Saven van Dorf - Skalpjäger

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Ein Mann mit Haarausfall, der seine Frau zurückgewinnen will und dadurch eine Kette mörderischer Ereignisse in Gang setzt. Eine Friseurin, die sich unversehens als Tatverdächtige und Geliebte des Ermittlers wiederfindet. Zwei lässige Kommissare, die erst spät begreifen, dass sie die eigentlichen Skalpjäger sind. Ein Spurensicherer, der nicht nur an der Flapsigkeit seiner Kollegen, sondern auch an der Spurlosigkeit des Täters verzweifelt.
Als die Situation eskaliert und Politiker und Militärs den nationalen Notstand ausrufen, liegt es an dieser Handvoll Menschen, dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Werden sie rechtzeitig einen Weg finden, die Bestie zu töten, die im Herzen der Stadt herangewachsen ist?

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Saven van Dorf

Skalpjäger

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EPILOG

Impressum neobooks

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„Wichtigste sein: Niemals gehen zu Frisur.“

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Peter Schoh in das Gesicht des alten Inders. Im flackernden Schein der antiken Funzel zwischen ihnen verwandelten sich dessen Falten in winzige schwarze Schlangen, die sich gegenseitig auffraßen. Mehrere Sekunden lang war nur das unablässige Mahlen der Klimaanlage zu hören, die draußen warme Sommerluft einfing, alles Leben aus ihr herausquetschte und hier im Innern nur die erkaltete Leiche zu Boden gleiten ließ.

Er fröstelte beim Gedanken an eine Grabkammer, dann half ihm sein nervöser Seitenblick auf ein paar Konserven in den Regalen zurück in die Realität. Schließlich verstand er.

„Friseur“, verbesserte er. „Ich soll niemals zum Friseur gehen. Das meinen Sie doch, oder?“ Ihm wurde die Tragweite des Gesagten bewusst. „Warum nicht, um Himmels willen? Soll ich das etwa selbst machen? Wenn ich endlich wieder Haare habe, will ich damit auch herumspielen, verschiedene Schnitte ausprobieren und so."

„Nein! Nein, nein, nein! Nicht Spiel! Nicht Spielsache, das ich Ihnen geben!“ Die im Schneidersitz auf einem Karton thronende Gestalt lehnte sich nach vorne. „Müssen gut hören: Niemals schneiden Haare. Müssen schwören. Wenn nicht schwören, ich nicht geben.“

„Bitte? Sehen Sie sich das doch mal an“, sagte Peter und deutete auf seinen Kopf. Er hielt ihn gesenkt und beugte sich vor, damit der Inder im trüben Licht der Petroleumlampe auch wirklich begriff, was er meinte. Außer seinem nach wie vor dichten Haarkranz war ihm von der alten Haarpracht nicht viel geblieben. Nur eine Handvoll dünner Haare genau in der Mitte seines Kopfes bildete eine stoppelige Insel. Einmal pro Woche stutze er all diese Reste auf ein erträgliches Maß von wenigen Millimetern. „Können Sie sich vorstellen, wie unglaublich dämlich es aussieht, wenn ich das lang wachsen lasse?“

„Das dämlich“, stimmte der Inder zu und zeigte ebenfalls auf Peters Kopf. „Aber nicht so bleiben. Neue Haare kommen. Und Haare wissen, wie lang sollen werden. Nicht müssen schneiden.“ Er sprach leiser. Dunkle Wolken zogen in seiner Stimme auf. „Müssen schwören: Niemals schneiden Haare.“

Zweifelnd blickte Peter erst ins Gesicht des Inders und dann auf die Flasche, die vor ihm auf dem kleinen Tisch stand. Nicht größer als ein Parfumflakon, braun, bauchig, mit einem Korken verschlossen. Ein Etikett fehlte. Der Alte bereitete diese Mittelchen angeblich selbst zu. Er sei ein uralter indischer Zaubermeister oder etwas ähnlich Obskures; zumindest hatte das der Typ aus der Pokerrunde behauptet. Aber nach allem, was Peter schon probiert hatte, war er an einem Punkt angelangt, an dem er auch auf eine Zeitungsanzeige „Der große Zampano heilt Haarausfall durch magisches Handauflegen“ geantwortet hätte.

Carola. Seine Carola mit ihrem süßen Lächeln, ihren großen, dunklen Augen und – natürlich – ihrem vollen, braunen Haar. Seine schlanke, überaus sportliche Carola, die es jetzt vermutlich gerade wieder mit ihrem Fitnesstrainer trieb, für den sie ihn verlassen hatte. Ein wütender Atemstoß dampfte in der kühlen Luft des Lagerraumes. Seine Hose beulte sich aus. Nicht vor lustvoller Erregung, wie es früher oft der Fall gewesen war, wenn er an seine Frau dachte. Jetzt waren es seine Hände, die sich in den Hosentaschen zu Fäusten ballten.

