Vor der nächsten Nacht kam aber dann immer noch ein Abend. Meine Mutter hatte um 19.00 Uhr Feierabend. Ich konnte sie doch nicht allein die 4 km gehen lassen. Also machte ich mich rechtzeitig auf den Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Im Sommer und im Winter. Ich musste sie doch beschützen. Es gab da sehr einsame Abschnitte auf dem Weg. Wenn es dunkel war, zog ich mir die Kapuze über den Kopf, machte große Schritte und pfiff vor mich hin. So würde man mich, glaubte ich, für einen Jungen halten. Oder ich lief neben der Straßenbahn her, bis mir die Luft wegblieb. Doch dann hatte ich meine Mutter ganz für mich allein, dachte ich. Denn eigentlich erzählte sie auf dem Heimweg nur von der Arbeit und den Familiengeschichten ihrer Kolleginnen.
Und dann kam wieder eine Nacht – vielleicht wird er nicht nach Hause kommen. Vielleicht werde ich schlafen können. Und wenn er doch kommt? Werde ich wieder von meinem eigenen Zittern geweckt? Werde ich wieder allein sein in der Dunkelheit mit dem kleinen Lichtschein durch die Türscheibe und den Geräuschen hinter der verschlossenen Tür? - Keiner wusste von meiner Angst. Und meine Mutter lag neben mir.
Kann es eigentlich wirklich noch schlimmer kommen?
Ich habe also all die Ängste allein ausgehalten. So habe ich für mein weiteres Leben auch nicht gelernt, dass man anders mit Sorgen und Ängsten umgehen kann. Es ist für mich ganz selbstverständlich, alles mit mir allein auszumachen, und ich kann niemanden an mich heranlassen. Was ich mir damit angetan habe, begreife ich erst, als wir in der Therapie auch an die Traumen in meinem Erwachsenenleben kommen.
Als ich in dieser Aufarbeitungsphase zu einer Trauerfeier auf den Friedhof gehe, wo auch meine Mutter begraben ist, gehe ich vorher zu ihrem Grab. Ich weiß, dass es mein letzter Besuch an ihrem Grab sein wird. Es macht mich traurig. Ich komme nicht wieder! Auch diesen Schlussstrich ziehe ich ganz allein. Ich fühle mich etwas erleichtert, vielleicht habe ich ein bisschen losgelassen.
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