Die Angelegenheit ist also nicht geklärt. Wie auch? Annegret hat eine neue Wohnung in Moers. Helmut besucht beide, abwechselnd. Alle zwei Wochen anfangs. Dann seltener. Ein Jahr Bundeswehr, er wie vom Erdboden verschwunden. Taucht wieder auf mit einer Freundin. Die er heiraten will. Papa will nicht. Sie ist tschechischer Flüchtling und hat zwei unmündige Söhne. Mama befürwortet ihre Hochzeit. Liebe ist wichtiger als Geld. Plant bereits ein großes Fest. Helmut studierter Finanzexperte, verantwortlich fürs Auslandsgeschäft in Papas Bank.
Annegret hat ihren gelernten Beruf wieder aufgenommen. Eine Praxis gemietet. Als Gesprächstherapeutin verdient sie gutes Geld. Nicht so viel wie ihr bei Plumbum zur Verfügung stand monatlich. Aber genug, sich den ein oder anderen, auch ausgefallenen Wunsch zu erfüllen. Die Hochzeit auszurichten.
Das Fest findet statt bei Ackermännchen an der Moers. So nennen sie den Besitzer, weil er ein Lieber ist. Und Filets brät auf seinem Grill, die besser aussehen und besser schmecken als die der Konkurrenz. Kross außen, innen rosarot und zart wie Butter. Und die Salatsoßen. Hm, Feinschmecker lecken sich mit der Zunge die Lippen, blicken verträumt gen Himmel. Dort wo Ackermännchen der liebe Gott ist.
Es kommen mehr als erwartet. Helmut hatte von der Straße eingeladen, könnte man meinen. Alle, die er beim Bund kennen- und schätzen gelernt hat. Deren Freundinnen und deren Bekannte wiederum. Insgesamt über dreißig Gäste an langen Tischen. ParvumPlumbum nolens volens dabei. Annegret zählt nicht mehr. Setzt ihr charmantestes Lächeln auf und ruft „Prosit.“ Es möge euch gut gehen auf Deutsch. Ackermännchen muss noch Stühle aus dem Billardzimmer holen. Alle eng zusammenrücken. Na dann Prost. Es wird eine gelungene Hochzeitsfeier.
Das Standesamt am Morgen war rasch erledigt. Kirchlich trauen? Mal sehen. Sie will kein weißes Brautkleid mit Schleier. Annegret hatte Portandus eingeladen. Die Pfeilwunde lange schon verheilt. Er kam gerne, den erwachsenen Sohn zu umarmen, die Braut. Hat eine Schwäche für Bräute in langen weißen Kleidern und wehendem Schleier. Seine Rolle in der Familie verschleiert er geschickt mit munteren Worten einer kurzen Rede. Über Glück und Risiko einer Ehe. Nichts gehe über Liebe und Zusammenhalten. „Es möge euch gelingen alle Tage. Wozu lebt denn der Mensch, wenn nicht um glücklich zu sein. Gutes Gelingen, Prosit.“ Blickt ParvumPlumbum an, als meinte er auch ihn. Und weiß, dass es nicht so ist.
Annegret möchte ihn sofort umarmen und küssen, lässt es aber in letzter Sekunde. Diese Seite Portandus´ kennt sie jetzt, seine rethorischen Fähigkeiten. Nicht lange, tröstet sie sich, und sie wird andere kennenlernen. Ihm folgen. Wohin auch immer.
Ein Anruf von der Polizei Urdenbach. ParvumPlumbum schon früh zuhause. Sie wollen zu einem Jazzkonzert. Das Kellerlokal in Flingern seit kurzem ein angesagter und vielbesuchter Ort für Abendunterhaltung sine fine. Für Nichtlateiner ohne Ende. Openend für Neusprachler.
„Kommen Sie bitte morgen früh um zehn in unsere Dienststelle. Sie müssen einen gewissen Fritz Schwein identifizieren. Ihr Freund Portandus ist auch vorgeladen. Bitte pünktlich, der Staatsanwalt wartet nicht gerne.“ Aufgelegt. Was soll er machen? Also hinfahren. Der Jazzabend verläuft nicht so wie er sich dachte. Trotz der schönen Lore an seiner Seite. Porcus das Schwein hat ihn vermasselt. Dich werde ich so identifizieren, dass dir der Arsch auf Grundeis geht. Diesen Kraftausdruck benutzten sie gerne, die Lateiner. Drückt er doch aus, was jeder denkt, aber nicht jeder sagt. Lateiner sind Römer. Verteidiger der freien Rede seit Cicero.
