So ist es eben, spöttelten die giftigsten unter ihnen: Wenn jemand in der echten Wissenschaft strandet, dann versucht er sich beim großen Publikum einzuschmeicheln!
Dieses selbst brachte der Omega Welt nur mäßiges Interesse entgegen, vermutlich weil das Buch so hölzern geschrieben war und überwiegend aus tabellenmäßig zusammengestellten Zahlen bestand und der Herr Professor darin für ausgefallene, um nicht zu sagen, recht seltsame Thesen warb. Dass wir, ihm zufolge, von Tausenden bewohnten Planeten umgeben seien, mochte allenfalls diskussionswürdig sein, denn in einem unendlichen Universum muss die reine Theorie sicher auch eine Unendlichkeit von bewohnten Himmelskörpern zulassen – wenn ich mich nicht irre, hatte ein großer Renaissancegelehrter, Giordano Bruno, ähnliche Ansichten schon ein halbes Jahrtausend früher vertreten. Was aber war von Schdruschkas Behauptung zu halten, dass wir mit den modernen Instrumenten der interstellaren Hochtechnologie sehr bald den genauen Standort des Paradieses und womöglich auch die Koordinaten von Gottes Hauptquartier herausfinden würden? Eine solche These war geeignet, die Reputation des Herrn Astronomen ernsthaft in Frage zu stellen. Den meisten Lesern nötigte sie nur verwundertes Kopfschütteln ab, schon deshalb, weil nur die wenigsten Intellektuellen in unserer gottfernen Zeit Anhänger einer der drei abrahamitischen Religionen sind. Blicke ich mich zum Beispiel in meinem Bekanntenkreis um, so habe ich es dort fast ausschließlich mit Leuten zu tun, die sich Gott nicht einmal vorstellen können: weder als Jahwe, noch als Allah oder als den Lieben Rauschebart unserer christlichen Märchen. Wie sollen sie da an einen Stern, Asteroiden oder sonstigen Stützpunkt glauben, auf dem der Hohe Herr angeblich mit seinem Gefolge zu Hause sei?
Nun, Schdruschka war durch solche Einwände nicht zu beirren - mit der zähesten Hartnäckigkeit hielt er an seinen abstrusen Thesen fest. Es sei nur eine Frage der Zeit - so hatte er schon damals bei seinem Vortrag in der Urania verkündet -, bis wir den Schleier vor den letzten Geheimnissen lüften.
Jetzt also lockte mich dieser seltsame Mann mit einer Botschaft, der ich fast gegen den eigenen Willen folgte. Ringsherum flöteten die Amseln, die Spatzen zwitscherten in den Bäumen, die Sonne war aus dem Zenit bereits ein Stückchen hinuntergerutscht, aber an diesem Tag verführerisch warm - so gesehen, musste ich es für ein Vergnügen halten, einer mehr als kuriosen Einladung in das Haus eines Gelehrten zu folgen, den die eigene Kollegenschaft längst nicht mehr ernst nehmen will. Aber ob ihn das wirklich betrübt? Immerhin scheinen die Theologen einen Narren an ihm gefressen zu haben. Bei einigen von ihnen stieß seine Arbeit auf begeisterten Zuspruch, was ich durchaus begreife, weil man in diesen Kreisen schon seit Jahrhunderten nach Paradies und Hölle fahndet und dem Moment entgegenfiebert, wo man den Herrgott endlich selbst zu einem Interview bitten kann. Insgeheim hoffen die Herren wohl auch, dass der Gottesbeweis, der selbst den besten Philosophen der Vergangenheit niemals wirklich gelang, mit den Mitteln der Hochtechnologie irgendwann doch noch erbracht werden könnte, nämlich dann, wenn es einem Mann wie Dr. Schdruschka gelingt, den exakten Ort von Gottes Hauptquartier zu bestimmen.
Wie schön die eben aus dem Winterschlaf erweckte Natur! Wie schön der frische Flor aus Grün über den Bäumen! Wie schön...
Seltsam, ich bin doch sonst kein Naturapostel, warum versuche ich mir auf dem Weg einzureden, wie wohl mir dieser Frühlingstag tut und wie schön die Stadt Wien gerade hier in ihren verschwiegen-wohlhabenden Außenbezirken ist, wo das Fahrgeräusch vorbeifahrender Autos selten die verwunschene Ruhe stört. Aus dem Rückblick betrachtet, musste ich diese Schönheit und diese Ruhe wohl deshalb beschwören, weil ich gegen das unterschwellige Gefühl ankämpfte, dass mich irgendetwas, eine mir selbst unbekannte Nötigung dazu trieb, den Ort der Einladung aufzusuchen. Diese Nötigung war umso unbegreiflicher, als ich Schdruschka gewiss nicht besonders sympathisch fand, damals nicht auf seinem einschläfernden Vortrag in der Urania und nicht während der zwei oder drei Male, da ich ihm auf Empfängen der verschiedensten Art zufällig begegnet war. Der Eindruck, den er in meiner Erinnerung hinterlassen hatte, war stets derselbe: ein großes, pfannkuchenrundes Gesicht, das auch, wenn es dir nahe kommt, dennoch aus der Ferne zu dir herabzublicken scheint, ein irgendwie nebelhafter, undeutlicher und undeutbarer Charakter, wie er jedem von uns irgendwann einmal begegnet, ich meine, ein Mensch, der sich eine besondere Aufgabe daraus zu machen scheint, dir stets mit einer Miene wissender Überlegenheit entgegenzutreten, so als wollte er dir dadurch begreiflich machen, dass in seinem Kopf beständig irgendwelche aufregenden Geheimnisse keimen, die dir, einem leider durch und durch traurigen Alltags- und Durchschnittswesen, leider für immer verschlossen bleiben.
