Nun kennt auch die Philosophie der Romantik den Anspruch, die Menschen aus einer Gefangenschaft zu befreien, die allerdings mit der Höhle des Plato, diesem Gleichnis der Transzendentalphilosophie nicht zu verwechseln ist. Für das romantische Denken ist der Ausgang aus dieser Höhle, in denen die Menschen gefangen sind ein anderer als im Platonismus. Das romantische Denken kennt keine zwei Welten mehr wie im Platonismus, die in dieser Form entgegengesetzt sind, eine Welt unvergänglicher Ideen und eine Welt des Scheins, ein Diesseits und ein Jenseits.
Nach Schlegel ist nämlich Ewigkeit unendliche Zeitfülle und nicht Zeitabwesenheit. 69
Zeit ist für Schlegel die Welt selbst, der Inbegriff alles Werdens und er nennt sie an einer Stelle: eine werdende Gottheit. 70
Der Platonismus kennt nur ein abwertendes Verhältnis zur Zeit; in der Romantik ist es dagegen eine Intention der Philosophie dieses Verhältnis aufzuwerten.
Auch ist der Führer aus der Gefangenschaft nicht mehr der Philosoph wie bei Plato, der auf dem Weg der reinen Erkenntnis die Welt der Ideen, das Licht des Seins erblickt hat und nun zu den Gefangenen zurück kehrt und ihnen von der Möglichkeit einer anderen höheren Wirklichkeit erzählt, sondern nunmehr ist es der philosophische Poet, der Gedanken-Dichter, dem diese Aufgabe zufällt. 71
Eine Philosophie ohne Poesie und das heißt ohne Phantasie ist nämlich für das romantische Denken keine Philosophie.
Die Poesie, d.h. auch das anschauende Denken, wird zum Organ der Philosophie. 72
Von was aber soll dieser philosophische Schriftsteller den Gefangenen in der Höhle berichten, wenn er es denn kann? Oder anders ausgedrückt, was wird nach der romantischen Vorstellung zur wesentlichen Aufgabe der Philosophie?
Nach Schlegel ist die Philosophie der Statthalter einer höheren Wahrheit. 73An anderer Stelle nennt er die „Philosophie des Lebens“ eine Kunst und Wissenschaft, die sich auf das Göttliche bezieht. 74Die „Philosophie des Lebens“ versteht sich daher nicht von ungefähr auch als eine Art angewandter Theologie. Vorausgesetzt wird mit anderen Worten, dass die Philosophie noch eine Philosophie der letzten Ziele sein kann, ein Anspruch, der zur Recht seit der Aufklärung in Frage gestellt wird. Das, was Jaspers später einmal das Zeitalter der „Entgötterung der Welt“ nennen wird, ist für die Romantik alles andere als selbstverständlich. 75
Kant hat die naturwissenschaftliche Erkenntnis auf die Welt der Erscheinungen begrenzt, die Erkenntnis einer jenseitigen Welt, war positiv nicht möglich. Für den Romantiker Schlegel ist dagegen das naturwissenschaftliche Denken wohl nur lediglich eine Art technischer Verstand, d.h. ein gesunder „unphilosophischer Verstand“. 76
Die Philosophie der Romantik kann dagegen als ein Versuch angesehen werden, ein Denken zu widerlegen, dass sich lediglich zur Transzendenz-befreiten-Zone erklärt. Aber es wendet sich auch gegen die platonische Tradition des Denkens, der es vorrangig um eine Entwicklung der Vernunft und der Begriffe geht und d.h. um eine Trennung von Rationalität und Sinnlichkeit.
Idee des Unendlichen
Nach Schlegel geht aus dem Bewusstsein des Unendlichen alle Philosophie hervor. 77Diese Behauptung stimmt allerdings so nicht ganz, denn für die antike Philosophie ist das infinitum, - worauf Blumenberg hingewiesen hat, - mit dem Verständnis von Rationalität nicht vereinbar. Auch ist Unendlichkeit noch nicht ein Attribut Gottes. 78
Nach Schlegel hingegen besteht das Wesen der Philosophie aus der Sehnsucht nach dem Unendlichen und der Ausbildung des Verstandes. Die Sehnsucht nach dem Unendlichen wird zum Notwendigen im Menschen erklärt. 79Schlegel grenzt sich dabei von Plato ab und behauptet, dass dieser Bewusstsein nur einseitig als Vernunft und Verstand begriffen habe, während die ursprüngliche Form des Bewusstseins ein Begehrungsvermögen, ein Sehnen sei. 80Gegenstand der Philosophie wird in der Romantik neben Vernunft und Verstand, das Gefühl. Ohne Gefühl gibt es nach Schlegel keinen Verstand. Das Gefühl wird zu einer Quelle des Wissens. 81
Es ist diese Bedeutung des Gefühls, die das romantische Denken als Argument gegen die platonische Tradition des Denkens verwendet. Vernunft, Logik und Rationalität sind danach nicht die höchsten Weisen bewusster Wirklichkeit. 82Das betrifft auch die Vorstellung einer Transzendenz in der Philosophie. Die platonische Philosophie der Transzendenz wird zum Irrtum erklärt, die Vorstellungen von „Substanz“, „Ding“ und „Sein“ zum Ausdruck einer abstrakten Vernunft. 83
Im Unterschied dazu wird in der Romantik das Gefühl zum Ausgangspunkt einer möglichen Vorstellung von Transzendenz. Es ist allerdings nicht irgendein Gefühl, es ist die Sehnsucht nach dem Unendlichen.
