S. G. Felix
VERLORENEND
Band III
Das Mysterium der Titanen
Inhaltsverzeichnis
Prolog: Das Leuchten aus dem Moor
Der Kataklyst
Calessias Schicksal
Der Kontakt
Der Rat von Arcanum
Telandir
Der Friedhof des Kayen
Der Blick hinter den Schleier
Die Siobsistin
Das Reich des Totenbeschwörers
Die Tiefe des Schleiers
Reise in die Vergangenheit
Der Abschied
Das Vierte Königreich
Die Auserwählten
Stimmen
Die Schlacht um Thalantia
Kein Zurück
Das Geheimnis des Wassers
Die Trümmer des Mandra
Eine verpasste Gelegenheit
Alte Wunden
Das Ende vom Ende
Entfremdungen
Milas Geheimnis
Die Ausgestoßenen von Il Antil
Der Schwur
Der Verrat
Der Aufstieg des Totenbeschwörers
Tag der Abrechnung
Zeit der Erkenntnis
Der Herr aller Spiegel
Bodenschüttler, Bodenschüttler...
Die letzte Schlacht des Kayen
Die verfinsterte Seele
Nachwirkungen
Die Grotte des Rätselmachers
Das Foyer
Der Uhrenraum
Das Theater
Die Werkstatt
Die Krypta
Das Geschenk
Hunger
Die Ende von Nomad
Am Ende des Tages
Eine Entscheidung des Schicksals
Wenn die Hoffnung verstummt
Entscheidungen
Erkenntnisse
Freund und Feind
Entscheidung auf Arcanum
Die Befreiung der Titanen
Die Rückkehr
Aufbruch
Epilog: Das, was noch vor dir liegt
Prolog: Das Leuchten aus dem Moor
Erschöpft und mit schweren Beinen, aber mit eisernem Willen watete Calessia durch den knietiefen Morast.
Die Moorebenen der Inselwelt Fahros waren berüchtigt für ihre lebensgefährlichen Seen und Tümpel. Nicht deshalb, weil man fürchtete, im Moor versinken zu können, sondern weil man davon überzeugt war, dass irgendwo in dem trüben Wasser etwas lebte, das nur darauf wartete, jemanden zu sich in die Tiefe zu ziehen.
Diese Geister- und Spukgeschichten über das Moorland, das die Einheimischen auch als Elend-Uhn bezeichneten, kannte Calessia nur zu gut. Daher wusste sie auch, dass sie der Wahrheit entsprachen. Nicht Geister lebten in den Mooren, sondern etwas, das sehr lebendig war, obschon es sehr alt sein musste.
Calessia war auf der Suche nach dem Kataklysten. Vor mehreren Jahrhunderten, wahrscheinlich zu der Zeit kurz nach dem großen Krieg auf Thalantia, musste es gewesen sein, als der Kataklyst im Moor versank und sich in eine Art Golem verwandelte. Das Flüsternde Buch hatte es ihr verraten.
Mit sechs kräftigen Männern war Calessia im Südosten von Fahros zum Moorland aufgebrochen. Ihre Träger und Gehilfen hatte sie nur mit Hilfe vieler Goldmünzen überreden können, sie tief hinein ins Moor zu begleiten.
Drei von ihnen mussten nach einigen Tagen vor Erschöpfung aufgeben. Der Vierte machte sich eines Nachts während einer Rast heimlich aus dem Staub, weil er furchtbare Angst hatte vor dem, was Calessia aus dem Moor erwecken wollte.
Von den zwei übriggebliebenen bat der fünfte Mann Calessia um Entbindung von seinen Pflichten. Er war ihr Führer, der wie kein anderer die wenigen begehbaren Wege im Moor kannte. Ohne ihn wäre ihre Suche nach dem Kataklysten schon längst beendet gewesen. Deshalb machte sie ihrem Führer klar, dass sie ihn persönlich umbringen würde, sollte er es wagen, sie im Stich zu lassen.
Vier Tage waren Calessia und ihre zwei verbliebenen Helfer nun schon weiter in die Moorebenen vorgedrungen, weiter, als sich kein anderer je gewagt hätte. Der faulige Gestank in dieser Gegend war schon schlimm genug. Aber die feuchte Kälte, besonders in den Nächten, fuhr der Gruppe tief in die Knochen und machte jeden Schritt zur Qual.