So ein schöner Tag, dachte ich, so ein besonders schöner Tag, warum lasse ich mich nur in das Haus eines Mannes locken, in dessen Gegenwart ich schon einmal einschlafen musste? Immerhin hat er es materiell durchaus zu etwas gebracht; all diese gepflegten Villen rechts und links, eine wahre Augenweide. Hier zu wohnen, genügt sicher kein Professorengehalt, dazu muss man geerbt oder eine reiche Frau geheiratet haben. Welches weibliche Wesen mag sich wohl diesen hölzernen Professor zu ihrem Lebensgefährten erwählen? Oder wird er nicht eher, wie ich vermute, die traurige Existenz eines alternden Junggesellen führen? Na ja, in kurzer Zeit werde ich klüger sein.
Mit derart müßigen Überlegungen beschäftigt, drücke ich schließlich auf eine Klingel unterhalb eines Messingschilds mit der Aufschrift „Dr. Schdruschka“.
Die Tür öffnet sich, und da ist es schon, dieses große, runde Gesicht. Es kommt mir vor, als wäre es seit unserer letzten Begegnung noch etwas runder und größer geworden und das undeutbare Lächeln, das er mir gleich bei der Tür entgegenbringt, scheint noch etwas undeutbarer geworden. Wir schütteln uns die Hand, und ich spreche, wie es sich gehört, meinen Dank für die Einladung aus.
Ihr Hinweis auf eine wichtige Botschaft hat mich wirklich neugierig gemacht! Sie wissen ja, wir Journalisten dürfen uns nichts von wirklicher Bedeutung entgehen lassen.
Und daran haben Sie gut getan, antwortet Schdruschka. Ich werde Sie nicht enttäuschen.
Ich folge ihm durch den Vorraum in das Wohnzimmer des Hauses – und im selben Augenblick geschieht etwas mit mir. Ich erstarre, ich fühle, wie mein Lächeln erfriert, wie sich meine Hände verkrampfen, wie mein Atem stockt und meine Zunge gelähmt ist.
Dabei hat Schdruschka etwas ganz Harmloses gesagt, eine rhetorische Frage, wie sie ein Gastgeber seinen Gästen üblicherweise zu stellen pflegt.
Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?, sagt er.
Im ersten Augenblick hatte ich meinerseits ganz harmlos darauf reagiert, denn gegen das Sonnenlicht, das aus der Fensterwand in das Wohnzimmer fiel und meine Augen einer kurzfristigen Blendung aussetzten, habe ich zunächst nicht mehr wahrgenommen als den bloßen Umriss einer weiblichen Gestalt. Dieser allein hätte mich natürlich nicht in Verwirrung gesetzt, auch wenn ich vorher Überlegungen von der Art angestellt hatte, ob eine lederne Professorennatur wie die des Herrn Schdruschka es überhaupt fertig brächte, ein weibliches Wesen aus Fleisch und Blut an sich zu binden. Nun, die Bekanntmachung mit seiner Frau belehrte mich eines Besseren, ich hatte mir einige recht überflüssige Gedanken gemacht. Um meinen Fehler abzubüßen, war ich bereit, meine Hand auszustrecken und seine Frau mit besonderer Höflichkeit zu begrüßen.
Doch statt dessen war ich erstarrt - ein Zustand, der in den Augen anderer vielleicht nur einen flüchtigen Augenblick währte, mir selbst aber wie eine Ewigkeit erschien. Ich hätte natürlich auch ganz anders reagieren, spontan ihren Namen „Eveline“ ausrufen können, ebenso wäre es zumindest denkbar gewesen, dass sie meinen Vornamen nennt. Aber nichts von dem ist geschehen. Ihren Namen über die Lippen zu bringen, wäre mir ganz unmöglich gewesen, weil ich erst noch die Ungeheuerlichkeit ihrer leiblichen Erscheinung bewältigen musste. Denn jetzt, wo ich einen weiteren Schritt in den Raum getan hatte, so dass das von der breiten Türfront einfallende Licht unterhalb meines Kopfes lag und mich deshalb nicht länger blendete, gab es keinen Zweifel mehr: Das war sie, kaum verändert, nein eigentlich gar nicht verändert, obwohl zehn Jahre inzwischen vergangen waren. Auch heute kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie in jenem Moment des unerwarteten Wiedersehens von der gleichen Lähmung befallen war wie ich. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte ich es nicht bemerken können. Denn wenn man einen derartigen Schlag erhält – ich spreche ausdrücklich von einem Schlag, denn ich spürte ihn so, als hätte mir jemand einen Hieb in den Bauch versetzt -, dann ist man für den Augenblick derart überwältigt, so mit sich selbst beschäftigt, dass man für die Seelenregungen anderer Menschen alles Gespür verliert. Ich kann also nicht sagen, ob in ihr dasselbe vorging wie in mir. Ich glaube es nicht, nein, ich halte sie dazu nicht einmal für fähig.
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