1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 ››Das heißt ja nicht, dass ich die Regelung sinnvoll finden muss!‹‹
››Meinst du, das interessiert irgendjemanden?!‹‹
››Mir doch egal!‹‹
››Dann erzähl das doch dem Rat!‹‹
Die beiden waren hörbar laut geworden. Amun und Aldred tauschten einen Blick und lachten los.
››WAS?!‹‹, keiften die Mädels die Jungs an. Während Amun erschrocken einen Schritt rückwärts machte und dabei fast über seinen Proviant stolperte, verdrängte Aldred angestrengt den letzten Hauch eines Schmunzeln von seinen Lippen und hob beschwichtigend die Hände.
››Ihr seid jetzt Magi. Beruhigt euch mal und verhaltet euch entsprechend‹‹, sagte Aldred. Wie die Kinder , dachte er.
Linli schnappte nach Luft, hielt dann aber den Mund. Was leider nicht daran lag, dass sie Einsicht zeigte und seinen Schlichtungsversuch zu schätzen wusste. Sondern vielmehr daran, dass sie Aleenas Organ niemals hätte übertönen können.
››Belehr du mich nicht über Benehmen, Aldred! Meine Familie hat schon über die Feuermoore geherrscht, da haben deine Vorfahren grad erst entdeckt, in welche Körperöffnung das Essen gehört! Deine unterentwickelte Sippe weiß doch bis heute nicht, wie man Feuer macht!‹‹
Ihre Augen versprühen genauso viel Gift wie ihre Zunge , dachte Aldred. Wunderschön sieht sie aus . Kein Wunder, dass das Feuer ihr Element ist . Und die roten Wangen . Er seufzte verträumt.
››Was Dämlicheres als dich hab ich noch nie gesehen! Deine Familie muss sich zurück entwickelt haben!‹‹
››Küss mich.‹‹ Aldred nutzte die kleine Atempause für ein ganz persönliches Anliegen und lächelte Aleena verschmitzt zu.
››Du bist so ein Idiot!‹‹
Abrupt drehte sie um und stürmte wutentbrannt an allen vorbei aus der Kammer und den Gang hinunter, bis sie um die Ecke verschwunden war. Aldred meinte sogar, sie eine Träne wegblinzeln gesehen zu haben und sah ihr verwundert nach.
››Toll gemacht, Frauenflüsterer‹‹, kommentierte Linli.
››Ich kenne ja ihr Temperament, aber das war doch nun kein Anlass. Was ist denn los mit ihr?‹‹ Eigentlich suchten seine Augen Amuns, es war jedoch Linli, die antwortete.
››Letzte Woche kam ein Brief aus Sturzwasser. Ihr Vater wünscht ihren Besuch. Du weißt ja um das angespannte Verhältnis der beiden. Sie hat kein gutes Gefühl bei der Sache.‹‹
››Das ahnt ja keiner‹‹, Aldred hob die Schultern und versuchte ein verlegenes Lächeln. ››Sagst du ihr, dass es mir leid tut? Bitte.‹‹
››Das kannst du gefälligst selber tun.‹‹ Linli brauste hinaus, dass ihre schwarze Robe um sie wogte. Die spitze Nase hielt sie hoch erhoben, ihr goldblonder Pferdeschwanz wippte dazu.
Frauen! , dachte Aldred und warf Amun einen halb hilflosen, halb verzweifelten Blick zu. Doch der grinste nur hämisch. Ja, er hatte wirklich tolle Freunde!
lick . Das hörte sich gut an. Eins noch. Sie drehte am Rädchen. Von einem Symbol zum nächsten. Das mussten Zwergenrunen sein. Es handelte sich um keine sonderlich große Truhe. Eigentlich könnte sie ja auch einfach ... Sie setzte die Fingernägel unter den Truhendeckel und hob sie vorsichtig an, bis sie Widerstand spürte. Dann drehte sie das letzte Rädchen, bis der Widerstand verschwand. Sie hob den Truhendeckel mit beiden Händen. Fingerbreite um Fingerbreite. Immerhin hatte sie schon eine Falle entschärfen müssen. Nun ja, die war nachlässig angebracht gewesen: ein feiner Bindfaden am Rand des Truhendeckels befestigt und durch eine Öse am Truhenkörper seitlich an der Truhe entlang bis zur Wand geführt. Hob man den Deckel der Truhe zog, man am Bindfaden, der die Falle auslöste. Wie offensichtlich! Li'eyla hatte den Bindfaden mit ihrem Jagdmesser durchtrennt. Über ihr in der Decke des Raumes waren zwei schräg gestellte, kreisrunde Löcher. Was immer da herauskäme, würde sich in zwei Fuß Höhe direkt vor der Truhe kreuzen. Sie hatte kurz an den Löchern geschnuppert. Nichts. Also wahrscheinlich keine Feuerfalle. Speere vermutlich, aber das musste sie nicht unbedingt herausfinden.