Es ist das „reine Gefühl“ der Sehnsucht, das nach Schlegel nichts anderes ist als der Wunsch nach einer höheren Wirklichkeit; es ist nach ihm das höchste Streben im Menschen, der „Instinkt der Ewigkeit“. 84
Plessner wird später einmal behaupten, dass alles Endliche mit einem Unendlichen verschränkt ist, was allerdings noch offen lässt in welcher Form das geschieht und für wen diese Verschränkung gilt. 85Übernimmt man diesen Gedanken, so ist das Besondere in der Romantik, dass diese Verschränkung als bedingt durch ein Gefühl beschrieben und zum besonderen Fundament der Philosophie erklärt wird.
Wie schon Plato in seinem Höhlengleichnis voraussetzt, dass alle Höhleninsassen von einer höheren Welt erfahren möchten, dass sie nach einem Ausgang aus der Höhle der Schatten suchen, was durchaus nicht der Fall sein muss, so gilt das auch für die Philosophie der Romantik, der die Erregung der Sehnsucht nach dem Unendlichen zur Aufgabe wird. Der Unterschied ist allerdings, dass Plato noch von einer Ontologie des Unveränderlichen ausging, während die Romantik eine Ontologie der Zeit anstrebt, d.h. das Veränderliche, das Werden wird zum ontologischen Maßstab, wobei allerdings der duale Rahmen der platonischen Konstruktion erhalten bleibt.
Das Sinnliche ist daher in der Romantik nicht mehr das Negative und Grund einer Beschränkung wie bei Plato bei dem es dem Menschen lediglich möglich ist, die höchste unendliche Realität nur negativ und unvollkommen zu erkennen. 86Für das romantische Denken gilt also auch nicht mehr uneingeschränkt die platonische Maxime: auf die Sinne kann man sich nicht verlassen.
Nach Plato war der Weg der Erkenntnis letztlich ein Weg zum Absoluten, in der Romantik ist es das Gefühl. So verschieden und entgegengesetzt beide auch in der Ausführung dieses Anspruchs sind, beide verbleiben in einem ontologischen Rahmen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Beides sind von ihrer Konstruktion des Denkens her ontologische Steigerungsspiele, sind Ausdruck eines ontologischen Komparativs d.h. die höhere „Wirklichkeit“, die sie in Aussicht stellen, bleibt lediglich ein Versprechen auf Evidenz. Was allerdings nicht bedeutet, dass diese duale Konstruktionen ohne Bedeutung sind; siehe die unübersehbare Wirksamkeit der Tradition des platonischen Denkens bis in die Gegenwart hinein.
Ein Ideal der Spekulation
Für die Romantik ist die Idee des Unendlichen eine metaphysische Idee. Wenn das romantische Denken daher von einer Sehnsucht nach dem Unendlichen spricht, so bedeutet das zugleich, dass die Idee des Unendlichen in der Anschauung nicht vorkommen kann. Sie ist, wie Schlegel es ausdrückt, ein Ideal der Spekulation. 87
Aber sie ist für die romantische Philosophie nicht nur ein Ideal, sondern sie soll auch umgesetzt werden, d.h. durch die Philosophie „erregt“ werden. Und das geschieht nach Schlegel dadurch, dass sich die Philosophie die unbestimmte Aussicht ins Unendliche als eine ihrer Aufgaben bestimmt.
Das ist wohl so zu verstehen, dass das, was man z.B. das ewige Suchen und nie ganz finden können in den Wissenschaften nennt, und dort leicht zum Stehen kommt, nicht zur Verzweiflung oder Verdrossenheit führen soll. Um das zu vermeiden, bedarf daher es nach Schlegel einer Anregung unserer Sehnsucht nach Wissen. 88
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