Till Angersbrecht - Die Leiden des Schwarzen Peters

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Menschen aus einem abgelegenen und angeblich unterentwickelten Teil der Welt interessieren sich für die Goldenberger, weil sie, wie es allgemein heißt, den derzeit zivilisiertesten Teil der Menschheit repräsentieren. Der Fremde wird zunächst mit offenen Armen aufgenommen – und er unternimmt seinerseits alles, um zu sich einem echten Goldenberger zu wandeln, wozu ihn Freunde, der poetisch sensibilisierte Dönnewat zum Beispiel, aber bald auch die Hure Pier nach Kräften ermuntern. Allerdings wird dem «schwarzen Peter» – er selbst besteht mit großer Hartnäckigkeit auf seiner schokoladenfarbenen Haut – nur zu bald bewusst, dass der Boden der Zivilisation nach unten hin hohl ist und dass es daher nicht gut gehen kann, wenn die Eingeborenen auf einem derart brüchigen Fundament den Gump höher und höher bauen: das neue Wahrzeichen der Stadt.
Zwecks Familienzusammenführung, wie Bürgermeister Bremme es nennt, wird ihm schließlich eine pechschwarze Ngumbubara, sozusagen von Amts wegen, verordnet, in Wahrheit soll aber der Zorn der männlichen Goldenberger beschwichtigt werden, da der Fremde ihnen die Frauen abspenstig macht – kurz, die Existenz eines Außenseiters in dieser sonst in jeder Hinsicht vorbildlichen Stadt beschwört eine Fülle von Konflikten, die sich schließlich so heiß zu brodeln beginnen, dass es zu einem dramatischen und wirklich traurigen Ende kommt, einer plötzlichen Abschiebung nämlich, die umso weniger gerechtfertigt erscheint, als die objektive Wissenschaft in Gestalt Prof. Pladderkuhs längst zweifelsfrei beweisen konnte, dass der schwarze Peter vollständig integriert worden sei …

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Till Angersbrecht

Die Leiden des Schwarzen Peters

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Inhaltsverzeichnis Titel Till Angersbrecht Die Leiden des Schwarzen Peters - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Till Angersbrecht Die Leiden des Schwarzen Peters Dieses ebook wurde erstellt bei

Die Ankunft Die Ankunft Die Leiden des Schwarzen Peters Roman Tim Eisenrot

Gottes ausgestreckter Zeigefinger

Eine käsefarbene Runde

Die Geisterschachtel

Vom Eise befreit...

Alle an einem Tisch

Im Schloss darf der Mohr nicht fehlen!

Der Fall „Kneek“

Wie der Fortschritt der Tradition an den Kragen fährt

Das Komplott

Knirzbein: Wie ein Zugereister das Rathaus erbeben lässt

Kampfbereit sitzen sich die Streithähne gegenüber

Gegen den Fortschritt dichten

Plötzliches Verschwinden

Diese aristokratischen Gören!

Herr Erpel und das Mädchen Rosi

Diskopfeile

Böse Blicke nach einem Fest der Verschmelzung

Ach Loso, lieber Loso, komm!

Die Parade der Pachydermen

Hohle Räume unter der Zivilisation

Man bringt mir Prinzipien bei

Der große Pladderkuh

Eine peinliche Befragung

Schon wieder bin ich ein Opfer des Mitleids

Maschinenmenschen

Wie satt ich es bin, immer nur das Naturkind zu sein!

Das blaue Blut und der Wein

Schädel aus Stahl und Silizium

Mein Schutzgeist zeigt mir die kalte Schulter

Da öffne ich die Schachtel und propier’s mit dem Zauber der Goldenberger!

Noch eine Leiche!

Unter schwarzer Haut die blütenweiße Seele!

Sie errichten den Gump

Wie mich Pier besiegte, die große Hure

Der Tod und der Dichter

Pladderkuh verkündet die nicht-euklidische Wissenschaft

In Goldenberg fehlen mir die natürlichen Feinde: Ich könnte mich rapide vermehren

Die Frau auf der Litfaßsäule

Wer glücklich ist, der kommt zu spät!