»Hier endet der Pfad, der auf unserer ältesten Karte, die wir haben, verzeichnet ist,« sagte Calessias Führer am Ende des vierten Tages. Er war auf Fahros auch als der Waldläufer bekannt.
Wie so oft in den Moorebenen hatte es wieder begonnen zu regnen. Die ohnehin schon gut gefüllten Becken, Seen und Flüsse würden noch weiter anschwellen und den Rückweg kaum leichter, wenn nicht sogar unmöglich machen.
»Wir haben unser Ziel fast erreicht«, sagte Calessia. »Der Legende nach versank der Kataklyst in einem See, in dessen Mitte sich eine kleine Insel erhebt. Eine alte Eiche, die schräg über das Wasser ragt, steht darauf.
Es muss ganz in der Nähe sein!«
»Ich hoffe, Ihr irrt Euch«, bemerkte Calessias Führer.
»Wieso sagst du das?«, fragte sie zornig.
»Das, was hier im Moor ruht, sollte man besser in Frieden lassen. Es stammt aus dunklen Zeiten, und es kennt nichts anderes als das Dunkel. Es ist böse und verflucht.«
»Verflucht? Ja, vielleicht. Aber böse? Du fürchtest dich nur, weil du es nicht besser weißt. Den Kataklysten nicht zu erwecken wäre töricht. Jedenfalls nicht in Anbetracht dessen, was uns allen schon sehr bald bevorsteht.«
»Selbst wenn es dieses Wesen wirklich gibt, was wollt Ihr dann von ihm?«, wollte der andere Mann wissen, der Calessias Gepäck trug.
»Der Kataklyst besitzt etwas, das ich brauche. Mehr musst du nicht wissen.«
»Die Sonne geht bald unter. Wir sollten hier unser Nachtlager aufschlagen«, schlug der Waldläufer vor.
»Nein. Auf keinen Fall«, sagte Calessia und starrte auf einen Punkt hinter ihrem Führer.
»Warum nicht?«
Calessia atmete einmal tief ein und aus, bevor sie antwortete: »Weil wir unser Ziel erreicht haben.«
Der Waldläufer drehte sich um und folgte ihrem Blick. In der Ferne ragte die schattengleiche Silhouette der alten, verdorrten Eiche vor einer untergehenden Sonne auf.
»Ich habe es euch doch gesagt! Die Legende ist wahr.«
Die beiden Männer sackten innerlich zusammen. Mehr als je zuvor hatten sie das Gefühl, dass die Sache ein böses Ende nehmen würde.
Nebelfelder zogen über dem Moor auf, als Calessia und ihre beiden Helfer das Ufer des kleinen Sees mit der Eiche auf dessen Insel erreichten. Die Temperatur war stark gefallen. Der Regen hatte aufgehört, aber die Nässe war zusammen mit der Kälte in jede Ritze gekrochen. Der Waldläufer und der Träger froren. Nur Calessia war auf ihr Ziel fixiert und starrte auf den See mit seinem dunklen, undurchsichtigen Wasser.
»Zündet ein paar Fackeln an und steckt sie hier am Ufer in einem Halbkreis um uns herum in den Boden!«, befahl sie.
Die Männer führten ihren Befehl aus, während die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Das letzte Glühen am Himmel im Westen spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des kalten Sees.
»Woher wisst Ihr, wie man den Kataklyst erweckt?«, fragte der Waldläufer zweifelnd.
»Ich weiß es nicht«, sprach Calessia fast amüsiert. »Woher auch? Es hat noch niemand versucht, ihn aufzuwecken.«
Sie zog ihre Schuhe aus und trat ans Ufer heran. Dann setzte sie einen Fuß in das Wasser und zuckte ob der Kälte einmal. Sie biss die Zähne zusammen. Als sie sicher sein konnte, dass der Untergrund fest genug war, ihr Gewicht zu halten, stieg sie ein Stück weiter hinein, bis ihr das Wasser bis zu den Knien reichte.
Der Kataklyst sollte wissen, dass jemand bei ihm war. Ihre Körperwärme würde ihn anlocken.
»Los, macht es genauso wie ich!«, rief sie den Männern zu.
Der Waldläufer und sein Leidensgenosse wechselten kurz einen Blick und einigten sich stumm darauf, diesmal nicht zu gehorchen.
»Feiglinge!«, zischte Calessia nur und ließ es auf sich beruhen. Sie war viel zu fasziniert von diesem abgeschiedenen Ort. Sie spürte, dass der Kataklyst in der Nähe war.
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