Die Elfe tastete flink den Streifen Wand nach Druckschaltern ab, an dem der Deckel aufliegen würde. Dann klappte sie ihn vollends zurück. Li'eyla zögerte einen Moment. In letzter Zeit hatte ihr schlechtes Gewissen mehr und mehr an ihr genagt. Elfen waren keine Diebe. Erreichten auch nur Gerüchte ihrer Taten je den Gezeitenwald, brauchte sie sich niemals wieder dort blicken lassen. Zu Hause. Immer öfter dachte sie wehmütig an ihr Volk zurück. An die Eintracht und den Frieden. An die Geborgenheit und die Ehrlichkeit. An das Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch ihre Familie vermisste sie.
Zwei Jahre schon nannte sie die Mitglieder der örtlichen Diebesgilde ihre Brüder und Schwestern. Yldras, die Narbe, hatte sie damals halbtot in der Gasse gefunden und zur Gilde mitgenommen, wo die alte Salvea sie zusammengeflickt hatte. Dort hatte man sie akzeptiert. Dort hatte sie Anschluss gefunden. Und dort – behauptete ihr Pflichtgefühl – hatte sie eine Schuld zu begleichen. Doch wie viel war ein Leben wert?
››Kss, Mandelauge. Bist du soweit?‹‹ Das war Kolk, der sich selbst Der Rabe nannte. Sein Flüstern war kaum mehr als ein Ausatmen. Er hatte sich schnell an ihr gutes Gehör gewöhnt.
››Kss‹‹, zischte sie zurück. Eigentlich interessierte sie sich sehr dafür, was die Menschen so in ihren Verstecken aufbewahrten, hatte doch ihre Neugier sie in die Menschenstadt Sturzwasser geführt, wie es bei den Elfen des Gezeitenwaldes regelmäßig vorkam. Sie waren ein aufgeschlossenes, anpassungsfähiges und neugieriges Volk. Doch jetzt sah sie sich den Inhalt der Truhe gar nicht lange an, sondern fischte geschwind alles heraus und legte jedes Beutestück einzeln in ihren Beutel, der fast nur aus gepolsterten Taschen bestand. Mit viel Fingerspitzengefühl füllte sie ihn, damit nichts schepperte oder klimperte. Kurz erhaschte sie einen Blick auf einen goldenen Ring, einen silbernen Armreifen und auch drei schwere goldene Dukaten spürte sie zwischen den Fingern und ließ jeden einzelnen in eine eigene Tasche gleiten.
Dann schwang Li'eyla den Riemen ihres Beutels über die Schulter und huschte aus dem Raum mit dem massiven Eichentisch, den dicken Wandteppichen und dem kleinen quadratischen Fenster. Die Elfe konnte im Dunkeln sehr gut sehen, zumindest im Vergleich zu Menschen, und so fand sie problemlos ihren Weg zu dem Balkon, über den sie und Kolk eingestiegen waren. Hinter sich hörte sie einen dumpfen Fluch von Kolk, kurz darauf zerbrach scheppernd – und laut wie der Donner – eine Vase auf den Dielen.
››Ratte und Rettich!‹‹, entfuhr es ihr reflexartig. Ein Fluch der Diebe. Sie wusste nicht einmal, was damit gemeint war, hatte ihn sich aber dennoch angewöhnt. ››Komm schon, Kolk!‹‹, zischte sie hinterher. Im Haus ging das erste Licht an.
››Schnauze und ab mit dir!‹‹, raunzte Der Rabe sie an. Li'eyla schwang sich über das Balkongeländer und einen in der Wand verankerten gusseisernen Fackelhalter aufs Dach und rollte sich auf den Bauch, um Kolk ihre Hand entgegen zu strecken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das war ihr in den ganzen zwei Jahren nicht passiert. Kolk, du Tollpatsch , dachte sie.
Der sprang aufs Geländer, als ein Schatten hinter ihm auftauchte. Die Elfe erkannte einen Mann in derben Wollhosen mit nackter Brust und einem Knüppel in der Hand. Sie beschloss, dass es sich um einen Diener handeln musste. Sie winkte Kolk, sich zu beeilen. Der sprang direkt vom Geländer auf den Mann zu, zog im Flug seinen Dolch und rammte ihm die Klinge bis ans Heft in den Bauch. Der Getroffene keuchte schmerzerfüllt. Als Erstes fiel der Knüppel. Dann der Mann, nachdem er noch einen wankenden Schritt getan hatte. Li'eyla nahm das alles wie in Zeitlupe wahr. Wie in Trance. Sie hatte auch schon getötet. Doch das hier war falsch. Schrecklich falsch. Sie hatte Räuber und Kobolde getötet, die ihr ans Leder wollten. Die waren selbst schuld gewesen. Jetzt war sie es. Auch wenn nicht ihre Hand den Dolch geführt hatte.
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