Der Baron verhökert das Schloss

Halleluja auf der Empore

Wo bleibt da die Spiritualität?

Schlechte Witze über den Gump

Der vermasselte Ehrentag

Schlagringe und Ganzkörpervermummung

Das feucht-fröhliche Seminar

Knarrs Erkenntnisse

Ich ringe mit Gott

Die Abschiebung

Impressum neobooks

Die Ankunft

Die Leiden des Schwarzen Peters

Roman

Tim Eisenrot

März, 6 Monate vor Erbauung des Gump;

Seelentemperatur: witternder Leopard;

Geisterkontakt: stumm;

Witterung: kalt in die Knochen ziehend.

Wäre in Goldenberg ein Meteorit vom Himmel gefallen, laut zischend und mit der Schleppe einer lodernden Feuersbrunst, hätten die Eingeborenen wohl kaum stärker in Erregung geraten können als durch mein plötzliches Erscheinen. So einen wie mich hatten sie in ihrer Stadt noch nie gesehen, ein Wesen zwar durchaus ähnlich gebaut wie sie selbst, mit zwei schlanken Armen, zwei kräftigen Beinen, einem Rumpf in den üblichen Proportionen und einem Kopf, der nun allerdings einen radikalen Unterschied demonstrierte und es ihnen verbot, mich mit einem echten Goldenberger zu verwechseln. Meine Haut ist schwarz, nicht pechschwarz - darauf möchte ich mit allem Nachdruck bestehen -, nein, schokoladenfarben, was doch eine viel distinguiertere Tönung ist und unter den Einheimischen, wie mir später zu Ohren kam, zunächst Zweifel erweckte, ob meine Farbe wirklich vollkommen waschecht sei oder nicht mit der Zeit verblassen würde, ich meine, unter dem Einfluss ihrer sehr ungnädigen, in meinen Augen sogar unanständigen Witterung, wo peitschender Regen und grimmiger Sturm keine Seltenheit sind. Dann würde ich, so ihre Vermutung, ihnen mit jedem Jahr etwas ähnlicher werden.

Hohes Komitee, ehrwürdiger Ältestenrat, ich möchte gleich zu Beginn meines Berichtes betonen, dass mich die Goldenberger mit vorzüglicher Freundlichkeit empfangen und bei sich aufgenommen haben. Gleich am zweiten Tag nach meiner Ankunft luden mich die führenden Vertreter der Stadt, Bürgermeister Bremme, die Frau Pastor Frieda Torbrück, der Apotheker Julius und wie sie alle heißen, ins Odysseus am Rande des Schlossparks ein – nein, nicht ins Schloss selbst, der Herr Baron von Kneek lässt sich nicht überrumpeln. Aber das Odysseus ist in Goldenberg ja auch eine hervorragende Adresse, dort kommen die Honoratioren, an Feiertagen auch die einfachen Bürger, nach der Arbeit zusammen; dort reden, spaßen, lachen, streiten und „philosophieren“ sie – so nennen sie es jedenfalls, wobei ich mir aber bis heute über den Sinn dieses seltsamen Wortes nicht recht im Klaren bin. Ich mutmaße, dass ihr Philosophieren mit diesem goldglänzenden Getränk zusammenhängt, das sie im Odysseus in großen Mengen genießen: Erst dann beginnen sie mit dem „Philosophieren“.

