Till Angersbrecht
Die Leiden des Schwarzen Peters
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Till Angersbrecht Die Leiden des Schwarzen Peters Dieses ebook wurde erstellt bei
Die Ankunft Die Ankunft Die Leiden des Schwarzen Peters Roman Tim Eisenrot
Gottes ausgestreckter Zeigefinger
Eine käsefarbene Runde
Die Geisterschachtel
Vom Eise befreit...
Alle an einem Tisch
Im Schloss darf der Mohr nicht fehlen!
Der Fall „Kneek“
Wie der Fortschritt der Tradition an den Kragen fährt
Das Komplott
Knirzbein: Wie ein Zugereister das Rathaus erbeben lässt
Kampfbereit sitzen sich die Streithähne gegenüber
Gegen den Fortschritt dichten
Plötzliches Verschwinden
Diese aristokratischen Gören!
Herr Erpel und das Mädchen Rosi
Diskopfeile
Böse Blicke nach einem Fest der Verschmelzung
Ach Loso, lieber Loso, komm!
Die Parade der Pachydermen
Hohle Räume unter der Zivilisation
Man bringt mir Prinzipien bei
Der große Pladderkuh
Eine peinliche Befragung
Schon wieder bin ich ein Opfer des Mitleids
Maschinenmenschen
Wie satt ich es bin, immer nur das Naturkind zu sein!
Das blaue Blut und der Wein
Schädel aus Stahl und Silizium
Mein Schutzgeist zeigt mir die kalte Schulter
Da öffne ich die Schachtel und propier’s mit dem Zauber der Goldenberger!
Noch eine Leiche!
Unter schwarzer Haut die blütenweiße Seele!
Sie errichten den Gump
Wie mich Pier besiegte, die große Hure
Der Tod und der Dichter
Pladderkuh verkündet die nicht-euklidische Wissenschaft
In Goldenberg fehlen mir die natürlichen Feinde: Ich könnte mich rapide vermehren
Die Frau auf der Litfaßsäule
Wer glücklich ist, der kommt zu spät!
Der Baron verhökert das Schloss
Halleluja auf der Empore
Wo bleibt da die Spiritualität?
Schlechte Witze über den Gump
Der vermasselte Ehrentag
Schlagringe und Ganzkörpervermummung
Das feucht-fröhliche Seminar
Knarrs Erkenntnisse
Ich ringe mit Gott
Die Abschiebung
Impressum neobooks
Die Leiden des Schwarzen Peters
Roman
Tim Eisenrot
März, 6 Monate vor Erbauung des Gump;
Seelentemperatur: witternder Leopard;
Geisterkontakt: stumm;
Witterung: kalt in die Knochen ziehend.
Wäre in Goldenberg ein Meteorit vom Himmel gefallen, laut zischend und mit der Schleppe einer lodernden Feuersbrunst, hätten die Eingeborenen wohl kaum stärker in Erregung geraten können als durch mein plötzliches Erscheinen. So einen wie mich hatten sie in ihrer Stadt noch nie gesehen, ein Wesen zwar durchaus ähnlich gebaut wie sie selbst, mit zwei schlanken Armen, zwei kräftigen Beinen, einem Rumpf in den üblichen Proportionen und einem Kopf, der nun allerdings einen radikalen Unterschied demonstrierte und es ihnen verbot, mich mit einem echten Goldenberger zu verwechseln. Meine Haut ist schwarz, nicht pechschwarz - darauf möchte ich mit allem Nachdruck bestehen -, nein, schokoladenfarben, was doch eine viel distinguiertere Tönung ist und unter den Einheimischen, wie mir später zu Ohren kam, zunächst Zweifel erweckte, ob meine Farbe wirklich vollkommen waschecht sei oder nicht mit der Zeit verblassen würde, ich meine, unter dem Einfluss ihrer sehr ungnädigen, in meinen Augen sogar unanständigen Witterung, wo peitschender Regen und grimmiger Sturm keine Seltenheit sind. Dann würde ich, so ihre Vermutung, ihnen mit jedem Jahr etwas ähnlicher werden.
Hohes Komitee, ehrwürdiger Ältestenrat, ich möchte gleich zu Beginn meines Berichtes betonen, dass mich die Goldenberger mit vorzüglicher Freundlichkeit empfangen und bei sich aufgenommen haben. Gleich am zweiten Tag nach meiner Ankunft luden mich die führenden Vertreter der Stadt, Bürgermeister Bremme, die Frau Pastor Frieda Torbrück, der Apotheker Julius und wie sie alle heißen, ins Odysseus am Rande des Schlossparks ein – nein, nicht ins Schloss selbst, der Herr Baron von Kneek lässt sich nicht überrumpeln. Aber das Odysseus ist in Goldenberg ja auch eine hervorragende Adresse, dort kommen die Honoratioren, an Feiertagen auch die einfachen Bürger, nach der Arbeit zusammen; dort reden, spaßen, lachen, streiten und „philosophieren“ sie – so nennen sie es jedenfalls, wobei ich mir aber bis heute über den Sinn dieses seltsamen Wortes nicht recht im Klaren bin. Ich mutmaße, dass ihr Philosophieren mit diesem goldglänzenden Getränk zusammenhängt, das sie im Odysseus in großen Mengen genießen: Erst dann beginnen sie mit dem „Philosophieren“.
