Till Angersbrecht
Die Weltenretter
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Inhaltsverzeichnis
Titel Till Angersbrecht Die Weltenretter Dieses ebook wurde erstellt bei
Einleitende Bemerkungen des Chronisten
1. Das Schiff
2. Der Lord
3. Die Tagespille
4. Hass und Liebe
5. Die Tafelrunde
6. Die Attacke
7. Spinster
8. Das westliche Ufer
9. Die Hochzeit von Himmel und Schwefel
10. Im Lotossitz
11. Abendgesellschaft im Schlosspark
12. Der Jungbrunnen
13. Barbarossa und sein Harem
14. Der Sturm
15. Die Prüfung
16. Wohin?
17. Das Tischrücken
18. Liebe pur
19. Man tut seine Pflicht
20. Hohngelächter über Europa
21. Die Ohrfeige
22. Die Entführung
23. Wir waren uns so nahe!
24. Die Erstürmung
25. Auf dem Schiff
Impressum neobooks
Einleitende Bemerkungen des Chronisten
Die WeltenRetter
Till Angersbrecht
Was passiert, wenn angereichertes Uran zu einem Klumpen zusammenfügt und dieser dann kontinuierlich vergrößert wird, das weiß heute jeder. Irgendwann wird die kritische Masse erreicht, explosionsartig vermehren sich die freigesetzten Neutronen, und auf einmal entsteht statt eines harmlosen Klumpens ein Feuerball, der ganze Städte verbrennt und verschlingt. Doch was passiert, wenn man die größten unter uns lebenden Geister auf einer Insel zusammenruft, so dass die dadurch entstehende Masse an menschlicher Intelligenz sich zu ungeahnter Intensität entfaltet? Dieses Experiment ist bisher noch nie angestellt worden, aber es hat – wenn auch von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – tatsächlich stattgefunden. So viel steht bereits fest: Eine Explosion nuklearen Ausmaßes war nicht zu beobachten; im Gegenteil, das Experiment verlief derart geräuschlos, dass selbst die Erinnerung an dieses Ereignis spurlos zu verschwinden drohte. Außer den Betroffenen selbst hätte dann niemand nach zwanzig, dreißig Jahren davon etwas gewusst.
Nein, ganz so darf man über die Begebenheit nicht reden. In führenden Tageszeitungen konnte man einen Artikel aus der Hand eines gewissen Herrn Felix Federlein lesen, der die denkwürdige Zusammenkunft in folgenden Worten beschrieb.
„Wissenschaft ist heute die Hoffnung, von der die Menschheit nicht nur ihre Zukunft in Wohlstand und Freiheit, sondern sogar das eigene Überleben abhängig macht. Merson Island, eine bis dahin unbekannte und eigentlich völlig unbedeutende Insel im südlichen Stillen Ozean, die allerdings durch den Gymnopterus maximus und seine erstaunlichen Fähigkeiten eine Weile ins Rampenlicht öffentlicher Beachtung geriet, genoss für eine Woche das Privileg, die größten Namen der zeitgenössischen Gelehrsamkeit zu begrüßen. Da trafen in einer exotisch-üppigen Natur - eingeladen von einem exzentrischen Lord und großen Förderer des fortschrittlichsten Wissens - Physik, Neurologie, Biologie, Superdatistik und Sulfo-Zölo-Gamie aufeinander, und zwar in Gestalt der in ihren Fächern weltweit führenden Avatars. Jeder der Anwesenden war sich bewusst, einem Feuerwerk des Geistes beizuwohnen, das den Weg der Menschheit noch für das kommende Jahrhundert beleuchten wird. Merson Island sollte ein Meilenstein in der Geschichte menschlichen Fortschreitens sein.“
Dieser Artikel versetzte mich in einige Unruhe, denn, wie ich schon sagte, blieb dieses angeblich wegweisende Ereignis sonst völlig unbeachtet. Auch fielen mir sehr schnell merkwürdige Widersprüche ins Auge. Geht es nun um Wohlstand und Freiheit oder nur um das Überleben? Zudem hatte ich auf Umwegen gehört, dass einige der Teilnehmer sich bitter über die Zustände auf der Insel beschwerten. Sie seien vom ersten Tage an ausspioniert und von einer rabiaten Lady wie unmündige Schulbuben behandelt worden. Was mich gleichfalls wunderte, waren Ausdrücke wie Sulfo-Zölo-Gamie, die der Journalist Felix Federlein so verwendet, als müssten sie jedem geläufig sein. Ich aber höre davon zum ersten Mal.
