1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 »So? Was denn? Habt Ihr einen Fehler auf dem Gemälde erkannt?«, fragte die Präfektin.
»Ich meine nicht das Bild selbst. Warum ausgerechnet der Dunkelträumer? Es gab auch noch andere Wesen, die geblieben sind. Warum sind diese nicht auch verbannt worden? Was machte den Dunkelträumer so gefährlich, wo doch schon alles vernichtet und Ilbétha verstorben war, wie Ihr sagtet? Welche Macht hätte er als einzig übriggebliebener Uwor noch entfalten können?« Antilius machte eine Pause, bevor er die letzte abschließende Frage stellte: »Was unterscheidet den Dunkelträumer von den anderen Wesen, die über unsere Welt herfielen?«
»Wie schon gesagt, stammt das meiste Wissen, über das wir heute verfügen, nur aus fragmentarischen Überlieferungen«, sagte die Präfektin resigniert. »Und deshalb habe ich auch nicht auf jede Frage und jede Ungereimtheit eine Antwort.
Aber ich glaube, dass die Verbannung des Dunkelträumers eine Konsequenz eines Plans war, den unsere Vorfahren nach dem Krieg in die Tat umsetzten.
Es war der sogenannte Obliviscimus-Plan.«
»Ein 'Wir-vergessen-Plan?«, übersetzte Pais.
»Ja, so könnte man es auch bezeichnen. Die Zerstörung auf Thalantia und das Entsetzen darüber waren so groß, dass man beschloss, alles, was an diese schreckliche Zeit erinnern könnte, zu vernichten, soweit dies möglich war. Die Überlebenden aller Völker schworen sich, ihren Kindern und Kindeskindern niemals etwas über Ilbétha, die fremden Invasoren und den Krieg zu erzählen. Niemals sollte etwas an diese Zeit erinnern können. Die Furcht, dass die Invasoren noch einmal zurückkehren und unsere Welt unterjochen würden, war so groß, dass man jedwede Verbindung zu den Ereignissen von damals kappte. Sogar die damals gesprochene Sprache wurde aufgegeben und durch eine neue ersetzt. Denn Ihr müsst verstehen: Man wusste nicht, warum Ilbétha ausgerechnet auf Thalantia gestrandet war. Und wir wissen es bis heute nicht. Dennoch wurde lange nach einer plausiblen Erklärung gesucht. Man kam zu dem Glauben, dass unsere Welt eine Art spirituelles Zentrum unseres Universums sei, das bei anderen Wesen Begehrlichkeiten weckte.
Deshalb sollte es nichts mehr geben, das Fremde auf Thalantia und seine Verlockungen, gleich welcher Art sie auch sein mochten, aufmerksam machte.
Der Obliviscimus-Plan bedeutete aber auch, dass man die technischen Errungenschaften jener Zeit aufgab und wieder ein konventionelles Leben begann. Ohne Maschinen. Nur ein paar Dinge blieben bis heute bestehen. So wie die Einschienen-Bahn. Es gab damals nicht genügend Arbeitskräfte, die sie hätten demontieren können. Und so wurde sie eine ganze Zeitlang vergessen und blieb unbeachtet in den Wäldern. Ein paar Jahrhunderte später entdeckte man sie wieder und rätselte über ihre Herkunft. Aber es gab niemanden mehr, der die Technik dahinter verstand. Und das Interesse, diese Technik zu erlernen, war durch die neue Lebensphilosophie, die im Fortschritt mehr Gefahren als Vorteile sah, auf Thalantia kaum vorhanden.«
»Es ist nachvollziehbar, dass unsere Vorfahren damals so gehandelt haben«, sagte Pais anerkennend. »Es hat ja immerhin rund ein Jahrtausend lang funktioniert. Auch wenn diese Vorgehensweise keine Garantie dafür ist, dass Thalantia noch einmal von den Fremden überrannt wird.«
»Sie mussten irgendetwas tun, um sich vor dieser Gefahr zu schützen, sei sie nun real oder eingebildet gewesen. Auf den ersten Blick scheint es zwar wenig klug zu sein, alles vergessen zu lassen. Aber wahrscheinlich wollte man die Thalantianer auch vor sich selbst beschützen. Ich denke, man wollte nicht riskieren, dass einer von ihnen jene Mächte, die damals am Werke gewesen waren, wiederentdeckt und zum Schlechten verwenden konnte«, sagte Antilius. »Aber... wie kam es denn zur Verbannung des Dunkelträumers?«
»Ich erzählte Euch ja, dass sich einige Wesen, die nicht nach dem Krieg in ihre Welten zurückkehrten, auf Thalantia verstecken mussten. Denn zur Verwirklichung des Obliviscimus-Plan gehörte auch, dass all jene, die keine Thalantianer waren, verfolgt und getötet wurden. Eine ganze Generation war mit dieser verachtenswerten Hetzjagd beschäftigt. Verachtenswert sage ich deshalb, weil es bei dieser Jagd keine Rolle spielte, ob sich der Gejagte ergab oder nicht. Einigen gelang es, sich vor der auf Rache sinnenden Meute zu verstecken. Unsere Vorfahren aber besaßen weder die Mittel noch die Kraft, alle zu verfolgen und zu finden. Und so konnten einige überleben. Bis heute. Es ist völlig unklar, wie viele es heute noch gibt, geschweige denn, wo sie sich befinden. Immer wieder flammen Gerüchte auf über merkwürdige Beobachtungen hier und dort. Aber die nimmt niemand wirklich ernst. Ganz selten kam es in der jüngeren Vergangenheit vor, dass die Existenz eines dieser Wesen offenbar wurde. So wie bei den Sandlingen oder den Spähern. Da aber heutzutage niemand mehr deren Herkunft erklären kann, blieben sie für die meisten nicht mehr als eine Kuriosität, die unsere Welt zu bieten hat.
