Bei der Ankündigung einer gefährlichen Botschaft hat Teddy Gernegut die Augen weit aufgerissen, Neugierde sprüht aus ihnen hervor. Er schaukelt nervös auf dem Stuhl.
Lieber Herr Schdruschka, ich bin überzeugt, dass Ihre Sorgen sich als völlig unbegründet erweisen. Wie immer die Botschaft von oben auch lauten mag, vergessen Sie nicht: Wir, ich meine der Homo Sapiens und überhaupt die Menschen in ihrer Gesamtheit, haben einen sehr, sehr langen Weg des Fortschritts und der Weisheit auf diesem Planeten zurückgelegt. Seit wir von Affen zu zivilisierten Wesen wurden, hat unsere Spezies Ungeheures vollbracht. Das kann uns niemand nehmen, auch eine Botschaft von oben nicht. Wo kommt sie denn überhaupt her, wie lautet der Absender?
Über Schdruschkas Gesicht huscht ein Schatten.
Sehen Sie, sagt er, und blickt an uns vorbei irgendwohin ins Unbestimmte, während auf seinem seltsam palatschinkenflachen Gesicht sogar das obligate Lächeln verschwindet.
Sehen Sie, da fängt es schon an. Die Masten am Rande meines Grundstücks sind Ihrer Aufmerksamkeit gewiss nicht entgangen. Sie brauchen ja nur nach dort hinten zu schauen, wo Sie den schönen, frisch ergrünten Buchenwald sehen. Nicht nur hier in meinem Garten, sondern an den verschiedensten Stellen des Globus, in Peru zum Beispiel, in der Wüste Gobi, aber außerdem noch auf mehreren Spezialsatelliten hat unsere AVEK, die Astronomische Vereinigung für Extraterrestrische Kommunikation, Anlagen von höchster technischer Perfektion in Betrieb genommen, um selbst die schwächsten Signale einzufangen – selbst wenn deren Ursprung Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sein sollte. Im gleichen Augenblick, wo wir eine Botschaft erhalten, werden alle Mitglieder unseres weltweiten Vereins unterrichtet.
Er zögert.
Wie Kollege Platsch leider mit Recht bemerkte, haben wir bis heute morgen vergebens auf ein solches Signal gewartet. Schweigen und Rauschen und Rauschen und Schweigen, das war der einzige Lohn unserer Bemühungen. Ja, und nun dies!
Schdruschka verzieht das Gesicht zu einer Grimasse.
Da wird der sonst so bedächtige Platsch plötzlich ungeduldig. So heftig lässt er die zum Mund erhobene Kaffeetasse wieder auf den Tisch zurückfallen, dass einige schwarze Tropfen auf die weiße Stickdecke springen.
Aber was in aller Welt meinen Sie denn?, Herr Kollege. Nun rücken Sie doch bitte endlich mit der Sprache heraus!
Schdruschka steht da wie ein Fragezeichen. Beinahe könnte der Mann Mitleid erregen.
Ich sage Ihnen ja, es ist eine Ungeheuerlichkeit. Der Amtsweg über unsere Spitzentechnologie wurde missachtet und schlicht übersprungen. Stellen Sie sich vor, ich, Dr. Schdruschka, Professor für Astrohomie an der Technischen Universität dieser Stadt, erhalte eine Botschaft auf dem ganz banalen, alltäglichen Weg, nämlich auf meinem Email-Programm. Können Sie das fassen?
Gernegut hatte sich schon wieder gesetzt, jetzt springt er erneut von seinem Sitz in die Höhe.
Der Absender?, ruft er.
Ich wage es eigentlich gar nicht zu sagen. Es ist schlechterdings lächerlich und absurd. Der Absender lautet God@Paradise.com!
Dass meine Verfassung sich inzwischen verbessert hat, steht außer Zweifel, sonst hätte ich nicht so spontan reagiert: mit einem Lachen. Der Prälat an meiner Seite verzieht das Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse. Nur Justus Platsch bleibt so ernst wie immer, die Sache scheint ihm nicht einmal Spott wert zu sein.
Na schön, na gut, murmelt er, habe ich mir beinahe gedacht. Sie haben Ihre Einladung dazu benutzt, um uns einen Gag vorzusetzen.
Sein Gesicht drückt ein Quäntchen Mitleid, ein Quäntchen Verachtung, aber vor allem unbeugsame Strenge aus.
So ist das also, jedenfalls wissen wir wenigstens gleich zu Beginn, was von der Sache zu halten ist. Ein Spaßvogel hat sich über Sie lustig gemacht. Witzbolde gibt es in unserer leichtlebigen Stadt jede Menge. Ich frage mich nur, warum in aller Welt haben Sie uns so dringlich zu sich gebeten? Der Fall ist doch sonnenklar. Oder wollen Sie uns etwa im Ernst zumuten, einen solchen Vorfall für seriös zu halten?
