Bei der ersten Frage hatte Aldred ihn ziemlich nervös gemacht. Zumal die Illusionsmagie Aldreds Lieblingsfach war. Das hatten sie gemeinsam. Meister des Wassers war er, aber auch Meister der Verwandlung und Illusion. Die meisten Trugbilder basierten auf einer Mischung aus Wasser- und Luftmagie. Und Aldreds Erwachen, als sich sein Talent das erste Mal gezeigt hatte, war das Trugbild einer wunderschönen Prinzessin gewesen, das durch die Dorfschenke von Aldreds Heimatdorf gewabert war. Der junge Ravenor war nicht der jüngste Scolar, der je an der Akademie aufgenommen worden war, aber seine rasche Auffassungsgabe und sein überdurchschnittliches Talent hatten ihn dennoch zum erfolgversprechendsten Schüler der magischen Künste gemacht. Nun ja, so sah es Horna. Imriel, die Meisterin der Naturmagie, hatte ihre ganz eigene Favoritin. Die Illusionsmagie wurde von vielen anderen Magiern belächelt. Taschenspielertricks, Blendwerk, Feuerwerksmagie und sowieso alles nur Lug und Trug hieß es. Hornas Meinung nach konnte man die Illusionsmagie gar nicht hoch genug einschätzen, spielte sie doch mit dem Verstand der Zielperson. Wo andere brachial einen Feuerball bevorzugten, ließ er sein Opfer lieber vor lauter Panik vom Balkon springen. Das war die hohe Kunst. Wer das Lied nicht hören konnte, würde sogar denken, es sei Selbstmord gewesen. Nicht, dass er je jemanden ermordet hätte. Aber dieses Beispiel nutzte er sehr gern zur Veranschaulichung.
Anscheinend war Aldreds Aussetzer nur auf seine Aufregung zurück zu führen. Durch den restlichen Theorieteil navigierte er sich gekonnt hindurch. Dass Brantik ihn einmal beim Thema Metamagie festnagelte, war zwar bedauerlich, konnte aber das Bestehen der Magietheorie nicht ernsthaft in Gefahr bringen. Der Magiespiegel war nicht einfach zu erklären, selbst wenn man ihn verstanden hatte. Und sogar Brantik musste zugeben, dass noch nicht alle Phänomene des Liedes restlos geklärt waren. Selbst wenn ein Zauber funktionierte, war es nicht immer ganz klar, warum er es in jener Art und Weise tat.
››Die Alraune gehört zu den Nachtschattengewächsen. Es handelt sich um krautige, niedrigwachsende Pflanzen, die eine Blattrosette aus basalen, fast stiellosen grünen Blättern von bis zu fünf Fuß Breite ausbilden. Die Blattoberseite ist runzelig ...‹‹ Der Meister des Wassers schaltete ab. Aldreds anschließenden Ausführungen über den Apfel als Symbol von Fruchtbarkeit und Leben sowie die nachgesagte Wirkung als Haarwuchsmittel waren allesamt nichts Neues für ihn. Das Thema Kräuterkunde plus hatte der Discipulus ebenfalls souverän gemeistert. Interessant wurde es beim praktischen Teil. Den mochte Horna immer am liebsten.
Die Applikation Involu ignis hatte Aldred problemlos hinter sich gebracht. Eine Dolchklinge in Feuer zu kleiden konnte zwar zu Verbrennungen führen, war aber nicht sonderlich komplex. Fehler konnte man bei jedem Zauber begehen. Nur waren die Folgen unterschiedlich schwer. Eine der gefährlichsten Anwendungen war der Tele ...
››… port bitte!‹‹ In Brantiks Miene zuckte nicht der kleinste Muskel. Belio dagegen konnte sich ein fieses Grinsen nicht verkneifen. Aldred musste an die Worte Magister Rümelzwas denken, als er ebendiesen Zauber vorstellte.
››Diese Applikation werdet ihr niemals alleine üben. Nur unter Aufsicht und mit der Hilfe eines Magisters. Nicht eines Magus. Eines Magisters‹‹, so hatte er begonnen. Jeder Magister war auch ein Magus, nicht jeder Magus jedoch ein Magister. Den Titel eines Magisters durfte nur derjenige tragen, dem erlaubt war, selbständig zu unterrichten.
››Ein Fehler kann euch das Leben kosten. Absolut ungesund und überaus schmerzhaft, aber relativ harmlos ist der Verlust eines Fingers, einer Hand, eines Arms, den ihr zu transportieren vergesst. Vermutlich könnte Arcomaga Imriel euch sogar wieder zusammenflicken. Schwerer wiegt der Verlust von Kopf, Körperhälfte, mehrerer Extremitäten oder Organen. Das endet meist fatal. Manche von euch kennen vielleicht die Legende von Ostramark, dem Zauberer, der noch zu Zeiten der Insel lebte. Er hatte in jungen Jahren die Witwe des Herzogs von Schwertsee geehelicht.‹‹ Rümelzwa neigte zum Geschichtenerzählen und hatte in den meisten Schülern begeisterte Zuhörer. Nur die Streber hielten die Geschichten für Lernunterbrechungen und nahmen diese zumeist mürrisch hin. Doch in diesem Fall hatte er die Aufmerksamkeit aller seiner Schüler.