„Also gut. Sollte Ihr Zaubermittelchen tatsächlich wirken und mir wieder Haare wachsen, werde ich nicht zum Friseur gehen.“

„Müssen schwören“, beharrte der Inder. „Müssen schwören: Niemals schneiden Haare.“

„Ich schwören, niemals schneiden Haare.“

Der Inder sah ihn prüfend an. Peter erwiderte den Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Auch wenn ihm die Situation im Grunde lächerlich vorkam, der Gedanke an Carola hatte ihm jedes spöttische Lächeln aus dem Gesicht getrieben. Ernst hielt er der Musterung des alten Mannes stand, bis dieser zufrieden zu sein schien.

„Dann gehören dir“, sagte der Inder und nahm den Umschlag entgegen, den Peter ihm reichte. Statt hineinzusehen und das Geld nachzuzählen, hob er nochmals seinen dunklen, mahnenden Zeigefinger. „Benutzen alles auf einmal, dürfen kein Tropfen in Flasche bleiben. Alles auf Kopf, werden sehen. Wünschen Glück.“

Mit diesen Worten erhob sich der Alte, verbeugte sich lächelnd und deutete leicht auf die Tür. Froh, erfolgreich in die schützende Wärme des Vorsommerabends zurückkehren zu können, ließ Peter das Fläschchen vorsichtig in seine Jackentasche gleiten und verließ den kleinen Laden.

Nachdem sein Besucher gegangen war, löschte der Schamane die verbeulte Petroleumlampe und betätigte den Lichtschalter an der Wand. Flackernd erwachten die Neonröhren zum Leben und verströmten lebloses Kunstlicht über die Kisten und Kartons. Er hätte den Handel auch unter dieser Beleuchtung vornehmen können, aber das war nicht, was die Leute erwarteten. Die meisten wussten genau, dass die Erfüllung ihrer Wünsche nicht mit normalen Mitteln zu bewerkstelligen war, denn in den sonnigen Höhen der Wissenschaft suchten sie als Erstes ihre Antworten. Und wenn sie dann enttäuscht ins Zwielicht herabstiegen und zu ihm kamen, schuf er das passende Ambiente – soweit der Lagerraum des Lebensmittelladens seines Cousins dies zuließ. Er schämte sich nicht für dieses Theater. Es war eine gute Sache, es stärkte den Glauben der Leute. Es machte vielen auch ein wenig Angst, und das war nötig.

Denn sie alle bekamen mehr als sie wollten.

*

Zuhause begab sich Peter sofort ins Badezimmer. Er verspürte dieselbe hoffnungsvolle Ungeduld wie jedes Mal, wenn er ein neues, erfolgversprechendes Mittel in Händen hielt. In seinem Spiegelschrank stapelten sich Dutzende von kleinen Fläschchen, Ampullen und Dosen, gefüllt mit Flüssigkeiten, Cremes, Sprays, Gels, Pulvern, Tabletten. Auf dem Rand seiner Badewanne standen Shampoos, Spülungen, Haarkuren und ein paar von ihm selbst befüllte Gefäße. Wann immer er hörte, etwas sei „gut für die Haare“, testete er es sofort. Bier, Joghurt, Senf-Essig-Gemische, Cola, alle möglichen Fruchtsäfte und Teesorten. Sogar kalten Kaffee hatte er sich in die Kopfhaut massiert, in dem Glauben, das Koffein könnte die Haarwurzeln zu neuem Wuchs motivieren.

Alles umsonst , dachte er. Nein, nicht umsonst. Vergebens, ja, aber ganz gewiss nicht umsonst.

Er weigerte sich nachzurechnen, was er bisher für all seine Mittelchen ausgegeben hatte und weiterhin ausgab. Rogain, Mitrodextrin, Propecia, Dutasterid. Für das ganze Geld hätte er sich längst eine Haartransplantation leisten können, doch dafür war der Kahlschlag schon viel zu fortgeschritten.

Hoffnungslos.

Beinahe hoffnungslos.

Er seufzte und betrachtete die kleine Flasche, die warm und schwer in seiner Hand lag. 500 Euro hatte er dem Inder bezahlt. Es gab allerdings eine Geld-zurück-Garantie für den Fall, dass das Mittel nicht wirkte. Sofern er den alten Kerl richtig verstanden hatte.

Er versuchte, im Gegenlicht der Badezimmerlampe die Flüssigkeit im Innern zu erkennen, doch das dunkle Glas ließ dies nicht zu. An einer Seite erkannte er leichte Kratzer; vielleicht handelte es sich um eine eingeritzte Aufschrift in den seltsamen Schnörkeln, die man seines Wissens in Indien benutzte. Vorsichtig rüttelte er am winzigen Korken und zog ihn heraus, bemüht, keinen Tropfen des teuren Wundermittels zu verschütten, und roch am Flaschenhals. Ein scharfer, aber nicht unangenehmer Geruch strömte ihm in die Nase. Erinnerte an … Essen. Hoffentlich war ihm nicht versehentlich – oder absichtlich – eine Flasche Currysoße angedreht worden. Die hatte er nämlich vor ein paar Monaten schon einmal erfolglos ausprobiert.

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