Nein, gibt Schdruschka mit dem gleichen Ernst zurück, Zumutungen kommen hier überhaupt nicht in Frage, zumal ich selbst ja zunächst nicht anders reagierte. Nur habe ich dann in den Aufzeichnungen meiner Beobachtungsstation nachgeschaut. Und wissen Sie, Kollege Platsch, was ich dabei entdeckte? Das Original wurde dort ebenfalls aufgefangen, und zwar zur exakt gleichen Zeit und im Wortlaut identisch. Mithin ist jeder mögliche Verdacht ausgeräumt: Es handelt sich um eine konzertierte Aktion von oben. Die Mail-Adresse ist ein Witz, natürlich, das sieht ja jeder, aber das Original der Botschaft wurde von meinen Richtantennen aus den Tiefen des Alls gefischt. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben es mit einem gesicherten und unbestreitbaren Faktum zu tun.
Ach so? Platsch schüttelte ungläubig den Kopf. Ich gebe zu, wenn das stimmt, wäre das eine Neuigkeit, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Den Botschaftern aus dem Irgendwo müssten wir dann einen gewissen Humor konzedieren.
Nein, rief Gernegut, das ist mehr als Humor, das ist eine Sensation, die wie ein Meteorit in die Köpfe einschlagen wird!
Alles kommt auf den Inhalt an, wirft der Prälat gewichtig ein. Die Botschaft kann ethisch und theologisch korrekt sein, das ist die eine Möglichkeit, aber wir sollten auch damit rechnen, dass sie uns absichtlich in die Irre führt. Theologisch kann ich für meine Person voll und ganz die Position vertreten, dass der Schöpfer der Welt nicht nur unseren Globus, sondern viele andere mit intelligenten Wesen besiedelt hat. Ich sehe nicht ein, warum er den ganzen Schöpfungsaufwand getrieben hätte, wenn am Ende das Leben doch nur an einem stecknadelkopfwinzigen Ort entsteht, während ganze Unendlichkeiten dürr, öde, unfruchtbar bleiben. Also eine Botschaft von anderen Wesen halte ich für durchaus möglich, im Grunde sogar für äußerst wahrscheinlich. Aber ich möchte in dieser Runde dennoch zur Vorsicht raten. Stellen Sie sich vor, der oder die Botschafter hätten von unserem wahren christlichen Gott bis heute kein Wort gehört. Vorstellbar ist das durchaus, auch uns hier auf dem blauen Planeten wurde die letzte und höchste Wahrheit ja erst vor zweitausend Jahren geschenkt. Stellen Sie sich also vor, dass die Botschaft von draußen voller ärgerlicher oder dummer Irrtümer steckt, die unsere Kirche schon längst überwunden hat. Wenn ich an diese Möglichkeit denke, mache ich mir ernsthafte Sorgen. Bedenken Sie, das Volk ist so leicht auf Abwege zu führen. Niemand weiß das besser als wir Theologen.
So ist es, mein Lieber, fällt Schdruschka mit heftigem Nicken ein. Genau deswegen bereitet mir die Botschaft so große Verlegenheit. Statt darin einen Triumph unserer Wissenschaft zu erblicken, den verdienten Lohn für unsere jahrelangen Bemühungen, weiß ich im Grunde nicht, was ich mit dem seltsamen Text anfangen soll. Die Absender stellen sich nicht vor, sie machen uns nicht erst einmal mit den Errungenschaften ihrer Kunst, Philosophie und Wissenschaft bekannt, wie sich das bei einem ersten Kennenlernen gehört, sondern konfrontieren uns gleich zu Beginn mit einem Problem, will sagen mit einem seltsamen Text, der für einen seriösen Forscher und Wissenschaftler eine Zumutung und eine Herausforderung ist. Offenbar verlangt man von mir eine Stellungnahme, man will mich zu Entscheidungen zwingen und zu einer moralischen Stellungnahme nötigen. Aber ich bin ein Empiriker, der sich an Fakten hält, die Wirklichkeit so beschreibt, wie sie ist. Mit moralischen Stellungnahmen habe ich absolut nichts zu tun. Das ist unwissenschaftlich. Diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen.
Aha, so ist das also. Der Herr Astronom hat sein ganzes Leben lang auf den Moment gewartet, dass ihn ein intelligentes Signal aus dem Universum erreicht. Jetzt ist es endlich da, dieses Signal, aber leider nicht so, wie er es sich vorgestellt hat. Schdruschka meinte wohl, dass der hohe Vertreter eines fernen Gestirns bei ihm höflich anklopfen und seine Visitenkarte bei ihm abgeben würde. Der Gast aus der Ferne würde eine Liste der letzten Erfindungen von Kunst und Technik einreichen und in aller Form um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bitten. So hatte sich Schdruschka die erste Begegnung vorgestellt, stattdessen verlangt man von ihm – welche Zumutung! - eine Stellungnahme. Das war ja höchst interessant.
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