››Er versprach sich neben Macht und Einfluss vor allem Gold für seine Forschung. Ostramark selbst hätte nicht überraschter sein können, als er sich in die erblühende Tochter der Herzogin verliebte. Sanya war ihr Name. Derartige Gefühle waren ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen. Als eines Tages die streitbare Herzogin ihren jungen Gemahl mit ihrer Tochter im Bett erwischte, verlangte sie Ostramarks Kopf. Der Magier nahm seine Geliebte bei der Hand, stieß die Herzogin beiseite und floh mit Sanya in die Straßen der Stadt. Die beiden Turteltauben eilten zum Hafen, die Wache dicht auf den Fersen. Ihre Schritte trommelten auf dem Landungssteg und es sah recht hoffnungslos für sie aus. Die meisten Schiffe lagen fest vertäut auf ihren Liegeplätzen. Die Räudiger Hund segelte gerade in den Hafen ein, während die Schwalbenschwanz ihn soeben verließ. Gute zweihundert Fuß trennten das Deck der Schwalbenschwanz bereits von den Liebenden. Die Wachen hatten den Steg ebenfalls betreten und sahen die Entflohenen in der Falle sitzen. Da schlang Ostramark die Arme um seine Sanya, griff nach dem Lied der Allmutter und sprach den Zauber Teleport .‹‹ An dieser Stelle hatte der Magister eine Kunstpause eingelegt. Der alte Folterknecht .
››Die Seeleute staunten nicht schlecht, als in ihrer Mitte plötzlich zwei ineinander verschlungene Fremde auftauchten. Mindestens genauso staunten die Wachen auf dem Steg, als die zwei vor ihren Augen verschwanden. Doppelt so große Augen bekamen sie, als einer von ihnen auf etwas Rotes zeigte, das in einer Höhe von ungefähr vier Fuß vor ihnen in der Luft hing. Kurz darauf fiel Sanyas Herz mit einem dumpfen Laut zu Boden und die Frau selbst fuhr aus Ostramarks Armen direkt zu den Göttern. Der Legende nach starb auch er noch an Bord des Schiffes an gebrochenem Herzen. Wobei ich Letzteres für die Erfindung irgendeines rührseligen Poeten halte.‹‹
Den ersten Teleport, den ein Schüler erlebte, führte daher immer ein Magister durch. Der Discipulus wurde teleportiert und hatte lediglich darauf zu achten, wie der Magister im Lied wirkte. Da es ihnen nicht erlaubt war, alleine zu üben, hatte Aldred erst eine knappe handvoll an Versuchen zusammen. Und jedes Mal hatte ein Magister unterstützend mitgewirkt. Aldred konnte sich nicht erinnern, dass der Teleport jemals in einer Magierprüfung verlangt worden wäre. Natürlich musste er sich selbst eingestehen, dass er noch nie einer beigewohnt hatte. Im letzten Jahr hatte er zum ersten Mal ehemalige Mitschüler befragt, die die Prüfung abgelegt hatten. Vom Teleport hatte keiner gesprochen. Und die Meister durften ihn nicht unterstützen. Nun, es half nichts. Warum sollte er den Teleport nicht meistern, das hatten hunderte Magier vor ihm auch.
››Bereit?‹‹, hakte der Vorsitzende nach.
Aldred nickte lediglich, ging auf die Wand zu seiner linken zu und drehte sich um. Er konzentrierte sich. Er griff nach dem Lied. Seine eigene Melodie kannte er auswendig, kurz prägte er sich die Melodie seiner Kleider ein ...
Meister Horna war nervös. Davon kündeten seine erhöhte Blinzelfrequenz sowie sein Zeigefinger, der leise aber stetig auf die Tischplatte klopfte, wo beide Hände sich ausgeruht hatten. Halb verstohlen schenkte er Meister Brantik einen bösen Seitenblick. Der Teleport war das letzte Mal vor drei Jahren abgeprüft worden. Keine Probleme. Doch vor fünf Jahren war es schrecklich schief gegangen. Ein fähiger, wenn auch stürmischer Discipulus namens Erlond war als sechs Fuß großer Blutklumpen auf der anderen Seite der Kammer angekommen. Heilung unmöglich. Meister Zorn hatte geschrien und geflucht wie ein Zwergenzuhälter mit Verstopfung. Imriel hatte stumme Tränen geweint, während Meister Brantik sein Bedauern kund getan hatte. Er selbst, Horna, hatte den Teleport als Prüfungsinhalt festgelegt. Inzwischen hasste er diese Applikation. Ein Schrei Aldreds riss ihn aus seinen Gedanken. Eindeutig Schmerz!
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