Der Dunkelträumer jedoch floh nicht, und er kehrte auch nicht in seine Heimatwelt zurück. Nach dem, was wir überliefert bekommen haben, war jener Uwor eine treibende Kraft im Krieg gewesen und zettelte auch lange nach dessen Ende Konflikte an, um die Herrschaft über Thalantia zu erlangen. Dazu scharte er Anhänger um sich und organisierte Anschläge auf Siedlungen, um seine Gegner einzuschüchtern. Wie es hieß, verwendete er auch finsteren Zauber, um Unschuldige in den Wahnsinn zu treiben.
Er war das letzte große Übel, das übriggeblieben war. Aber niemandem gelang es, ihn zu töten oder gefangen zu nehmen, da seine Kräfte die der Thalantianer bei Weitem überstiegen.
Schließlich machten sich unsere Vorfahren das Wissen und die übernatürlichen Mächte, die auf Thalantia eingeschleppt worden waren, zunutze und entwickelten in geheimer Arbeit eine mentale Technik, die einen Tunnel in der Raumzeit öffnete, durch die sie den Dunkelträumer weit weg schicken konnten.
Es heißt, er wäre bis an das Ende unseres Universums verbannt worden. Dieses Ereignis seht Ihr hier vor Euch«, sagte die Präfektin und deutete auf das Gemälde.
»Nur die Begabtesten eines jeden Volkes unseres Planeten waren auserwählt, um dieses schwierige Vorhaben durchzuführen.
Aber bevor der Dunkelträumer verschwand, schwor er, eines Tages zurückzukehren und sich an allen zu rächen. Er werde dann noch mächtiger sein als zuvor und ganz Thalantia vernichten, hieß es. Von diesem Gedanken der Rache war er besessen.«
»Ich verstehe«, sagte Pais. »Und wie es scheint, ist es ihm fast gelungen. Zweimal sogar.«
»Richtig. Vor etwa 630 Jahren erschufen die hier auf unserer Welt versteckt lebenden Späher, welche die Rückkehr des Dunkelträumers herbeisehnen, einen Transzendenten. Eine Art spirituellen Führer, der ihn wieder in unsere Welt lotsen würde. Damals gab es aber noch den Geheimbund, der das Wissen um die Gefährlichkeit des Dunkelträumers und die Wahrheit über den Krieg der Invasoren bewahrte. Die Mitglieder dieses Bundes handelten schnell und sperrten die Macht des Transzendenten in ein Portal ein, das von den Spähern als Durchgang für den Dunkelträumer in unsere Welt gedacht war. Der Geheimbund demontierte es und versteckte die Teile. Den Spähern war vorerst das Handwerk gelegt. Bis schließlich, 600 Jahre später, Koros vor wenigen Tagen die Portalstücke fand und wieder zusammenfügte.
Koros ist zwar jetzt besiegt, aber die Macht der Transzendenz ist befreit und liegt nun in der Hand der Späher.
Das, was der Dunkelträumer jetzt noch braucht, um zurückzukehren, ist ein geeigneter Kandidat, der diese Macht in sich aufnimmt, zum neuen Transzendenten wird und ihn zurückholt.
Und er benötigt noch etwas: Das Avionium, dessen Energie in großen Mengen in den Bergen gespeichert war, die den Ort des missglückten zweiten Versuchs, einen Tunnel zum Dunkelträumer aufzubauen, umgaben. Als das Portal in sich zusammenfiel und sich ein schwarzes Loch bildete, wurde alle Energie des Avioniums aufgezehrt. Ohne das Avionium aber kann kein neuer Zugang zum Dunkelträumer geschaffen werden.«
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