Von Natur aus sind die Goldenberger übrigens so neugierig wie alle anderen Menschen - sehr neugierig sogar, was ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann. Ich will nicht sagen, dass sie den Meteoriten, der da ohne Vorwarnung in ihre Stadt und ihr wohl behütetes Leben platzte, mit offenen Mäulern und aufgerissenen Augen umringt, bestaunt und den Körper des Fremden, meinen Körper, betastet hätten. Nein, so weit gingen sie nicht, sie wissen sich zu benehmen. Als ich in Begleitung des Bürgermeisters – ich sagte schon Bremme, Gustav Bremme - durch das Stadttor und anschließend durch die Gasse ihrer zu beiden Seiten hochaufschießenden Häuser ging - wie unheimliche Riesenschachteln aus Stein erscheinen mir ihre Behausungen - kam mir der Ort im ersten Moment wie eine Geisterstadt vor, so tot und genauso verlassen. Da gab es nur diese Handvoll Leute, die zu meiner Begrüßung erschienen waren.
Wozu stehen sie hier, ging es mir durch den Kopf, all diese mächtigen, quaderförmigen Schachteln, wenn alles doch unbewohnt ist und den trostlosen Eindruck vollkommener Leere macht? Aber nein, hoher Rat, da habe ich mich geirrt. Während ich noch mit dieser ersten Ernüchterung kämpfte und meine Augen ziellos an den Häuserfassaden in die Höhe schweiften, bemerkte ich auf einmal, dass überall hinter den Fenstern oder auch zwischen den Gardinen die Köpfe von Frauen, Kindern, Greisen und Männern lugten, um einen Blick auf mich, den schwarzen Fremden, zu werfen; ich bemerkte sie allerdings nur einen kurzen flüchtigen Augenblick, denn sobald die Köpfe zwischen den Gardinen bemerkten, dass ich ihre neugierigen Blicke erspähte, zuckten sie augenblicklich zurück, als hätte ich sie bei einer unanständigen Tat ertappt.
Wie sensibel diese Menschen doch sind!, ging es mir durch den Kopf. Offenbar ist ihnen peinlich und gilt vielleicht nicht einmal als schicklich, der eigenen Neugier die Zügel schießen zu lassen, obwohl ich sie dafür doch gewiss nicht verdammen würde!
Aus Forschungszwecken durfte ich es natürlich nicht unterlassen, diese meine Vermutung sogleich experimentell zu überprüfen. Ich richtete meinen Blick also eine Zeitlang stur nach vorn auf das Straßenende, um ihn dann unerwartet und blitzschnell in die Höhe zu den Fenstern hochschnellen zu lassen – und, siehe da, es geschah genau, was ich erwartet hatte. Dutzende von Köpfen zuckten alle zur gleichen Zeit zwischen den Vorhängen in den Raum zurück, nur unter den Greisen – und von denen scheint es in Goldenberg nicht wenige zu geben – waren manche durch das Alter so verlangsamt in ihrer Beweglichkeit, dass sie wie verlorene Gespenster zwischen den Vorhängen sozusagen erstarrten, mich aber unmittelbar danach mit einem verlegenen Lächeln gleichsam um Verzeihung für ihr schlechtes Benehmen baten.
Während das kleine Begrüßungskommando mich, den frisch eingetroffenen neuen Bürger von Goldenberg, durch das Stadttor auf die Hauptstraße geleitet, redet der Bürgermeister mit nicht endendem Wortschwall auf mich ein: Welch große Freude es für die Menschen von Goldenberg und für ihn ganz persönlich sei, einen so außerordentlichen Gast wie mich in den Mauern der Stadt zu begrüßen, hier auf dem vertrauten Terrain seiner Heimat – dieses Glücksgefühl sei unbeschreiblich und eigentlich gar nicht in Worte zu fassen. Er, der Bürgermeister, dürfe sich aber zu diesem Gefühl im Namen aller Bürger in voller Offen- und Ehrlichkeit bekennen. Zum allerersten Mal biete sich der Stadt die Gelegenheit, einen so besonderen, im besten Sinne des Wortes exotischen Vertreter der menschlichen Gattung im eigenen Haus zu empfangen. In ihm als dem gewählten Repräsentanten dieser Stadt erwecke die Aussicht, künftig mit einem so außerordentlichen Exemplar des Homo sapiens über jedes Problem von Mensch zu Mensch reden zu können, schon jetzt die größten Erwartungen.
Читать дальше