Offensichtliche Ungereimtheiten wie diese erregten nicht nur meine Aufmerksamkeit, sondern beunruhigten mich so sehr, dass ich mich entschloss, der Sache nachzugehen. Dabei gelangte ich schon bald zu einer überraschenden Einsicht. Die Zusammenkunft der größten Gelehrten des Globus auf der kleinen Pazifik Insel hat sehr wohl eine Spur in der Geschichte hinterlassen, eine Spur von größter Bedeutung für unsere Geschichte - nur wird darüber bis heute geschwiegen. Als selbstverständlich nehmen wir beispielsweise hin, dass die Menschen vom Reich der Mitte uns mittlerweile in beinahe jeder Hinsicht den Rang ablaufen. Diese Dominanz, die sie mit einer expansiv-aggressiven Politik verbinden, betrachten wir als ein Naturereignis, dem wir uns ebenso duldsam zu unterwerfen hätten wie einem Vulkanausbruch, der Meereserwärmung oder dem Abschmelzen der Pole. Wir verschweigen, ja wir unterschlagen, dass es sich in diesem Fall keineswegs um ein unabwendbares Schicksal handelt, sondern um ein welthistorisch folgenreiches Versehen, dessen Wurzeln im südlichen Pazifik, nämlich auf Merson Island, zu suchen sind. Die Chinesen sind damals in den Besitz einer Erfindung gelangt, die sie der gewaltsamen Entführung von Benedict Krzsymanski, dem großen Nobelpreisträger, verdanken. Wir, ein verwöhnter und, wie manche sagen, mittlerweile geradezu dekadenter Westen, ließen uns damals die einmalige Chance entgehen, die größte Erfindung unseres Jahrhunderts – den eigenen Bürgern zugänglich zu machen.
Nachdem ich dieses Versagen und seine Folgen erkannte, stand es für mich außer Frage, dass es für mich nun kein Zurück geben würde. Was ging damals wirklich auf Merson Island vor? Das war die Frage, die mich fortan keinen Augenblick mehr loslassen sollte. Um ehrlich zu sein, hatte meine bisherige Tätigkeit mich auf solche Nachforschungen nicht unbedingt vorbereitet. Bis dahin war ich ein unbedeutendes Rädchen im politischen Apparat unserer Republik gewesen, damit beschäftigt, als Ghostwriter die Reden wechselnder Politiker sozusagen nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mediokrität so zurechtzuschneidern, dass sie möglichst faltenlos zu ihrer mehr oder weniger dürftigen Persönlichkeit passten. Wie sich der Leser denken kann, ist das ein Lügengewerbe, dessen ich schließlich so überdrüssig wurde, dass ich nach der Wahrheit zu streben begann. Da war dann allerdings nichts natürlicher, als dass ich irgendwann auf Merson Island und die Zusammenkunft der größten Wahrheitssucher unserer Zeit stoßen würde.
Warum die Chinesen den größten Nutzen aus diesem Treffen ziehen sollten, das habe ich bald begriffen, doch es dauerte einige Zeit, bis ich die Gründe dafür durchschaute, warum die kritische Geistesmasse - diese unglaubliche Ballung von Wissen und Wahrheit - keine Explosion erzeugte, warum sie den Erdball nicht einmal mit kleinen Stößen von drei oder vier auf der Richterskala zu erschüttern, geschweige denn ihn vor den furchtbaren Bedrohungen unserer Zeit zu retten vermochte. Da trafen Wissende aufeinander, von denen jeder gewappnet war, um sich den Reitern der Apokalypse entgegenzustellen. Auf den ersten Blick schien es geradezu undenkbar, dass ein Treffen wie dieses so wenig Aufsehen erregte. Denn eines ist ja nicht mehr zu leugnen. Nicht nur das Quantengehirn, die Erfindung Krzsymanskis, alias Newtons, hat sich längst durchgesetzt, wenn auch vorerst nur im östlichen Asien – auch die übrigen in Merson Island entworfenen Projekte für eine andere und, wie manche hartnäckig behaupten, bessere Welt sind längst auf dem Wege der Verwirklichung; einige vorerst noch heimlich wie die Sulfo-Zölo-Gamie andere in aller Öffentlichkeit.
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