Von Natur aus sind die Goldenberger übrigens so neugierig wie alle anderen Menschen - sehr neugierig sogar, was ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann. Ich will nicht sagen, dass sie den Meteoriten, der da ohne Vorwarnung in ihre Stadt und ihr wohl behütetes Leben platzte, mit offenen Mäulern und aufgerissenen Augen umringt, bestaunt und den Körper des Fremden, meinen Körper, betastet hätten. Nein, so weit gingen sie nicht, sie wissen sich zu benehmen. Als ich in Begleitung des Bürgermeisters – ich sagte schon Bremme, Gustav Bremme - durch das Stadttor und anschließend durch die Gasse ihrer zu beiden Seiten hochaufschießenden Häuser ging - wie unheimliche Riesenschachteln aus Stein erscheinen mir ihre Behausungen - kam mir der Ort im ersten Moment wie eine Geisterstadt vor, so tot und genauso verlassen. Da gab es nur diese Handvoll Leute, die zu meiner Begrüßung erschienen waren.

Wozu stehen sie hier, ging es mir durch den Kopf, all diese mächtigen, quaderförmigen Schachteln, wenn alles doch unbewohnt ist und den trostlosen Eindruck vollkommener Leere macht? Aber nein, hoher Rat, da habe ich mich geirrt. Während ich noch mit dieser ersten Ernüchterung kämpfte und meine Augen ziellos an den Häuserfassaden in die Höhe schweiften, bemerkte ich auf einmal, dass überall hinter den Fenstern oder auch zwischen den Gardinen die Köpfe von Frauen, Kindern, Greisen und Männern lugten, um einen Blick auf mich, den schwarzen Fremden, zu werfen; ich bemerkte sie allerdings nur einen kurzen flüchtigen Augenblick, denn sobald die Köpfe zwischen den Gardinen bemerkten, dass ich ihre neugierigen Blicke erspähte, zuckten sie augenblicklich zurück, als hätte ich sie bei einer unanständigen Tat ertappt.

Wie sensibel diese Menschen doch sind!, ging es mir durch den Kopf. Offenbar ist ihnen peinlich und gilt vielleicht nicht einmal als schicklich, der eigenen Neugier die Zügel schießen zu lassen, obwohl ich sie dafür doch gewiss nicht verdammen würde!

Aus Forschungszwecken durfte ich es natürlich nicht unterlassen, diese meine Vermutung sogleich experimentell zu überprüfen. Ich richtete meinen Blick also eine Zeitlang stur nach vorn auf das Straßenende, um ihn dann unerwartet und blitzschnell in die Höhe zu den Fenstern hochschnellen zu lassen – und, siehe da, es geschah genau, was ich erwartet hatte. Dutzende von Köpfen zuckten alle zur gleichen Zeit zwischen den Vorhängen in den Raum zurück, nur unter den Greisen – und von denen scheint es in Goldenberg nicht wenige zu geben – waren manche durch das Alter so verlangsamt in ihrer Beweglichkeit, dass sie wie verlorene Gespenster zwischen den Vorhängen sozusagen erstarrten, mich aber unmittelbar danach mit einem verlegenen Lächeln gleichsam um Verzeihung für ihr schlechtes Benehmen baten.

Während das kleine Begrüßungskommando mich, den frisch eingetroffenen neuen Bürger von Goldenberg, durch das Stadttor auf die Hauptstraße geleitet, redet der Bürgermeister mit nicht endendem Wortschwall auf mich ein: Welch große Freude es für die Menschen von Goldenberg und für ihn ganz persönlich sei, einen so außerordentlichen Gast wie mich in den Mauern der Stadt zu begrüßen, hier auf dem vertrauten Terrain seiner Heimat – dieses Glücksgefühl sei unbeschreiblich und eigentlich gar nicht in Worte zu fassen. Er, der Bürgermeister, dürfe sich aber zu diesem Gefühl im Namen aller Bürger in voller Offen- und Ehrlichkeit bekennen. Zum allerersten Mal biete sich der Stadt die Gelegenheit, einen so besonderen, im besten Sinne des Wortes exotischen Vertreter der menschlichen Gattung im eigenen Haus zu empfangen. In ihm als dem gewählten Repräsentanten dieser Stadt erwecke die Aussicht, künftig mit einem so außerordentlichen Exemplar des Homo sapiens über jedes Problem von Mensch zu Mensch reden zu können, schon jetzt die größten Erwartungen.

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