schlecht vor ihr weglaufen.“
Читать дальше