Punkt Zehn beginnt das Verhör. Anschließend die Gegenüberstellung. Die beiden sehen ihren Todfeind durch die dunkle Scheibe. Sie ihn, aber er sie nicht. Er ist es, Porcus das Schwein. Wie haben sie ihn erwischt? Spannende Frage. Können sie beweisen, dass er in Urdenbach war, nachmittags gegen 16 Uhr am achten Juli? Derjenige ist, der einen Pfeil abgeschossen mit fast tödlichem Ausgang? Fragen über Fragen.
Sie haben den roten VW gefunden, den Fahrer. Den Pfeil mit der Eisenspitze untersucht auf Fingerspuren und seine gefunden. Auch am Bogen, den er auf der Flucht damals im Gebüsch liegen ließ. Was ist da noch zu bezweifeln? Nichts. Es wird verhandelt in der kommenden Woche. Verurteilt zu drei Jahren Gefängnis wegen versuchten Todschlags. Die beiden Lateiner erleichtert. Annegret mehr als das. Ihr lieber Portandus kann seine Genugtuung feiern. Er feiert es nicht. Als ahnte er, dass Porcus Rache nehmen wird, sobald er entlassen und wieder in Freiheit ist. Lehr mich Porcus kennen. Er bleibt das Schwein, das er immer war.
Trinkt einen Kognak, einen zweiten: „Prost Annegret, Prost ParvumPlumbum, alter Freund.“ Sie sehen sich nicht mehr. ParvumPlumbum tief enttäuscht und verärgert von der Absage der Züricher, wird unleidlich. Lore hat ihn verlassen. Stürzt sich in aussichtslose Unternehmungen. Verliert Geld. Viel Geld. Erleidet einen Herzinfarkt. Von jetzt auf gleich tot. Helmut, Sohn und Nachfolger muss Insolvenz anmelden.
Mehr auf einmal kann es nicht geben. Annegret trägt Schwarz. Es steht ihr besonders gut. Scheint schlanker zu sein als sie ist. Zur Beerdigung kommen ein Bruder, eine Cousine dritten Grades. Der ein oder andere Bankangestellte. Frauen meist. Er war ein guter Chef, fanden sie und tupfen sich die Träne aus den Augen. Angemessen Beileid zu bekunden. Annegret wirft eine Rose auf seinen Sarg. Zu den Kränzen aus Tannenzweigen und Lorbeerblättern. Herbst ist es und kühl.
Als sie zuhause die Wohnungstür aufschließt, Portandus früher gegangen, duftet es nach Zander in Sahne mit Petersilie und Wein. Ihr Lieblingsessen seit er sie damit überraschte. Damals in ihrem Haus. Kochen kann er auch? Entzückt damals. Jetzt nach der Beerdigung kommt es ihr vor wie Verrat. Hin- und hergerissen, schwankend zwischen Trauer und Erleichterung. Zwanzig Jahre gemeinsamen Lebens kann sie nicht ignorieren. Abschütteln wie Schnee vom Mantel vor der Haustür.
Portandus macht es ihr leicht. Nimmt sie ganz vorsichtig in den Arm. Als wäre sie aus zerbrechlichem Glas. Dem Schönsten aus Murano oder Cas Concas, Mallorca: „Ich habe die Casa von Molerus´ Eltern gemietet. In der Cala Santany. Eine Idylle, gekannt nur von Idealisten. Fernab der Massenstrände in Cala d´Or und Porto Cristo mit Bars und Sangriadepots. Zwei Tickets für den Flug nach Palma de Mallorca. In dieser urigen Casa, die ich nur von Fotos kenne, kannst du langsam wieder Mut fassen, zu leben und zu lieben.“
Er hat leise und gar nicht bestimmend gesprochen, dass sie es nimmt, wie es gemeint war. „Muchas gracias“ flüstert sie. Ein zagendes Lächeln versucht sich, entspannt ihr Gesichtszüge. Erstes Spanisch hatte sie auf Teneriffa gelernt. Als sie mit Plumbum vier Wochen Urlaub machten vor drei Jahren. Den letzten gemeinsamen.
Einem Impuls folgend umarmt sie ihn, küsst seine Lippen zum ersten Mal. Die Lippen, von denen sie noch viele liebe Worte hören wird. In Versen verdichtete Liebeserklärungen. Sie weiß es nicht, ahnt aber, es wird der Himmel auf Erden sein. Mit Portandus, dem Bringer des Glücks und der Liebe. Formulierte es nicht Schiller so in einem Gedicht?
Drückt sich an ihn, klammert sich regelrecht an seinen Leib, dass sie ihn spürt: „Nimm mich“. Endlich der Mann, den sie nicht lieben durfte, aber lange schon liebte. Wie einen Mann. Frau bleiben will an seiner Seite. Bis in alle Ewigkeit. Amen.
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